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Wahrzeichen Frankfurts in Gefahr: Der Fährmann funkt SOS

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Von: Holger Vonhof

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Fährmann Sven Junghans aus Frankfurt kämpft um die Zukunft der Höchster Fähre.
Fährmann Sven Junghans aus Frankfurt kämpft um die Zukunft der Höchster Fähre. © Maik Reuß

Die Höchster Fähre ist in Gefahr. Die Gründe reichen von 9-Euro-Ticket bis Awo-Skandal. Die finanzielle Unterstützung der Stadt reicht nicht mehr aus.

Frankfurt-Höchst - Fährmann Sven Junghans muss schlucken. "Wenn sich nichts ändert, werde ich der letzte Fährmann auf der Höchster Fähre sein." Junghans betreibt die Fähre seit 2015 als alleiniger Pächter; zuvor war er drei Jahre zusammen mit seinem Vorgänger, dem im Januar gestorbenen Rudolf Kollath, gefahren. Für Junghans, einen gelernten Binnenschiffer, ist der Beruf Berufung, doch steht ihm das Wasser bis zum Hals: Im März hat sein Ersatzmann Fritz Flohr aufhören müssen. Flohr, der ebenfalls das nötige Patent besitzt, hatte stundenweise einspringen können oder Junghans bei abendlichen "Skyline"-Touren entlastet. Nun steht er alleine da: "Wenn ich mal krank werde, steht die Fähre still."

Also hat sich Junghans an die Stadt Frankfurt gewendet, von der er das Recht zum Betrieb der Fähre gepachtet hat. Er bat darum, den jährlichen Zuschuss - er beträgt 50 000 Euro - zu verdoppeln. Die Rechnung, die er aufmacht, ist einleuchtend: Er braucht einen zweiten Mann. Ein Schiffsführer verdient zwischen 3500 und 4000 Euro monatlich - macht im Jahr 48 000 Euro. Einen Mann wie Flohr, der das nötige Patent habe und stundenweise abrufbar sei, finde man nicht mehr. Die Antwort des Straßenbauamts, zu dem die Fähre als "schwimmende Brücke" gehört: Dafür seien keine Haushaltsmittel eingestellt. Junghans will das nicht gelten lassen: "Für die Abwahl des Oberbürgermeisters sind ja auch 1,6 Millionen Euro da."

Höchster Fähre in Frankfurt in Gefahr: "Keine Mittel im Haushalt"

Laut Pachtvertrag hat Junghans den Betrieb zu gewährleisten. An sechs Tagen fährt er; am siebten ist er ebenfalls da, um Wartungsarbeiten zu erledigen oder etwas zu streichen; Schiffe brauchen viel Farbe. "Ich habe eine 72-Stunden-Woche", sagt Junghans. Der zuständige Sachbearbeiter habe ihm empfohlen, die Fährzeiten einzuschränken - später zu beginnen, früher aufzuhören, eine Mittagspause einzulegen. Für Junghans sind das keine Alternativen: "Dann ist das ganze wirtschaftlich nicht mehr tragbar."

Die 50 000 Euro, die Junghans jährlich von der Stadt bekommt, sind nur ein Zuschuss zum Betrieb der 170 PS starken "Walter Kolb"; der Fährmann muss Fahrkarten verkaufen. 1,50 Euro kostet die einfache Fahrt für Erwachsene; Kinder zahlen 70 Cent. Hunde, Fahrräder oder auch mal ein Pony nimmt Sven Junghans ohne Zuzahlung mit. Die besten Monate sind von Mai bis September, wenn am Wochenende der Strom der Radausflügler kaum abreißt. Aber: "Seit es das 9-Euro-Ticket gibt, sind die Fahrgastzahlen zu 75 Prozent eingebrochen." Viele Menschen fahren anscheinend lieber billig mit der Bahn irgendwohin, anstatt die Erholung vor der eigenen Haustür zu suchen. Junghans ist fassungslos: "Ich stehe sonntags hier um 15 Uhr und es kommt kein Mensch. Das hatten wir nicht mal zu Corona-Zeiten." Zusätzliches Geld kommt mit Ausflugs- und Charter-Fahrten rein. So hat etwa die Arbeiterwohlfahrt (Awo) die Fähre früher für Rentnerausflüge gebucht. Mit dem Awo-Skandal sind dafür die Sponsoren abgesprungen; die Fahrten sind gestrichen.

Frankfurt: „Walter Kolb“ die letzte Fähre der Stadt

Fraglich ist, ob die Fähre in die Zuständigkeit des Straßenbauamts gehört. Sie ist wie Schloss, Zollturm, Justinuskirche und Bolongaropalast Teil des Höchster Mainpanoramas und damit ein Kulturgut; ihre Tradition reicht nachweisbar 400 Jahre zurück. Seit der Einrichtung des Frankfurter Grüngürtels 1991 ist sie Teil des Rundwanderwegs und des Radrundwegs. "Die Fahrt über den Main ist ein richtiges Vergnügen", wirbt die städtische Tourismus + Congress GmbH.

Doch dieses Vergnügen ist massiv gefährdet. Die "Walter Kolb" ist die letzte Fähre auf Frankfurter Stadtgebiet. Immer mehr sterben: Die Fähre in Mühlheim ist eingestellt; die Griesheimer Fähre gibt es schon seit 1963 nicht mehr; der Fährbetrieb weiter flussabwärts in Okriftel ruht derzeit, weil kein Fährmann gefunden werden kann. Notfalls will Junghans beschriftete Bettlaken an seine Fähre hängen: "Wenn alles nichts hilft, fahre ich vor den Eisernen Steg und schmeiße dort den Anker raus." (Holger Vonhof)

400 Jahre Höchster Fähre im Schnelldurchlauf

Die erste urkundliche Erwähnung einer Fähre bei Höchst datiert auf das Jahr 1623: Ein gewisser Jost Ferg (Ferg oder Ferch heißt Fährmann) zahlt sieben Gulden an den Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel für das Recht, sie betreiben zu dürfen. Höchst ist im Jahr zuvor, im Juni 1622, nach einer Schlacht zwischen braunschweigischen Truppen und der Armee Feldmarschall Tillys geplündert worden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts - im August 1904 - wird eine neue Gierseilfähre in Betrieb genommen; der Ständer für das Seil befindet sich auf der Wörthspitze. 1911 wird in Erlenbach eine neue Fähre mit einer Tragfähigkeit von 18 Tonnen gebaut. Ende März 1945 setzt der Fährmann Hermann Schmidt die Fähre in der Niddamündung durch Öffnen der Bodenventile auf Grund, um sie vor der Zerstörung durch die abziehende Wehrmacht zu retten; mit der geborgenen Fähre kann kurz darauf die erste Mainquerung wieder in Betrieb gehen, während alle Brücken gesprengt sind. Im Juni 1955 wird die Fähre elektrifiziert; 1966 kauft die Stadt Frankfurt dem Land Hessen das Fährregal, also das Recht, eine Fähre zu betreiben, ab. Mit der Eröffnung der Leunabrücke will die Stadt die Fähre dann stilllegen, doch nach Protesten der Bürger wird 1991 die heutige Fähre in Auftrag gegeben und 1992 beim Bootsbau Speck fertiggestellt. Der Name "Walter Kolb" wird von den Lesern dieser Zeitung bestimmt.

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