Wenn sich das Zirkuszelt über den Festplatz erhebt: Cirque du Soleil in Frankfurt
Fünf Tonnen wiegt das „Grand Chapiteau“ des Cirque du Soleil. Mit 100 Helfern wird es im Ratsweg in Frankfurt aufgebaut
Frankfurt - Das große Dach des Cirque du Soleil wird mit vereinten Kräften und langsam auf dem Festplatz errichtet. Etwa 70 der jeweils 5,5 Meter langen Stangen müssen gleichzeitig aufgerichtet werden.
Die rund 100 Männer und Frauen sehen aus, als wollten sie zu einer Höhlenexpedition aufbrechen: schweres Schuhwerk, Schutzweste, Helm, Funkgerät, Stirnlampen, Werkzeuge am Gürtel, dicke Arbeitshandschuhe über den Händen. Man weiß gar nicht so recht, wo sie alle hergekommen sind, denn eben schien der Festplatz am Ratsweg noch fast leer. Jetzt sammelt sich eine Menschentraube und schlüpft unter den Rand des Daches, des Big Top, des Zeltes des Cirque du Soleil hindurch ins Innere, wo unter sattem Blau tatsächlich ein wenig Höhlenatmosphäre herrscht.

Ein Zelt wie ein dicker Pilz - es wird traditionell auf Menschenkraft gesetzt beim Cirque du Soleil
Noch liegt das Dach wie ein dicker Pilz auf seinen Knien. Doch das wird sich in den nächsten Minuten ändern. Die Männer und Frauen nehmen ihre Positionen an den rund 70 jeweils 5,5 Meter langen und 35 Kilogramm schweren Metallstangen ein. Sie knien nieder, beugen sich hinunter und packen fest zu. Raoul Van Nistelrode, Leiter der Technik und Organisation seit 2001, hält seine ermahnende Rede, dass man vorsichtig vorgehen soll. „Es kommt auf die Langsamkeit an, die sorgt für die Sicherheit“, erklärt er unserer Zeitung. Und es kommt darauf an, dass alle gleichzeitig arbeiten, keiner schneller oder langsamer. „Es geht um das Gemeinsame.“
Etwa 170 Mal habe er das Zelt schon mit diesen Leuten aufgebaut, schätzt er. 170 Mal hat er laut rufend eingezählt. So auch jetzt, auf Englisch. Das verstehen alle: „Hey, guys, one, two, three: push!“ Und 100 Menschen geben alles, stemmen die Stahlstangen hoch und mit ihnen die fünf Tonnen schwere Zeltplane und das Gestänge, auf dem sie befestigt ist. Ein paar Sekunden, dann setzen sie die Stützen ab, justieren und ziehen zum nächsten Viertel des Zeltes weiter. Dreimal wiederholt sich diese Prozedur, dann steht das Grand Chapiteau auf seinen Beinen. „Das wird noch traditionell mit Menschenkraft gemacht, nicht mit Maschinen“, sagt Charlie Wagner, die auch für die Pressearbeit zuständig ist. Und das hat was.
Ein neuer Abschnitt beginnt - beim Zeltaufbau in Frankfurt packen beim Cirque du Soleil alle mit an
Das Zelt ist das Symbol des Zirkusses. Wird es aufgestellt, dann beginnt ein neuer Abschnitt in der Zirkusgeschichte, an einem neuen Ort, mit neuen Besuchern. Während das Zelt aufgestellt wird, ruht alles andere - auch heute noch. Denn: „Alle packen mit an, auch die aus der Küche und aus dem Büro“, sagt Van Nistelrode. Auch vier Artisten helfen mit, Trapezkünstler, die man in der Show unter dem 19 Meter hohen Zeltdach bewundern können wird, wie sie an ihren Schaukeln schwingen, sich lösen, durch die Luft wirbeln und in den Armen der Kollegen landen. Sie haben Kraft und sind es gewohnt, einander zu vertrauen. Sie wissen, dass es nur gemeinsam geht.
„Endlich mal Sonne“, lacht ein Arbeiter und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Das ist gar nicht ironisch gemeint, auch wenn das Thermometer um die 30 Grad zeigt und der Asphalt des Festplatzes die Hitze um ein Vielfaches reflektiert. In Wien, der vorherigen Station, habe man schlechtes Wetter gehabt, kalt war es und Starkregen gab es.
Ein halbes Dutzend Arbeiter ist schon am 22. Mai nach Frankfurt gekommen, während die Show in Wien noch lief. Sie haben den Festplatz vermessen und unzählige unterschiedlich farbige Markierungen auf den Boden gesprüht, die in ihrer Komplexität an das Rollfeld des Frankfurter Flughafens erinnern. „Das muss alles auf den Millimeter genau stimmen“, erklärt Van Nistelrode.
1100 Stahlnägel stecken im Boden und halten das Zelt des Cirque du Soleil in Frankfurt
Bis das Zelt ankam, wurden die Heringe in den Boden getrieben, die angesichts ihrer Dimensionen eher die Bezeichnung „Pottwale“ verdient hätten. Mehr als armdick sind sie und 1,50 Meter lang. Insgesamt 1100 dieser Riesenstahlnägel stecken im Ratsweg, 550 davon für das Hauptzelt. Mit einem hydraulischen Bohrhammer wurden sie in die Tiefe getrieben. An ihnen hängt der ganze Zirkus. Das große Zelt hält Windstärken von bis zu 120 km/h Stand.
Die 100 Zelthiever applaudieren - sich und dem Zelt, das strahlend weiß in der gleißenden Sonne blendet. Dann tragen sie riesige Rollen der Außenwandplanen herbei und beginnen sie einzuhängen. Männer mit Muskeln wie Stahlarbeiter pumpen an den Spanngurten. „Da muss auf jedem die gleiche Kraft lasten“, sagt Van Nistelrode.

Es sind gewaltige Kräfte, die walten, um eine solch große reisende Show zu realisieren. 150 Menschen sind bereits jetzt am Ratsweg am Ackern, verbauen alles, was mit 80 Sattelschleppern dorthin gebracht wurde. Während des gut fünfwöchigen Gastspiels wird der Cirque du Soleil für 250 Menschen zum Arbeitsplatz und für bis zu 120 000 Menschen für ein paar Stunden zu einem Ort, an dem sie Dinge erleben, von denen sie sonst nur träumen können. Und dann, nach 48 Shows im 2500-Personen-Zelt, wird alles wieder abgebaut und es geht weiter.
Mit der Show „Luzia“ will der Cirque du Soleil die Frankfurter Besucher verzaubern
Von 14. Juni bis 23. Juli gastiert Cirque du Soleil mit seiner Show „Luzia“ auf dem Festplatz am Ratsweg. Vorstellungen gibt es mittwochs bis sonntags - manchmal zwei am Tag. Eintrittskarten gibt es ab 46 Euro.
Mit „Luzia“ entführt Cirque du Soleil in ein imaginäres Mexico. Der Titel setzt sich zusammen aus dem spanischen „luz“(Licht) und „illuvia“ (Regen). Licht und Regen sollen Geist und Seelen nähren. Dafür werden Artisten Traditionelles und Modernes verschmelzen lassen und mit ihrer Kunst Geschichten erzählen. Musik, Kostüme, Bühnenbild entlehnen sich der mexikanischen Kultur. (Michelle Spillner)