Sehbehinderte sind hier auf Hilfe angewiesen

Die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmittels ist für Sehbehinderte eine Herausforderung –trotz der taktilen Leitlinien.
In der U-Bahn-Station Willy-Brand-Platz hetzen Menschen die Rolltreppe hinunter, um ihren Zug zu erwischen. Für Brigitte Buchsein ist das eine Herausforderung, weil sie alles um sich herum nicht sehen kann. „Das Türenfinden ist besonders schwer“, sagt die 48-Jährige, die bereits als Säugling erblindete. „Bei manchen Bahnen hört man ein Plop-Geräusch, wenn die Tür öffnet“, erzählt sie. Nach der Bahnfahrt wartet dann eine neue Herausforderung: Taktile Leitstreifen weisen zwar den Weg zur Rolltreppe, doch den Ausgang würde sie nicht finden.
Struktur fehlt
Deshalb wird sie von Rehabilitationslehrerin Susanne Reith begleitet. Die beiden sind Mitglieder im Blinden- und Sehbehindertenbund Hessen (BSBH) und prüfen mit dem CDU-Landtagsabgeordneten Bodo Pfaff-Greiffenhagen, wie alltagstauglich die taktilen Leitstreifen sind. „Die Bodenindikatoren am Willy-Brand-Platz sind veraltet und die Struktur fehlt, außerdem haben sie falsche Formen und Abstände“, kritisiert Reith. Sobald Dreck in die Rillen komme, hätten Sehbehinderte keine Chance mehr, sie mit dem Blindenstock zu spüren. „Oft wird einem Hilfe angeboten, aber es ist ja nicht immer jemand in der Nähe“, sagt Buchsein.
Trotzdem möchte sie nicht auf die Angebote der Großstadt verzichten. „Ich gehe gern ins Schauspielhaus, weil es ja viel zu hören gibt“, sagt sie. Doch jedes Mal, wenn sich Buchsein alleine orientieren will, muss sie den Weg vorher auswendig lernen. Dabei hilft ihr Reith. „Zusammen schauen wir, wie viele Drehungen eine Strecke hat, ob es eine Ampel oder einen Zebrastreifen gibt und ob Rippen oder Noppen als Bodenindikatoren vorhanden sind“, erklärt Reith. „Rippen haben entweder eine Leit- oder eine Sperrfunktion“, erklärt sie. Zeigen die Rillen in die eigene Richtung, übernehmen sie die Leitung, waagerechte Rillen deuteten ein Sperrfeld an, über das man nicht hinweggehen sollte. „Noppen sollen einen auf etwas aufmerksam machen, etwa auf eine Weggabelung, Treppen oder eine Ampel“, ergänzt Reith.
Die ersten taktilen Leitstreifen kamen bereits in den 1960er Jahren in Japan auf, „Deutschland folgte erst in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts“, so Reith. Ein Blindenstock hilft beim Tasten, manche Leitstreifen kann man sogar mit dem Fuß erspüren.
„In Zukunft wird es im Nahverkehr eher voller als leerer werden, da ist es sinnvoll, wenn man ihn behindertengerecht gestaltet“, betont Pfaff-Greiffenhagen. Leider sei für Sehbehinderte im Alltag oft keine Empathie übrig. In Frankfurt seien besonders große Plätze, B-Ebenen oder die Zeil noch ausbaufähig.
Geld in die Hand nehmen
„Bei neu gebauten Plätzen wird ja viel für Blinde gemacht, doch was ist mit den bestehenden Stellen?“, fragt Buchsein und ergänzt: „Viele Menschen wissen nicht, wofür die Leitstreifen da sind oder weshalb die Tür der U-Bahn ein seltsames Geräusch macht.“ „Außerdem finden Architekten und Planer die Bodenindikatoren oft nicht ästhetisch genug, doch auch das geht, wenn man genug Geld in die Hand nimmt“, betont Reith.