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"Vereine sind ein wichtiger Integrationsmotor"

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Seit 13 Jahren ist Daniela Birkenfeld (CDU)) Sozialdezernentin der Stadt Frankfurt - war 2015/16, als deutlich mehr Geflüchtete als in den Jahren zuvor und danach nach Deutschland kamen, also mittendrin. Eine ziemlich stressige Zeit. Seitdem schwört die 60-Jährige darauf, die rechte und die linke Gehirnhälfte getrennt zu beschäftigen: Der rechte Arm macht eine Rollbewegung, die linke Hand kreist auf dem Ball. "Wenn Sie das hinbekommen, denken Sie an nichts anderes mehr."
Seit 13 Jahren ist Daniela Birkenfeld (CDU)) Sozialdezernentin der Stadt Frankfurt - war 2015/16, als deutlich mehr Geflüchtete als in den Jahren zuvor und danach nach Deutschland kamen, also mittendrin. Eine ziemlich stressige Zeit. Seitdem schwört die 60-Jährige darauf, die rechte und die linke Gehirnhälfte getrennt zu beschäftigen: Der rechte Arm macht eine Rollbewegung, die linke Hand kreist auf dem Ball. "Wenn Sie das hinbekommen, denken Sie an nichts anderes mehr." © Sauda

Fünf Jahre nach "Wir schaffen das" erklärt die Frankfurterin Sozialdezernentin Daniela Birkenfeld (CDU), was geklappt hat und was nicht

"Wir schaffen das", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am 31. August 2015. Fünf Jahre später wollte Redakteurin Sarah Bernhard von Sozialdezernentin Daniela Birkenfeld wissen, ob wir in Frankfurt es wirklich geschafft haben und welche Herausforderungen noch vor uns liegen.

Frau Birkenfeld, aus Ihrer heutigen Sicht: Haben wir es geschafft?

Kommt darauf an, was man darunter versteht. Wenn man meint, viele Menschen in einem überschaubaren Zeitraum unterzubringen, im Sinne von einem Dach über dem Kopf und genug zu essen, dann ja, wir haben es geschafft. Und das dank der vereinten Kräfte von vielen haupt- und ehrenamtlichen Helfern sogar relativ schnell: Es gab eine Woche, in der wir 750 Menschen untergebracht haben. Wenn man aber darunter versteht - und ich glaube nicht, dass unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel das so gemeint hat -, dass die Menschen nach fünf Jahren voll integriert sind, ist das nicht der Fall. Ich habe aber auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich eine solche Vorstellung unrealistisch fände.

Warum das?

Wenn man auf Studien skandinavischer Länder schaut, konnte man damals schon sehen, dass bei 50 bis 60 Prozent der Menschen die Integration frühestens nach zehn Jahren abgeschlossen ist. Und selbst das halte ich für sportlich. Meine Hoffnung ist, dass alle, die 2015 nach Frankfurt gekommen sind, nach zehn Jahren eine Wohnung und überwiegend einen sicheren Arbeitsplatz haben.

Aber die Bundesagentur für Arbeit sagt doch, dass bereits 50 Prozent der Geflüchteten arbeiten?

Ich konnte diese Zahlen nie richtig nachvollziehen, deshalb schauen wir uns die Situation in Frankfurt lieber selbst an. 2018 hatten bei einer Erhebung in unseren Unterkünften 30,8 Prozent der Geflüchteten eine Arbeit, im Sommer 2019 waren es 36,2 Prozent. Übrigens gar kein schlechtes Ergebnis, wenn man bedenkt, was 2016 bei einer Befragung von 800 Asylbewerbern, die sich für einen Deutschkurs meldeten, herauskam: Ein Viertel musste noch alphabetisiert, 16 Prozent an die lateinische Schrift herangeführt werden. 42 Prozent hatten ein langsames Lerntempo. Es war gar nicht damit zu rechnen, dass diese Menschen schnell die Deutschstufe erreichen könnten, die sie für Ausbildungsplatz oder Berufseinstieg bräuchten.

Haben wir vielleicht einfach die Bildungsfernen abbekommen?

