1. Startseite
  2. Frankfurt

Wie ein Minibus die Menschen in Frankfurt vom Auto weglockt

Kommentare

Lisa Rupprecht und Tobias Schreiber mit „Knut“ in Nieder-Erlenbach: Rollt hier im Norden von Frankfurt schon der Nahverkehr der Zukunft?
Lisa Rupprecht und Tobias Schreiber mit „Knut“ in Nieder-Erlenbach: Rollt hier im Norden von Frankfurt schon der Nahverkehr der Zukunft? © Bernd Kammerer

Individuelle Autofahrten vermeiden - das gelingt mit dem Kleinbus „Knut“. Der fährt in Frankfurts nördlichen Stadtteil auf Abruf und seine Bilanz überrascht.

Frankfurt -Rollt im Frankfurter Norden der visionäre Nahverkehr der Zukunft? Knut ist der Minibus, den Fahrgäste per App rufen, der sie ohne Fahrplan und Haltestellen fast jederzeit umherfährt. Zum zweiten Geburtstag des On-Demand-Shuttle jetzt im Oktober ziehen zwei der „Eltern“ von Knut, Projektleiter Tobias Schreiber und Qualitätsmanagerin Lisa Rupprecht von der städtischen Nahverkehrsorganisation Traffiq, im Interview mit Redakteur Dennis Pfeiffer-Goldmann eine Bilanz des Pilotprojekts.

Wie geht es Knut nach zwei Jahren?

TOBIAS SCHREIBER: Knut geht’s gut. Durch die Gebietserweiterung im vergangenen Jahr haben wir uns wesentlich verbessert bei den Nutzerzahlen. Wir versuchen, das im Rest der Projektlaufzeit noch weiter zu steigern.

Wer ist überhaupt Knut?

SCHREIBER: Knut ist unser On-Demand-Shuttle für den Frankfurter Norden.

Was ist ein On-Demand-Shuttle?

SCHREIBER: Ein On-Demand-Shuttle kann jederzeit ad hoc gebucht werden, wenn man fahren möchte, oder auch bis zu eine Woche im Voraus. Die Fahrt ist als Teil des ÖPNV unabhängig von einem Fahrplan möglich. Knut wird vorwiegend per App gebucht, es ist aber auch per Telefon möglich. Knut steht fast rund um die Uhr zur Verfügung, am Wochenende durchgehend, unter der Woche bis ein Uhr nachts.

Und an welchen Haltestellen stoppt Knut?

SCHREIBER: Es gibt mittlerweile rund 1500 virtuelle Haltestellen. Diese sind in der App hinterlegt. Sie sind so dicht gelegt, dass man meist nicht mehr als 50 Meter zur nächsten Haltestelle laufen muss. Zusätzlich können die im Bediengebiet vorhandenen Haltestellen von Bussen, U-Bahn und S-Bahn genutzt werden.

Bediengebiet erweitert nach Kalbach, Riedberg, Frankfurter Berg, Bad Vilbel

Wo fährt Knut?

SCHREIBER: Ursprünglich waren wir in Bonames, Harheim, Nieder-Eschbach und Nieder-Erlenbach unterwegs. Seit Oktober 2022 sind noch Kalbach, der Riedberg, das Mertonviertel, der Frankfurter Berg und die U-Bahn-Station in Preungesheim sowie Bad Vilbel dazugekommen.

Warum wurde denn schon nach einem Jahr erweitert?

LISA RUPPRECHT: Die Nutzerzahlen haben uns gezeigt, dass wir noch Kapazitätsreserven haben. Wir schauen uns auch fortlaufend die Wünsche der Nutzer an. Dort gab es sehr starkes Interesse beispielsweise an Verbindungen auf den Riedberg und zur U5 in Preungesheim. Die Erweiterung ist sehr gut angenommen worden.

Wie viele Menschen nutzen Knut jeden Monat?

RUPPRECHT: Seit Betriebsstart haben wir die Nutzerzahlen deutlich steigern können. Seit der Gebietserweiterung vor einem Jahr haben wir noch einmal einen deutlichen Sprung und eine Verdopplung der Nutzerzahlen auf über 1500 erreicht. Wir gehen davon aus, dass die Zahl auch in den kälteren Monaten noch einmal ansteigen wird.

Wer benutzt Knut wofür?

