Bauen in der Krise: Verein „Kollektiv Leben“ plant gemeinschaftliches Wohnhaus in Frankfurt
Der Verein „Kollektiv Leben“ beginnt im April den Bau seines gemeinschaftlichen Wohnprojektes in Frankfurt. 42 Menschen sollen dort unterkommen.
Frankfurt – In Griesheim, im Westen der Stadt Frankfurt, soll auf 1790 Quadratmetern ein gemeinschaftliches Wohnhaus entstehen. Der Verein „Kollektiv Leben“ arbeitet selbstorganisiert und ehrenamtlich an der Realisierung eines langfristigen Lebensraums, der nicht nur für die Bewohner nutzbar sein wird, sondern von welchem auch die gesamte Nachbarschaft profitieren kann. Die Gesamtkosten: 9 Millionen Euro.
Im Angesicht der immer weiter steigenden Mietpreise in deutschen Städten soll das neue Wohnhaus mit einem Quadratmeterpreis von 1,40 Euro dauerhaft bezahlbaren Wohnraum für Personen in unterschiedlichen Lebenssituationen schaffen. Die Räume können individuell von WG bis Familienheim genutzt werden. Dazu sollen die Wände leicht abzubauen sein, sodass Wohnungen beliebig kombiniert oder verkleinert werden können. Für „Kolle“ steht vor allem Flexibilität im Fokus. Lebenssituationen verändern sich laufend, darauf müsse eine Wohnung anpassbar sein.
Geplant sind 16 dynamische Wohneinheiten, in denen jede Person einen eigenen Rückzugsort bekommen soll. Dabei rechnet der Verein mit einem durchschnittlichen Flächenverbrauch von 35 Quadratmetern pro Kopf.

Die Vision in Frankfurt: Eine solidarische Nachbarschaft
Das klassische Nachbarschaftsverhältnis in Großstädten wie Frankfurt beläuft sich für gewöhnlich auf ein freundliches Nicken im Hausflur. Dies will „Kolle“ aktiv vermeiden. Der Verein setzt auf ein solidarisches Miteinander und kollektive Entscheidungen.
Die Bewohner des Hauses übernehmen also eine Doppelrolle: sie sind Mieter und gleichzeitig Vermieter. Wichtige Hausangelegenheiten, werden gemeinsam abgestimmt, von der Anschaffung eines Autos bis zur Aufnahme neuer Nachbarn. Ganz bewusst stellt „Kolle“ keinen Hausverwalter an, sondern setzt auf die Eigeninitiative des Hausvereins. Diese Selbstkontrolle ermöglicht das Modell des Miethaussyndikats, die als Gesellschafter beteiligt ist und die langfristige Existenz in den Händen des Vereins sicherstellt. Ein Verkauf oder Privatisierung der Wohnfläche sei so quasi ausgeschlossen.
Frankfurt: Verein „Kollektiv Leben“ orientiert sich an den vielfältigen Bedürfnissen der Hausbewohner
42 Menschen sollen das Haus voraussichtlich im Frühjahr 2025 beziehen. Neben den 20 Vereinsmitgliedern möchten sie bei der Auswahl der neuen Bewohner auf Diversität in Alter und Bildungshintergrund achten. Damit das funktioniert, setzen sie auch hier auf die Solidarität, einander zu unterstützen. Die Idee ist, dass Rentner beispielsweise jungen Eltern bei der Kinderbetreuung helfen und dafür im Gegenzug ihre schweren Einkäufe bis vor die Haustür geliefert bekommen.
Für die Miete kalkuliert „Kolle“ aktuell deutlich unter 500 Euro. Zudem werden 60 Prozent der Wohnbereiche geförderte Wohnungen sein, bei denen die Miete auf etwa 315 Euro gedeckelt ist. Für die frei vermieteten Räume errechnet sich die finale Miete aber für jeden Bewohner individuell anhand seiner Möglichkeiten. Ein solidarisches Mietkonzept erlaubt Ausgleiche und Entlastungen, sodass die Preise am Ende auch zwischen 400 und 550 Euro schwanken können, sagt Fabian Jellonnek im Gespräch.

Verein „Kollektiv Leben“: Haus in Griesheim soll Frankfurt langfristig bereichern
Die Idee des gemeinschaftlichen Wohnens entstand bei Fabian Jellonnek und anderen Vereinsmitgliedern durch die Frage nach einem langfristigen und zukunftsfähigen Wohnmodell. Kurz nach dem Einstieg ins Berufsleben wollte sich keiner vorstellen, für die nächsten 60 Jahre in einer festen Konstellation zu leben und Sozialkontakte aktiv planen zu müssen. So formulierten sie ihr ehrenamtliches Projekt und betonen, nicht auf die Erwirtschaftung von Profit aus zu sein.
Das Wohnhaus soll mit einem gemeinschaftlichen Wohnzimmer, Waschraum und einer Sauna sowie der etwa 500 Quadratmeter großen Terrassenfläche ein Begegnungsort für viele Menschen werden. Das Erdgeschoss wird zusätzlich öffentlich zugänglich sein und mit Veranstaltungsräumen, Co-Working-Spaces sowie Kreativ- und Beratungsräumen ausgestattet.
Nachhaltigkeit: Die Lage an der A5 erschwert das Projekt in Frankfurt
Der Bauplatz in Griesheim grenzt direkt an die Autobahn A5 und ist damit starkem Lärm ausgesetzt. Für das Schallschutzkonzept ist der Verein wohl oder übel auf den Einsatz von Beton angewiesen.
In ihrem weiteren Bauvorhaben legt „Kolle“ aber Wert auf die Wahl nachhaltiger Alternativen. Fabian Jellonnek erklärt, dass für die Fassade keine Verbundwerkstoffe genutzt werden sollen. Diese werde stattdessen schichtweise aufgebaut und somit gewissermaßen „vorgehängt“, sodass ein regelgerechtes Recyclen bei einem Abbau des Hauses in ferner Zukunft möglich bleibe. Herkömmliche Verklebungen seien mit dem Abriss nur noch Sondermüll.
Außerdem werde die Fassade begrünt und eine Solaranlage soll tagsüber eigenen Strom produzieren. Der Plan sei, dass das Haus in seinem Energiestandard fast als Passivhaus funktioniert. Das heißt, durch bestimmte Dämmungs-, Lüftungs- und Heizungstechnik soll weniger geheizt werden, wodurch eine erhebliche Energieersparnis erreicht werden kann. (Maibrit Schültken)