So hart umkämpft ist der E-Scooter-Markt in Frankfurt

Der Branchenverband Shared Mobility wirft dem finanziell angeschlagenen Anbieter Tier vor, die in der Mainmetropole geltenden Regeln für E-Scooter-Verleiher bewusst zu umgehen. Ein Unternehmenssprecher weist die Vorwürfe zurück.
Frankfurt -Die weiter chaotische Situation mit E-Scootern in der Stadt führt zu Zoff zwischen den Verleihfirmen. So werfen Mitbewerber dem Verleiher Tier vor, er verstoße gegen städtische Vorgaben. Der weist es von sich, die Stadt reagiert schmallippig. Viele Bürger sind genervt. Nur nicht die jüngeren: Gerade bei Teenagern sind Flitzer beliebt, um schnell von A nach B zu kommen. Um Verkehrsregeln scheren sich viele nicht, brettern verbotenerweise und mit hohem Tempo über Gehwege, durch Fußgängerzonen und Parks, auf der Fahrbahn gegen den Verkehr oder durch Menschenmengen, gern auch zu zweit auf dem kleinen Gefährt. Abgestellt werden viele E-Scooter weiter mitten auf Gehwegen und vor Durchgängen.
Das alles wollte die Stadt verhindern. Seit April 2022 benötigen Verleihfirmen Sondernutzungserlaubnisse. Mehrfach hatte die Stadt aber eingeräumt, dass sie das Einhalten der Regeln kaum kontrolliert, unter anderem wegen Personalmangel. So gilt etwa im Umkreis von 100 Metern um spezielle E-Scooter-Abstellflächen ein Parkverbot.
Daran aber halten sich nicht nur Nutzer selten. Der Branchenverband Plattform Shared Mobility erhebt schwere Vorwürfe gegen Anbieter Tier: „Es liegen zahlreiche Hinweise vor, dass die Firma Tier systematisch und über einen längeren Zeitraum hinweg gegen die Bestimmungen der in Frankfurt geltenden Sondernutzungserlaubnis verstößt“, erklärt Alexander Jung von Shared Mobility. Das hätten Mitgliedsunternehmen an den Verband herangetragen.
Mit Beweisfotos hat sich der Verband inzwischen auch an die Stadt gewendet. Die Vorwürfe: Tier stelle „an neuralgischen Punkten regelmäßig zwischen 15 und 20 E-Scooter pro Standort“ bereit, obwohl die Regeln nur fünf erlaubten. Tier weise die Parkverbotszonen nicht oder nur stark verkleinert in der App aus und die Flotte habe von März bis Juli regelmäßig die vorgegebene Zahl von 3000 Fahrzeugen überschritten - um bis zu 800. „So verschafft sich der Anbieter einen erheblichen Wettbewerbsvorteil“, kritisiert der Verbandssprecher. Tier untergrabe „eine zielführende und effektive Regulierung“ und es sei offensichtlich, dass sich das Unternehmen „durch Missachtung der geltenden Regelungen einen wirtschaftlichen Vorteil“ sichern wolle - „auf Kosten der anderen Anbieter und aller Verkehrsteilnehmer in Frankfurt“, sagt Jung.
„Diese Vorwürfe weisen wir zurück“, sagt Tier-Sprecher Patrick Grundmann. „Wir halten uns an alle Vorgaben.“ Die Mitarbeiter platzierten nicht mehr Fahrzeuge als erlaubt pro Standort. Parkverbotszonen füge Tier „zeitnah“ in die App ein, sobald die Stadt diese mitteile. Auch betreibe Tier mit 2700 E-Scootern und 300 E-Bikes keine größere Flotte als erlaubt. Einzig: „Bedingt durch einen Flottenaustausch, der sich über mehrere Wochen zog, kann es durchaus dazu gekommen sein, dass kurzzeitig mehr als die 3000 vereinbarten Fahrzeuge gezählt wurden.“
Konkret zu diesem Fall nimmt Ulrike Gaube, Referentin von Mobilitätsstadtrat Wolfgang Siefert (Grüne), auf Nachfrage keine Stellung. Sie erläutert allgemein, wie die Stadt bei Verstößen vorgehe: „Es wird anlassbezogen, bei Hinweisen oder Feststellung durch die Ämter, geprüft.“ Dabei gelte der Gleichbehandlungsgrundsatz.
Die Stadt schreibe die Anbieter an und verweise darauf, dass die Zulassung bei erneuten Verstößen widerrufen werden könne. Aber: „Bisher wurde noch keine Sondernutzungserlaubnis widerrufen“, erläutert Gaube. Bislang zweimal, bestätigt Tier-Sprecher Grundmann, habe die Stadt angefragt, ob die Firma die maximale Scooterzahl überschreite.
Ungewöhnlich ist, dass ein Verband gegen ein Unternehmen aus der Branche derart harte Vorwürfe öffentlich erhebt - zumal Shared Mobility auch noch auf jüngere Medienberichte verweist, wonach Tier in einer „finanziellen Notsituation“ sei. Laut „Manager Magazin“ sucht das Berliner Startup nach einem Geldgeber. Auf Nachfrage räumt Verbandssprecher Jung ein, dass Tier zum Jahreswechsel bei Shared Mobility ausgetreten sei. „Sonst hätten wir es im Verband eskaliert.“
Auch die Überzeugungen, wie die Probleme gelöst werden könnten, gehen auseinander. So plädiert Tier seit langem dafür, dass die Stadt das E-Scooter-Geschäft per Ausschreibung regeln solle - was im Römer inzwischen auch vorbereitet wird. Nach einer Vergabe an nur zwei oder drei Anbieter könnten Regeln strenger überwacht werden und das Angebot durch die Vorgabe von mehr Stellflächen auch in Außenbereichen attraktiver werden, wirbt Tier.
„Dafür braucht es keine Ausschreibung“, kritisiert Verbandssprecher Jung. „Das ist eine Nebelkerze.“ Das wichtigste Element für verträglicheren E-Scooter-Verleih seien mehr Abstellflächen. „Dafür sind mehr Investitionen nötig.“ Bisher hat die Stadt nur recht vereinzelte Abstellflächen vor allem in Nebenstraßen der Zeil sowie an der Berliner Straße markiert. E-Scooter parken daher weiter oft wild in der Gegend - selbst in Sichtweite solcher Parkplätze.
Dennis Pfeiffer-Goldmann