SCHREIBER: Das Shuttle wird für alle Fahrzwecke genutzt, zum Pendeln zur Arbeit, als Zubringer zu den Schienenverkehrsmitteln, zum Einkaufen, für Arztbesuche. Teilweise wird es auch von Schülern genutzt, um zur Schule zu kommen. Die Anwendungszwecke sind sehr breitgefächert.

„Knut“ ist eine Ergänzung für Bahn und Bus - statt Auto

Ist Knut da nicht eine Konkurrenz für die Linienbusse?

RUPPRECHT: Es gibt auch vereinzelt Fahrgäste, die Knut statt eines öffentlichen Verkehrsmittels nutzen, das ist aber nicht unser Ziel. Knut ist ein Komfortangebot. Fahrgäste müssen mindestens einen Euro Komfortzuschlag plus 30 Cent pro Kilometer zahlen. Knut ist konzipiert, um ein Zubringer zum regulären ÖPNV zu sein, also ein Angebot für die Letzte Meile. Ein Viertel der Fahrten, die wir durchführen, wären sonst mit dem Pkw gemacht worden. Das zeigt uns klar, dass wir durch eine Verbesserung des Komforts im System ÖPNV tatsächlich individuelle Autofahrten vermeiden können.

Wenn Knut vorwiegend über die App gebucht werden soll, grenzen Sie damit nicht ältere Menschen aus?

SCHREIBER: Es gibt auch die Möglichkeit der Telefonbuchung. Aber das Konzept ist schon als digitales Produkt angelegt. Informationen, die man über die App bekommt, zum Beispiel wann das Fahrzeug da ist über ob es sich verspätet, kann man schwer zurückmelden, wenn ein Fahrgast über Telefon gebucht hat. Das beste Erlebnis haben Kunden, wenn sie die App benutzen und auch über die App bezahlen.

RUPPRECHT: Es haben auch immer mehr ältere Menschen ein Smartphone. Das merken wir bei unseren Informationsveranstaltungen, die wir im Sommer angeboten haben. Die Telefonnachfrage ist insgesamt sehr gering, im niedrigen einstelligen Prozentbereich.

Sind Senioren digital fitter, als man denkt?

SCHREIBER: Ja, das ist wohl so. Der Anteil älterer Menschen mit Smartphones nimmt zu. Die Menschen wollen mobil sein. Die App ist auch gut verständlich und erleichtert den Buchungsprozess.

Warum haben Sie auch die Bedienzeit ausgeweitet?

SCHREIBER: Nach jeder Buchung können Nutzer sowohl eine Bewertung wie auch Kommentare abgeben. Nachtverkehr wurde sehr oft gewünscht. Wir wollten dann erstmal mit den Wochenendnächten starten. Das wird sehr gut angenommen, und die Nutzung in den Wochenendnächten steigt auch immer noch an.

Nachfrage abends deutlich stärker bis in die Nacht

Wann sind die stärksten Nutzungszeiten?

RUPPRECHT: Es gibt, wie im übrigen ÖPNV, morgens und abends eine Spitze bei der Nachfrage. Allerdings sind diese Spitzen zeitlich leicht nach hinten verschoben. So haben wir am späten Vormittag eine starke Nachfrage und abends nach 18 Uhr wird es deutlich mehr. Die erhöhte Nachfrage hält dann bis spät nachts an.

Das sind aber jetzt nicht die normalen Nachfragespitzen in Bahn und Bus. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

SCHREIBER: Es wird viel Freizeitverkehr sein. Wenn man aus der Stadt kommt vom Feiern oder Freunde treffen, ist Knut eine gute Möglichkeit, von der U-Bahn sicher und bequem nach Hause zu kommen. Wenn das Angebot im normalen ÖPNV schwächer ist, ist Knut immer noch komfortabel da.

Könnte Knut dann nicht auch schwach nachgefragte Buslinien ersetzen?

SCHREIBER: Das springt natürlich ins Auge. Wenn sich dadurch Ausgaben einsparen ließen, wäre das interessant. Allerdings kann es über den Tag hinweg problematisch sein, da ein solcher On-Demand-Dienst nur eine begrenzte Anzahl an Sitzplätzen bietet. Wenn dann mehrere Shuttles fahren müssten, um eine Busfahrt zu ersetzen, ist es nicht effektiv. Außerdem lohnt sich ein zu kleines Bediengebiet von zum Beispiel einer Buslinie nicht. Dort kann das System seine Vorteile nicht ausspielen, zum Beispiel beim Pooling von Fahrten. Unser Bediengebiet war anfangs mit nur vier Stadtteilen ja auch zu klein.

