Wie Bürger in Frankfurt erfolgreich ihre Interessen durchsetzen - und wie nicht

Es ist paradox: Die Ideen des abgelehnten Rad-Entscheids wurden in Frankfurt umgesetzt. Die für den Erhalt der Galopprennbahn nicht, obwohl die Aktivisten siegten. Warum nur?
Frankfurt – Einmal die Stimme abgeben, dann fünf Jahre nichts mehr zu sagen haben? Natürlich geben die Bürger mit ihrer Wahl am 14. März "nur" die Grundrichtung der Politik in Frankfurt für die nächste Wahlperiode vor. Doch außen vor bleibt das Wahlvolk in dieser Zeit nicht. Gibt es etwas Wichtiges, kann es eingreifen - mit einem Bürgerentscheid. Der ist ein überaus mächtiges Instrument direkter Demokratie.
Radfahrer lieben sie, Autofahrer eher nicht, doch sie sind seit Sommer 2020 da: die neuen Fahrradspuren von der Alten Brücke via Konstablerwache bis in die Friedberger Landstraße. Sie sind ein Zeichen, dass die Stadtpolitik den Radverkehr stärker fördert.
Frankfurt: Rad-Entscheid entstanden aus Diskussionsrunde im Drosselbart
Und die knallroten Spuren zeugen davon, wie wirkungsvoll direkte Demokratie ist. Denn es war ein Bürgerentscheid, der dafür sorgte, dass es sie gibt. Es genügte, dass ein solcher nur drohte, damit die Stadtpolitik reagierte. Es war 2017 im Lokal "Drosselbart", als eine Runde von sechs Fahrradfreunden Ebbelwei zischte und lamentierte, "dass der Radverkehr in Frankfurt nicht in die Gänge kommt". So erinnert sich Heiko Nickel aus Seckbach, der auch verkehrspolitischer Sprecher des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) in Hessen ist.
Die kleine Gruppe entschied sich, etwas zu tun. Zu einem Unterstützertreffen wenig später kamen schon 50 Menschen ins Bürgerhaus Bornheim. Die Aktivisten entschieden, ein Konzept für den Ausbau der Fahrrad-Infrastruktur zu erarbeiten und eine Finanzierung auf die Beine zu stellen. Das ist gesetzlich für ein Bürgerbegehren vorgeschrieben. Dann begannen sie, Unterschriften zu sammeln. 15 064 mussten es mindestens sein, damit das Begehren eines Bürgerentscheid erfolgreich sein könnte.
Rad-Entscheid in Frankfurt: Der Magistrat lehnt zwar ab, aber dann geht es erst los
Der Rad-Entscheid bekam sogar mehr als 40 000 Unterstützungsunterschriften. "Das Thema war überfällig und hat in der Bevölkerung geschwelt", erklärt sich Nickel den Erfolg. Was noch nötig war: "Man braucht ein gutes Team", da die viele Arbeit nur gemeinsam erledigt werden könne. Die drei vorgeschriebenen Vertrauenspersonen - einer davon Nickel - reichten das Bürgerbegehren im Römer ein. Monatelang prüfte die Verwaltung und kam zum Ergebnis: Die Finanzierungsvorschläge seien nicht genau genug, die Umsetzung nicht leistbar. Daher lehnte der Magistrat das Bürgerbegehren ab.
Doch kurz darauf stieg die Stadtregierung in Verhandlungen mit den Rad-Aktivisten ein. "Verkehrsdezernent Klaus Oesterling war sehr beeindruckt von der Anzahl der Unterschriften", sagt Nickel. Und mit einem von Stadtplanern ausgearbeiteten, fachlich ausgereiften Konzept inklusive stimmiger Finanzierung wussten sich die Aktivisten auf der sicheren Seite. "Die Stadt hatte die Details zur Finanzierung nie angefordert", sagt Nickel. Mehrfach habe man sie aufgefordert, es auf eine gerichtliche Klärung ihres Nein ankommen zu lassen. Denn: "Es gibt bis heute keine Rechtsprechung, was als Finanzierungsvorschlag genügt." Ähnlich wie Oesterling sahen es auch die Koalitionsfraktionen von CDU, SPD und Grünen. Ganz ohne Bürgerentscheid beschloss die Stadtverordnetenversammlung Mitte 2019 ein umfassendes Programm zum Ausbau des Radverkehrs. "Wir haben zu 100 Prozent alles gekriegt", sagt Nickel begeistert. Und dass das auch umgesetzt wird - siehe Friedberger Landstraße - rechnet er dem Verkehrsdezernenten "hoch an", sagt der Rad-Aktivist: "Er hat seine Meinung stark geändert und zieht es jetzt durch."
