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Verfolgt, deportiert - trotzdem hat diese Frankfurterin das Lachen nicht verlernt

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Von: Brigitte Degelmann

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Edith Erbrich mit ihren Lebenserinnerungen, das Cover des Buchs hat sie auch gerahmt. Sie tragen den Titel „Ich hab’ das Lachen nicht verlernt“ - und das, obwohl sie in ihrer Kindheit Fürchterliches erleiden musste.
Edith Erbrich mit ihren Lebenserinnerungen, das Cover des Buchs hat sie auch gerahmt. Sie tragen den Titel „Ich hab’ das Lachen nicht verlernt“ - und das, obwohl sie in ihrer Kindheit Fürchterliches erleiden musste. © Peter Klein

1945 wurde Edith Erbrich auch Frankfurter deportiert. Sie überlebte, und eines konnten die Nazis ihr nicht brechen: ihre Fröhlichkeit.

Frankfurt -Fröhlich, sagt Edith Erbrich, sei sie immer gewesen. Und so musste sie auch nicht lange nachdenken, als es um einen Titel für ihre Lebenserinnerungen ging, die sie vor zwei Jahren in Zusammenarbeit mit Hans-Josef Rautenberg veröffentlicht hat: „Ich hab’ das Lachen nicht verlernt“ steht auf dem Buchdeckel. Was umso bemerkenswerter ist, weil die gebürtige Frankfurterin, die am heutigen Freitag ihren 85. Geburtstag feiert, in ihrer Kindheit Fürchterliches erleiden musste. Mit ihrem jüdischen Vater Norbert Bär wurden sie und ihre vier Jahre ältere Schwester Hella ins Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt, wo sie drei Monate voller Angst, Hunger, Demütigungen und Krankheiten erlebten, bis sie im Mai 1945 befreit wurden.

Den Stempel „Überlebende“ wollte sie nie tragen

Eine Zeit, über die sie jahrzehntelang nur mit ihrer Schwester sprach. Nicht dass sie sich geschämt hätte, sagt sie - „schämen müssen sich andere“. Aber sie habe kein Mitleid gewollt, nicht den Stempel der Überlebenden tragen wollen: „Ich wollte so anerkannt werden, wie ich bin.“

Eben eine quirlige, unternehmungslustige Frau, die nach der Schule eine Ausbildung absolviert und schließlich bei den Frankfurter Stadtwerken landet, für die sie 30 Jahre lang tätig ist. Die heiratet und mit ihrem Ehemann, der inzwischen gestorben ist, in den 1960er-Jahren nach Langen zieht, wo sie heute noch lebt. Und die nach Beginn ihres Ruhestands erst einmal für vier Monate nach Australien reist, um dort Freunde zu besuchen.

Unermüdliches Engagement - dafür gibt es die höchste Ehre

Doch nach ihrer Rückkehr erfährt sie von einer Freundin, dass es da diese Ausstellung über Kinder im Konzentrationslager Theresienstadt gegeben habe. Edith Erbrich wird hellhörig. Und wendet sich an die Organisatoren der Schau, den Studienkreis Deutscher Widerstand in Frankfurt, um zu erfahren, wo die Ausstellung noch gezeigt wird. Sie kommt ins Gespräch mit der damaligen Leiterin des Studienkreises und weiteren Mitgliedern, die sie schließlich davon überzeugen, vor Schülern über ihre Erlebnisse zu sprechen. Genau das tut Edith Erbrich seit 25 Jahren unermüdlich - ein Engagement, für das sie 2007 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Allein im Jahr 2019 absolvierte sie mehr als 50 Vortragstermine. Eine Strapaze, schließlich bedeutet das, dass sie jedes Mal wieder in das Grauen jener Zeit eintauchen muss.

Nackt duschen, die SS-Männer machen sich lustig

Sieben Jahre war sie alt, als sie die Schrecken des Konzentrationslagers am eigenen Leib erfuhr. Schon vorher war die Familie systematisch schikaniert worden. Der Vater musste Zwangsarbeit leisten, Leichen aus bombardierten Häusern und Stadtvierteln bergen. Die Mutter, eine Katholikin, widersetzte sich tapfer dem Druck, sich von ihrem jüdischen Mann scheiden zu lassen und musste deshalb sogar für drei Wochen in Beugehaft. Schon 1942 wurden die Großeltern nach Theresienstadt verschleppt, wo der Großvater kurze Zeit später starb.

Der Hunger quält - und die Aufseherinnen auch

Im Februar 1945 wurden auch Edith Erbrich, ihre Schwester und ihr Vater in das KZ deportiert. Sie erlebte, wie sich alle Frauen nackt ausziehen mussten, um zu duschen, und wie sich die SS-Männer über sie lustig machen. „Heul nicht, sei ruhig, sonst kommen wir weg und werden getrennt“, schärfte ihr die ältere Schwester ein. Dazu der quälende Hunger, der sie sogar dazu brachte, Kartoffelschalen zu essen - nur um etwas im Magen zu haben. Und vor allem die Angst vor den bösartigen Schikanen der Aufseherinnen.

Einmal, schildert Edith Erbrich, hätten diese den älteren Kindern einen Waggon voller Süßigkeiten versprochen worden, wenn sie eine Grube möglichst schnell ausheben. Entsprechend eifrig machten sich diese ans Werk. Tatsächlich fuhr am nächsten Tag ein Zug ein, an dem sich das Arbeitskommando erwartungsfroh aufstellte. Die Türen öffneten sich - und es bot sich ein fürchterlicher Anblick: In dem Waggon lagen keine Süßigkeiten, sondern Leichen.

Kurz versagt Edith Erbrich die Stimme, als sie darüber spricht. Doch dann fängt sie sich wieder. Ohne ihre Freunde, sagt sie irgendwann, hätte sie nicht die Kraft, um wieder und wieder dieses Grauen zu durchleben: „Aber ich erzähle das, damit das nicht vergessen wird.“ (Brigitte Degelmann)

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