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„Von diesen Sportlern können wir viel lernen“

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Symbol der Gemeinsamkeit: Corinna Kleinekoenen trifft Maskottchen „Unitiy“.
Symbol der Gemeinsamkeit: Corinna Kleinekoenen trifft Maskottchen „Unitiy“. © privat

SPECIAL OLYMPICS Eine freiwillige Helferin (Volunteer) aus Frankfurt berichtet von ihren Erlebnissen in Berlin. Die Frankfurterin Corinna Kleinekoenen hat in der vergangenen Woche bei den Special Olympics World Games (SOWG) ganz besondere Tage erlebt. Die 33-Jährige beschreibt ihre Erlebnisse als Volunteer (freiwillige Helferin) in Berlin. Corinna Kleinekoenen stammt aus Hattersheim und arbeitet sonst als freiberufliche Moderatorin und Redakteurin.

Berlin -Ich sitze im Zug nach Berlin. Checke die neuesten Sportnachrichten. Das DFB-Team steckt in einer Krise, gut bezahlte Fußballprofis folgen dem Ruf des Geldes nach Saudi-Arabien. All das lese ich, während ich mich auf ein ganz besonderes Multisport-Ereignis freue: Die Special Olympics World Games 2023. Das größte Sportereignis für Menschen mit geistiger und mehrfacher Beeinträchtigung. Und ich als Volunteer mittendrin. Ein Ereignis, auf das ich mich lange gefreut habe - und das mich während meiner sieben Tage mehr bewegen wird, als ich es für möglich gehalten hätte.

Ich betrete die große Messehalle in Berlin am ersten Tag meiner Schicht als Volunteer. Mit dabei: Aufregung, Vorfreude und ein ordentliches Paket an Berührungsängsten. Denn so viel ich mich im Alltag mit Sport beschäftige - so selten sind doch die Begegnungen mit Menschen mit Einschränkungen. Zwar wurden alle freiwilligen Helfer online ausführlich geschult - doch wie läuft das im tatsächlichen Miteinander? Zum Glück bin ich mit diesen Zweifeln nicht allein: Während ich im lila Volunteer-Shirt meinen Weg zum Arbeitsplatz suche, treffe ich zwei weitere Ehrenamtliche, die ebenso aufgeregt und gespannt sind.

Mein Einsatzort ist das Media Center. Die erste Athletin, die ich dort treffe, ist die Leichtathletin Annika Krause. Die 36-Jährige hat die erste Medaille für Deutschland bei diesen Spielen gewonnen und wird zusammen mit weiteren deutschen Athleten bei der Pressekonferenz von ihrem Erfolg erzählen. Mein erstes persönliches Highlight! Was folgt, ist noch bemerkenswerter: Eine Pressekonferenz, die berührt.

Pressekonferenz ohne Floskeln

Weil dort auf dem Podium Sportler und Sportlerinnen sitzen, die keine Floskeln von sich geben. Die das sagen, was sie denken, was sie fühlen. Die authentisch sind und mit ihrer Leidenschaft zum Sport begeistern. Annika Krauses Kollegin Janet Streifler wurde Achte im Standweitsprung, weil sie diesmal in der höchsten Leistungsgruppe startete. Anstatt eine mögliche Goldmedaille verpasst zu haben, ist sie zufrieden: „Auch wenn ich gar keine Medaille nach Hause bringe, das ist mir egal. Hauptsache, ich habe meinen Spaß und bin dabei.“

Keine Wettkämpfe, sondern Wettbewerbe

Doch zu den vielen glücklichen Momenten bei dieser Pressekonferenz mischen sich auch ernste Töne. Denn auch hier wird klar, welch große Hürde viele Athletinnen und Athleten nehmen müssen, um überhaupt regelmäßig trainieren zu können. Nur acht Prozent der geistig oder mehrfach körperlich behinderten Menschen in Deutschland haben Zugang zu Vereinssport. „Es ist ein ganz wesentlicher Punkt für uns und ein Ziel, weshalb wir die Spiele nach Deutschland geholt haben: Die Sportstrukturen für Menschen mit Behinderungen müssen verbessert werden. Die Angebote sollen in der Fläche besser werden. Vereine sollen sich öffnen und wir müssen noch mehr Trainer ausbilden“, macht Tom Hauthal, Delegationsleiter Team Special Olympics Deutschland, deutlich.

So schnell, wie ich meine Barrieren im Kopf abbauen konnte, lassen sich die Hürden für Beeinträchtigte im Sport eben nicht beheben. Berührt zieht es mich zum nächsten Einsatzort - zum Powerlifting, wo ich gerade noch rechtzeitig ankomme: Der Kanadier Phil Brown stemmt die Gewichte - und das Publikum rastet aus. Was hier los ist, hätte ich mir niemals ausmalen können. Bis auf den letzten Platz ist die Tribüne besetzt, die über 500 Personen fasst.

Die Emotionen und die Geschichten, die hier geschrieben wurden, waren aber weit über diese Halle hinaus spürbar.

Kameramann mit Tränen in den Augen

Die nächsten Tage sind getragen von dieser Power, von den Gefühlen dieses Miteinanders. Ob in den Hallen der Messe, im Olympiapark, am Neptunbrunnen oder am Wannsee. Auf den Spielfeldern oder abseits davon. In Zeiten, die in vielen Bereichen von Leistungsdruck geprägt sind, entsteht bei den Special Olympics World Games ein Gefühl, dass es auch anders geht. Wettkämpfe gibt es hier nicht - hier wird von Wettbewerben gesprochen. Wer das Finale verliert, trauert nicht, sondert feiert mit den Siegern. Es wird gemeinsam gelacht und getröstet. Dieser Spirit, dieser Zusammenhalt, schwappt wie eine Welle über alle, die hierherkommen, Besucher sowie Journalisten. Wo sonst um das beste Bild gekämpft wird, nimmt ein Kameramann sein Arbeitsgerät von der Schulter - weil er von Emotionen überwältigt und mit Tränen in den Augen nicht mehr durch die Linse blicken kann.

„Inklusion kann so einfach sein“

Und auch der Zusammenhalt bei uns Volunteers ist an allen Ecken zu spüren. Kannten wir uns vorher nicht, sind wir in kürzester Zeit zu einer Einheit gewachsen. Auch hier werden Menschen mit Beeinträchtigung eingesetzt, was nicht nur gut funktioniert: Es funktioniert sehr gut. So gut, dass es einfach normal ist - und ich mich selbst bei dem Gedanken erwische, wie einfach Inklusion doch sein kann. Jeder macht das, was er kann, gibt hier sein Bestes - eben das gleiche Motto wie bei den Athleten und Athletinnen.

Die Special Olympics World Games 2023 sind nun vorbei. Ich sitze im Zug und lese die Sportnachrichten. Sie sind voll mit Artikeln über diese Spiele, die zum Fest für Sport und Inklusion wurden. Die Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zusammengebracht, und nicht nur bei mir viele Hürden abgebaut haben. Glückliche Momente, die ich und viele andere Menschen so nie vergessen werden. Die uns aber weiter daran erinnern sollen, dass mit dem Erlöschen der Special-Olympics-Flamme die Arbeit für mehr Inklusion noch lange nicht vorbei ist.

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