Frankfurt: Rennbahn-Entscheid – Gewonnen, aber doch verloren
Es ist ein Frankfurter Paradox: Während die Ziele eines Bürgerentscheids umgesetzt werden, der abgelehnt wurde, ist beim ersten und bisher einzigen Frankfurter Bürgerentscheid, den es gab, nichts herausgekommen. Noch paradoxer: Die Initiatoren des Bürgerentscheids zur Rettung der Galopprennbahn konnten sich im Juni 2015 sogar über einen Sieg freuen. Mit 60,5 Prozent votierten knapp 63 000 Wähler gegen die Umwandlung des Geländes in die DFB-Akademie des Deutschen Fußball-Bundes.
"Im Prinzip hatten wir gewonnen", sagt Christiane Weil-Daßbach, seinerzeit Vizepräsidentin des Rennklubs und eine der Vertrauenspersonen des Begehrens. Allerdings hätte die Mehrheit mindestens knapp 125 000 Stimmen und damit 25 Prozent der Wahlberechtigtenstimmen ausmachen müssen, damit der Bürgerentscheid gilt. So aber war er gescheitert. "Es ist fast utopisch, solche Zahlen zu erreichen", sagt Weil-Daßbach. Just einige Wochen später senkte das Land zwar die Mindestmehrheit in Großstädten auf 15 Prozent der Stimmberechtigten. "Da hätte es anders ausgesehen", schätzt die Aktivistin. Doch wären auch dann noch rund 74 000 Ja-Stimmen notwendig gewesen.
Aktivisten müssen Repressalien bis ins Private erdulden
Nach 152 Jahren gab es 2015 das letzte Pferderennen auf der Rennbahn, auch der Rennklub ist Geschichte. Überzeugt ist Weil-Daßbach aber, dass der Bürgerentscheid der richtige Weg gewesen sei um zu versuchen, den DFB aufzuhalten. "Ich finde, die Bürger sollten viel mehr eingebunden werden." Sie mahnt zugleich: Wer per Bürgerbegehren für eine Sache fechte, "sollte schauen, wer der Gegner ist und starke Partner auf seiner Seite haben". Mit dem DFB hätten die Rennbahn-Aktiven einen "Gegner mit sehr großem Einfluss" gehabt. Die Folgen seien nicht immer angenehm gewesen, seufzt die Ex-Rennklub-Vizepräsidentin. "Wir haben schon einige Repressalien erfahren, bis ins Private." Hetze aus der Politik beschäftigte sogar die Justiz.
"Ein Bürgerbegehren ist kein Ego-Trip"
Warum hat es der Rad-Entscheid dagegen geschafft, seine Ziele durchzusetzen - sogar ohne dass die Bürger je an die Wahlurnen gerufen wurden? "Es ist die Kunst, alle Bürger mitzunehmen", erklärt Heiko Nickel. Und ein Thema von breitem Allgemeininteresse zu vertreten. Es dürfe "nicht um Narzissmus" Einzelner gehen. Das offenbart der Rad-Entscheid bis heute: Die Gruppe trifft sich alle zwei Wochen, aktuell natürlich digital. "Da sind immer 30, 40 Leute dabei." Die Aktiven hätten "alles der Sache untergeordnet", also beim Rad-Entscheid nicht für sich selbst gekämpft, sagt Nickel. "Ein Bürgerbegehren ist kein Ego-Trip."