Nein. Die Agentur für Arbeit betrachtet die acht Hauptherkunftsländer der Flüchtlinge, nimmt aus technischen Gründen als Grundlage aber alle Menschen, die jemals aus diesen Ländern nach Deutschland gekommen sind, egal ob 2015 oder 1985. Natürlich arbeiten von denen, die schon länger hier sind, deutlich mehr. Die Prozentzahl sagt aber auch nichts über die Qualität und Dauer des Arbeitsverhältnisses aus. Nehmen Sie den Flughafen, der sehr viele einfache Helfertätigkeiten geboten hat. Bis Corona kam. Oder das Gastgewerbe, in dem ebenfalls viele ungelernte Tätigkeiten ohne große Deutschkenntnisse möglich waren. Auch nicht hilfreich im Moment. Selbst wenn wir im vergangenen Jahr einen kleinen Anstieg feststellen konnten, ist also nicht gesagt, dass das 2020 bei steigender Arbeitslosigkeit so bleibt. Zumal aufgrund von Corona Menschen mit höherem Bildungsabschluss arbeitslos wurden und sich auf die gleichen Stellen bewerben.

Aber zumindest bei der Ausbildung sieht es doch gut aus. Bei der IHK Frankfurt gab es Ende Juli 782 Azubis aus den neun häufigsten Asyl-Herkunftsländern.

Ja, hier kann man die Erfolge der speziell eingerichteten Integrationsklassen sehen. Auch die Anzahl der Schulabgänger mit Hochschulreife steigt. Fakt ist aber auch: Neun Prozent der über 16-jährigen Geflüchteten in Frankfurt waren 2019 ganz ohne Beschäftigung und warteten zum Beispiel auf eine Arbeitserlaubnis oder den Beginn eines Sprachkurses. Viele kommen zudem aus Ländern, in denen sie keine Schule besuchen konnten und deshalb nicht gelernt haben zu lernen. Da müssen wir noch viel mehr in Bildung investieren.

Mehrere Menschen mit Migrationshintergrund haben schon zu mir gesagt, dass wir Deutschen es übertreiben. Wer sich integrieren wolle, der schaffe das auch, wer nicht wolle, solle auch keine Kurse bekommen, sondern gehen.

Das verkennt die Kulturkreise, aus denen die Menschen kommen. Für uns ist es ein Wert, einen Arbeitsplatz zu haben. Aber wenn man aus einem Kriegsgebiet kommt oder aus einer Region, in der Dürre ganze Ernten vernichtet, denkt man ans Überleben und bis zum nächsten Tag. Außerdem haben sich einige Geflüchtete das Leben hier anders vorgestellt. Schlepper haben zu ihnen gesagt: In Deutschland hat jeder eine Wohnung und ein Auto. Also wollen sie schnell Geld verdienen und verstehen nicht, warum sie erstmal die Schulbank drücken sollen. Ihre in der Ferne entstandenen Träume und Wünsche zerplatzen.

Kann man diese Menschen dann überhaupt in unsere Gesellschaft integrieren?

Man sowieso nicht. Jeder ist zunächst für sich selbst verantwortlich. Wir können und müssen aber Wege aufzeigen und ebnen. Ein wichtiger Integrationsmotor sind für mich Vereine. Und es stört mich erheblich, wenn ich in unseren Befragungen lese, dass in unseren größeren Gemeinschaftsunterkünften nur 152 Bewohner Mitglied in einem Verein sind. Das sind nicht mal fünf Prozent! Zwei Drittel von ihnen sind erwachsen, fast ausschließlich Männer, davon sind nahezu alle im Fußballverein. Nur 51 sind Kinder. Ich frage mich: Wie können wir noch klarer kommunizieren, dass die Stadt Frankfurt Sportvereine mit hohem Jugendanteil besonders fördert? Der Mitgliedsbeitrag für die Kinder wird ja bereits mit dem Bildungs- und Teilhabepaket vollständig übernommen. Ein anderes Beispiel ist das Ehrenamt. Rund 14 Prozent der erwachsenen Geflüchteten sind ehrenamtlich tätig. Aber nicht klassisch, sondern vor allem in den Unterkünften. Das hat mit Integration, wie ich sie mir vorgestellt hatte, nicht viel zu tun.

Werden Sie etwas dagegen tun?

Wir werden unsere Erkenntnisse nutzen, also fragen: Wie kommt es, dass so wenige Geflüchtete in Vereinen oder ehrenamtlich tätig sind, und was können wir gezielt tun, um das zu ändern? Eine Offensivkampagne gemeinsam mit den Trägern der großen Gemeinschaftsunterkünfte ist da eine Möglichkeit.

Das Problem scheint drängend zu sein.

