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Theatergruppe kämpft mit kleinen Geschichten für die großen Themen

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Von: Katja Sturm

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Das Team Scharpff zeigt eine Theaterperformance aus der Prärie der sozialen Kälte. Im Stück stehen die Alltagsexperten der Klassengesellschaft auf der Bühne und verlegen ihre Geschichten von sozialer Ungleichheit in den Saloon. Dort treffen Menschen aufeinander, die in der Welt draußen selten miteinander ins Gespräch kommen. FOTO: enrico Sauda
Das Team Scharpff zeigt eine Theaterperformance aus der Prärie der sozialen Kälte. Im Stück stehen die Alltagsexperten der Klassengesellschaft auf der Bühne und verlegen ihre Geschichten von sozialer Ungleichheit in den Saloon. Dort treffen Menschen aufeinander, die in der Welt draußen selten miteinander ins Gespräch kommen. © sauda

Die Theaterperformance „Goldene Fäuste“ des Teams Scharpff beschäftigt sich mit sozialer Ungleichheit und Benachteiligung.

Frankfurt -Sie sind Kämpfer für Gerechtigkeit, Engagierte in eigener Mission. Doch gerade sind die elf Cowboys und -girls, die sich da mit entsprechenden Hüten auf dem Kopf und Stiefeln an den Beinen lässig auf Holz- und umgestülpten Getränkekisten niedergelassen haben, in einer Saloon-ähnlichen Szenerie, zum Warten verurteilt. Worauf, ist nicht ganz klar. Aber sie langweilen sich, und so beginnen sie, Schnipsel aus ihrem Leben zu erzählen.

Soziale Ungleichheit direkt von den Opfern

„Goldene Fäuste“ hat das Team Scharpff die Theaterperformance genannt, die am Wochenende in einer Halle des Netzwerks Seilerei in Sachsenhausen zu sehen war. Die Künstlergemeinschaft um Regisseurin Heike Scharpff, die in Frankfurt begann, aber seit 2012 auch in Berlin arbeitet, hat dafür zu den Themen Klassismus und soziale Ungleichheit recherchiert und mit sogenannten Alltagsexperten gesprochen. Mit Menschen also, die selbst Erlebtes dazu beitragen konnten und auch bereit dazu waren, es vor Publikum zu wiederholen.

Genau darin liegt die Stärke der knappen Stunde. Worüber berichtet wird, ist nicht neu. Einer der Darsteller hält regelmäßig ein Schild mit einem Überbegriff hoch, dem man sich in den folgenden Minuten widmet. Wörter wie Herkunft, Arbeit, Wohnen und Alltag, Gesundheit oder Ausbildung liefern die Impulse, die jeweils den Erzählfluss in Gang setzen. Erstaunlich und beeindruckend offen geht es dabei zu. Es bedarf einer gehörigen Portion Mutes, um sich so zu zeigen.

Migrationshintergrund, Armut, Alter

Episoden, wie sie zu hören sind, sind hinlänglich bekannt. Von Benachteiligungen aller Art, von Misstrauen, von schwierigen bis scheinbar ausweglosen Situationen ist die Rede, die zu tun haben mit Anderssein, mit Migrationshintergrund, Armut, Alter, Wohnungsmangel. Es sind nicht die großen Geschichten, sondern die kleinen am Rande, die aber für jene, die davon betroffen sind, ein Riesenproblem ausmachen.

Eine ehemalige Zeitarbeiterin schildert, wie sie in der Abfertigung am Flughafen genauso hart schuftete wie jene, die beim Betreiber angestellt waren. Wie sie aber weniger Geld dafür erhielt und bei einer Sonderschicht am Heiligen Abend sogar das freie Essen in der Kantine verwehrt bekam. Das tut weh zu hören.

Trotz aller Härte fehlt es nicht an (Galgen-)Humor. John Wayne stellt sich wie die anderen zu Beginn am Mikrofon vor. Im Karohemd und weniger cool als aus den Westernklassikern gewohnt. Auch seine besten Zeiten sind vorbei. Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben, so lässt sich der Zustand des einstigen Revolverhelden zusammenfassen. Mit dem Tod wäre er besser gestellt, dann bekäme er ein Grundstück kostenlos: zwei Quadratmeter groß allerdings nur.

Was ihm bleibt, sind die täglichen Duelle. Doch die sind harmlos: Als Pistolen dienen nur die Finger, den zum Zeigen wie bei Kindern als Lauf nach vorne gestreckt. Die anderen in der Gruppe gehen dennoch schnell in Deckung.

Jobs werden ausgespielt

Wirklich miteinander gemessen wird mit anderen Mitteln. Ein Trio spielt mit Karten all die Jobs gegeneinander aus, die jeder von ihnen schon innehatte, und versucht die anderen so zu übertrumpfen. Zwei Frauen bauen Türme aus Wasserkästen gegeneinander auf. Zwischendrin gibt es melancholischen Gesang zur Gitarre.

Die Kälte macht einzelnen Gruppenmitgliedern zu schaffen, die Zeit zieht sich in diesem ungewöhnlichen Warteraum. Ein bisschen wirkt das wie bei Becketts „Godot“, doch deutlich weniger absurd, weil alles fassbar ist, die täglichen Nachrichten konkretisiert werden. Die Einzelschicksale aus der direkten Nachbarschaft berühren mehr als die großen Zahlen, hinter denen sie sich verbergen.

Dass es Laien sind, die als Schauspieler agieren, schmälert die Kraft des Vortrags nicht. Im Gegenteil: Es wirkt realistisch. Die Zuschauer bedanken sich mit langem Applaus.

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