So funktionieren Bürgerentscheide und Bürgerbegehren
- Bürgerentscheide als Form direkter Demokratie auf kommunaler Ebene sind in Hessen seit 1993 möglich. Das zugehörige Gesetz dafür hat der Landtag erlassen.
- Damit ein Bürgerentscheid erfolgreich ist, muss eine Mehrheit der Wähler dafür stimmen, aber ebenso ein Quorum erfüllen: Die Mehrheit muss mindestens 15 Prozent aller Stimmberechtigten des Ortes ausmachen in Großstädten mit mehr als 100 000 Einwohnern. Bei mehr als 50 000 Einwohnern müssen es 20 Prozent sein, darunter mindestens 25 Prozent.
- Drei Jahre lang ist die Stadtverordnetenversammlung an das Ergebnis eines Bürgerentscheides gebunden.
- Ein Bürgerbegehren ist quasi der Antrag auf einen Bürgerentscheid. Er muss wichtige formale Kriterien erfüllen, beispielsweise eine mit Ja oder Nein zu beantwortende Frage stellen. Er muss von mindestens drei Prozent der Wahlberechtigten einer Großstadt per Unterschrift unterstützt werden (5 Prozent in Städten mit mehr als 50 000 Einwohnern, darunter 10 Prozent). Ebenso muss eine Begründung mitgeliefert werden und ein realistischer Vorschlag, um Kosten und Folgekosten zu finanzieren.
Das waren bisher die Bürgerbegehren in Frankfurt
- Oft richten sich Bürgerbegehren gegen Beschlüsse einer Gemeindevertretung oder Stadtverordnetenversammlung. Dann muss das Begehren mit einer Frist von acht Wochen nach Beschluss eingereicht werden.
- In Frankfurt hat es erst einen Bürgerentscheid gegeben: 2015 für den Erhalt der Galopprennbahn Niederrad statt des Baus der Akademie des Deutschen Fußballbundes (DFB).
- Gegen den Verkauf des U-Bahn-Netzes und danach dessen Rückanmietung hatten Aktivisten 2003 insgesamt 48 000 Stimmen gesammelt. Damit der Bürgerentscheid nicht durchgeführt werden musste, stoppten CDU, Grüne und FDP ihre Pläne und verkauften die U-Bahn nicht an einen US-Investor.
- Gleichsam reagierte die Stadtpolitik 2019 auf das Bürgerbegehren Rad-Entscheid : Mit mehr als 40 000 Unterstützern stand ebenfalls ein Bürgerentscheid im Raum. Stattdessen beschlossen CDU, SPD und Grüne den umfangreichen Ausbau der Infrastruktur für Radfahrer.
Dieses zwei Bürgerbegehren laufen derzeit in Frankfurt
- Aktuell liegen 23 588 Unterschriften der Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus zur Prüfung im Römer: Sie fordert einen Bürgerentscheid, um das Schauspielhaus aus der Kaiserzeit originalgetreu wieder aufzubauen. Die Stadtverordnetenversammlung hatte voriges Jahr mit großer Mehrheit beschlossen, Oper und Schauspiel am Willy-Brandt-Platz abzureißen und neu zu bauen. Gutachten hatten das als wirtschaftlichste Lösung empfohlen. Die Römerkoalition aus CDU, SPD und Grünen lehnt die Rekonstruktion ab, weil sie einem modernen Theaterbetrieb nicht gerecht werde.
- Vor Gericht ist derzeit der Miet-Entscheid : Seine Initiatoren wollen erreichen, dass die städtische Wohnungsbaugesellschaft ABG Holding nur noch Sozialwohnungen bauen darf und Sozialmieten auf dieses Niveau senkt. Dafür gab es zwar 25 000 Unterschriften, der Magistrat aber stoppte das Begehren aus formalen Gründen: Gleich in sechs Punkten sei es nicht zulässig, unter anderem weil es kommunalem Recht widerspreche und auch der Kostendeckungsvorschlag nicht ausreiche. (Dennis Pfeiffer-Goldmann)