Ja, denn in den Unterkünften haben sich mittlerweile eigene Strukturen entwickelt, aus denen die Familien und Kinder raus müssen. Die Tochter eines Kollegen geht in Bonames zur Schule, am Anfang haben sich die geflüchteten und die im Stadtteil lebenden Kinder gegenseitig zum Geburtstag eingeladen. Mittlerweile haben sich - auch durch Corona - die Strukturen so verändert, dass das natürliche kindliche Miteinander neu belebt werden muss.

Sie haben gerade die Ehrenamtlichen angesprochen. Ist die Hilfsbereitschaft seit 2015 gesunken?

Ich würde eher sagen, dass sie am Anfang ungewöhnlich hoch war und sich jetzt normalisiert hat. Solche Sachen wie alle Kinder einer Einrichtung zu einem Grillfest einzuladen oder gemeinsame Fahrradtouren gibt es nicht mehr in dem Maß wie damals. Aber die Hausaufgabenhilfe und die Lesepatenschaften für Kinder werden noch von vielen ehrenamtlichen Helfern der ersten Stunde getragen. Und die Patenschaften eins zu eins sind mehr geworden. Wir haben sehr viele Frankfurter, oft mit eigener Fluchterfahrung, die etwas weitergeben möchten, was sie selbst als Unterstützung erfahren durften. Viele zehren auch von der Begegnung, haben zum Beispiel selbst Kinder im gleichen Alter oder den gleichen Beruf und freuen sich, einen Sparringspartner zu haben.

Gibt es noch weitere Herausforderungen?

Eine große Problematik ist das Gendergap. Viele Frauen kommen aus Kulturkreisen, in denen Reichtum durch die Anzahl der Kinder definiert wird. Es ist schwierig, sie zu überzeugen, unsere Sprache zu lernen, weil ihr Ziel ja ein ganz anderes ist. Umso mehr Kinder eine Familie hat, desto schwieriger wird es für sie aber, eine Wohnung zu finden. Und ohne eine eigene Wohnung haben die Kinder keine Möglichkeit, etwa in Ruhe Hausaufgaben zu machen. Deshalb freue ich mich zum Beispiel, dass die Johanniter in einer Einrichtung Deutsch für alle, unabhängig vom Aufenthaltsstatus anbieten. Das hat dazu geführt, dass dort mehr Frauen einen Kurs gemacht haben als in anderen Einrichtungen.

Das ist ja wunderbar!

Ja, dass die Frauen andere Wege gehen, ist gut und richtig, kann aber auch zu neuen Problemen führen. Denn die Geflüchteten kommen im Wesentlichen aus Ländern, in denen Frauen nicht die gleichberechtigte Rolle einnehmen, die sie hier haben. Stellen Sie sich vor: Der Mann, der immer der Ernährer war, die Flucht organisiert, finanziert und alles geregelt hat, findet schon eine Weile keine Arbeit. Das allein nagt an seinem Selbstverständnis. Und dann macht die Frau plötzlich einen Deutschkurs, hat ein Außenleben, kann manche Dinge vielleicht sogar besser regeln als er selbst. Das fühlt sich für ihn an, als ob sie ihm nicht mehr genügend Respekt zollt. Manche Männer werden dann krank oder gewalttätig. Das ist aber kein neues Phänomen. In den Niederlanden werden arbeitslose Männer schon seit Jahren in speziellen Einrichtungen tagsüber psychisch aufgebaut, so dass sie abends in der Familie keine Gewalt ausüben. Deshalb kann es für solche Familien unter Umständen besser sein, wenn sie noch eine Weile im Fokus der Sozialarbeiter in einer Gemeinschaftsunterkunft bleiben, statt sie zu schnell in der Anonymität der Großstadt zu verlieren.

Wie sieht es in Sachen Wohnungen aus?

Seit 2015 haben wir gut 1000 Haushalte in eigenen Wohnungen untergebracht, die meisten davon privat, weil auf der Warteliste für eine Sozialwohnung in Frankfurt bereits über 10 000 Haushalte stehen. Im Moment haben theoretisch 2200 weitere Personen aus den Unterkünften einen Anspruch auf den Einzug in eine geförderte Wohnung, doch das ist noch einmal schwieriger geworden. Vor einigen Jahren waren viele der Geflüchteten alleinstehend, jetzt haben wir 180 Familien mit fünf oder mehr Köpfen. Wohnungen in dieser Größe stehen in Frankfurt aber kaum zur Verfügung.

Klingt, als ob es bis zur vollständigen Integration tatsächlich noch eine Weile dauern könnte.

Wir sind auf einem guten Weg, aber Integration ist kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf.

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