Vom Laube befreit werden Wege und Gräber

Nachbarinnen kümmern sich um den Friedhof
Woher der kleine graue Filz-Zwerg mit seiner roten Mütze kommt, der meist an der Wurzel einer riesigen Linde sitzt, weiß niemand. „Manchmal sitzt er irgendwo anders, dann bringen wir ihn wieder an die Linde am Eingang zurück. Früher gab es ein Plüsch-Eichhörnchen, das plötzlich aufgetaucht war und auch hier saß“, erzählt Christa Dollmann. Vorsichtig harkt sie gelbe Blätter zusammen, die sich rund um den Zwerg gesammelt haben. Gemeinsam mit anderen Rödelheimern will sie den Friedhof schön haben. Quartiersmanagerin Heike Hecker kommt mit dem nagelneuen „Nachbarschaftsmobil“ auf den idyllischen Gottesacker. Thermoskannen mit heißem Kaffee und Wasser für Tee, Tassen, Becher und Schaumküsse stehen auf dem Bollerwagen. Daneben Schubkarren, Besen, Harken und Rechen, die zum Teil selbst mitgebracht wurden und zum Teil vom Grünflächenamt zur Verfügung gestellt werden. Die Frauen, die sich im dritten Jahr in Folge treffen, um gemeinsam zu harken, zu kehren und sich zu unterhalten, strahlen. „Ein Kaffeetreff auf dem Friedhof. Das haben wir uns schon immer gewünscht“, freuen sie sich.
Zu viele Bäume wurden gefällt
Andreas Klatt, Sachgebietsleiter vom Friedhofsamt, staunt. „Die Idee ist gut. In Frankfurt haben wir das bisher nicht, aber aus kleineren Orten ist das bekannt“, sagt er. Motiviert kümmern sich die Rödelheimer um die Gräber ihrer Liebsten. Dollmann und Erika Wolter mussten ihre Töchter zu Grabe tragen. Die Trauer sitzt tief. „Sie und alle, die hier liegen, sollen es schön haben“, so Wolter. Jeden Tag ist sie hier. Ebenso wie Dollmann. „Wenn wir sehen, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist, schneiden wir auch mal Efeu zurück oder stellen Blumen auf Gräber, die keiner besucht.“ Blumen und Töpfe würden „zu Hauf weggeworfen. Das muss doch nicht sein. Wenn sie schön sind, können sie andere Gräber schmücken.“ Alle, die dabei sind, finden, dass der Rödelheimer Friedhof etwas stiefmütterlich behandelt wird. „Auf dem Hauptfriedhof ist alles wunderbar, hier gibt es Verbesserungsbedarf“, sind sie sich einig. „Viel zu viele Bäume sind gefällt worden und Hecken sind entfernt worden“, beklagen sie. Einige dichte Buchenhecken lassen ahnen, wie heimelig die Atmosphäre war, als überall die dichten Hecken Teile der Gräberreihen eingerahmt haben. „Alles, was gefällt oder entfernt wurde, sollte genauso ersetzt werden. Es war so wunderschön. Jetzt ist es nur noch schön hier“, so die Frauen. „Im Sommer haben wir sogar die Bäume gegossen, wenn sie traurig aussahen“, so Dollmann.
Der Gruppe geht es nicht nur darum, den Friedhof schön aussehen zu lassen, sondern auch um das Gemeinschaftliche. „Hier kann man auch im Hochsommer durchatmen. Kinder können laufen und Senioren sich erholen“, weiß auch Christa Middendorf. Violetta Boda (32) ist das erste Mal dabei. Sie ist die Einzige, die niemanden auf dem Friedhof zu Grabe getragen hat. „Ich komme aus Polen. Als ich im Nachbarschaftsbüro von der Aktion heute gehört habe, war ich sofort dabei. In Polen machen wir das immer - den Friedhof vor dem 1. November zu putzen“, sagt sie. Der wohl älteste Grabstein hier datiert aus dem Jahr 1830. Das jüngste Grab ist erst wenige Tage alt. Ein jüdischer Friedhof grenzt direkt an. „Das ist ungewöhnlich. Die meisten Friedhöfe haben keine gemeinsame Mauer, die den jüdischen und christlichen Friedhof umgeben“, so Klatt. Wie alt der jüdische Friedhof der ehemaligen Gemeinde Rödelheim ist, ist unbekannt. Nur zwei oben abgerundete große Steine erinnern an die Gräber auf der grünen Wiese. Im christlichen Teil lassen sich Hunderte Namen lesen. „Sie sollen sichtbar bleiben und Erinnerungen an sie erhalten“, so die Frauen. „Es ist schön, wenn man auf dem Friedhof auch mit Lebenden Kontakt hat.“ Der kleine Filz-Zwerg an der Lindenwurzel scheint zuzustimmen. Er lächelt.