Welche der gesteckten Ziele hat Knut erreicht?

SCHREIBER: Die Zubringerfunktion erfüllt Knut auf jeden Fall. Die stärksten Stationen sind die U-Bahn-Station Nieder-Eschbach, die S-Bahn-Station Bad Vilbel sowie U-Bahn-Stationen Kalbach und Bonames. Das bestärkt uns, dass das Konzept stimmt.

RUPPRECHT: Knut hat es auch erreicht, die Verbindungen innerhalb des Bediengebiets deutlich zu verbessern. Die Stadtteile sind dadurch wesentlich besser miteinander verknüpft. Hier gibt es viele individuelle Mobilitätsbedarfe der Menschen, die aber so vereinzelt sind, dass sich weitere Buslinien nicht lohnen würden.

Noch viele Kapazitäten frei, die genutzt werden könnten

Welche Ziele hat Knut nicht erreicht?

SCHREIBER: Wir hatten uns eine noch höhere Nachfrage als aktuell erhofft. Es gibt noch freie Kapazitäten, die genutzt werden könnten. Auch die Poolingquote ist noch nicht so wie erhofft.

Das müssen Sie erklären.

SCHREIBER: Pooling bedeutet, dass mehrere Nutzer, die ähnliche Strecken gebucht haben, zusammen gefahren werden. So soll der Besetzungsgrad höher sein als in einem normalen Auto. Das ist das Kernelement eines solchen On-Demand-Verkehrs. Dafür braucht es aber mehr Nutzer, deren Start- und Zielorte kompatibel sind, damit der Algorithmus, der alles steuert, die Nutzeranfragen zusammenbringen kann.

Wie hoch ist die Poolingquote bisher?

RUPPRECHT: Wir haben einen Anteil von 30 Prozent geteilten Fahrten. Allerdings haben einige Kunden die Fahrt auch schon zu zweit gebucht. Der Anteil der Fahrten, bei denen der Algorithmus das Pooling vornimmt, ist daher etwas geringer.

Wie zufrieden sind Sie mit den Erfahrungen, die sie mit Knut bisher gemacht haben?

SCHREIBER: Knut ist für uns sehr erkenntnisreich. Wir konnten sehr viel lernen - auch darüber, was die Kunden im Frankfurter Norden möchten. Der größte Wunsch ist bis heute, Bad Vilbel anzufahren. Wir haben aber auch viel über das Produkt gelernt und wie es hier am Stadtrand, im suburbanen Raum, funktioniert. Damit steuern wir wichtige Erfahrungen innerhalb des Versuchs im ganzen RMV-Gebiet bei. Der ist einer der größten Versuche mit On-Demand-Verkehr überhaupt.

Welche Zukunft hat Knut? Finanziert ist das Projekt ja nur bis Ende 2024.

SCHREIBER: Wir arbeiten daran, dass Knut eine Zukunft hat. Wir haben unsere Nische gefunden und unser Angebot etabliert. Wir überlegen nun, wie wir ein Produkt entwickeln können, das wirtschaftlich tragfähig ist.

Was ist das Problem mit der Wirtschaftlichkeit? Beim RMV bezahlen die Fahrgäste mit ihren Ticketkäufen etwas mehr als die Hälfte der Kosten bei Bahn und Bus.

SCHREIBER: Davon sind wir ein ganzes Stück entfernt. Wir sind beim Kostendeckungsgrad eher im einstelligen Prozentbereich. Für eine Fortsetzung über das Pilotprojekt hinaus werden wir daher auch auf Zuschüsse angewiesen sein.

Kunden wünschen auch Fahrten über Stadtgrenze nach Bad Homburg und Karben

Welche Wege gibt es, Knut zu optimieren?

SCHREIBER: Eine Möglichkeit wäre, wie gesagt, schwach ausgelastete Busverkehre zu reduzieren und diese Einsparungen gegenzurechnen. Es besteht auch die Möglichkeit, das Bediengebiet auszuweiten, um neue Nachfrage zu generieren - auf Frankfurter Stadtgebiet, aber Kunden wünschen sich auch mehr Bad Vilbel, Karben, Bad Homburg et cetera. So ließe sich die Nachfrage und das Pooling nach oben bringen und so die Wirtschaftlichkeit erhöhen.

Größter Kostenfaktor dürfte aber der Fahrer sein, oder?

RUPPRECHT: Das ist so, die Personalkosten nehmen mit sehr großem Abstand die oberste Kostenposition ein. Deshalb liegen in der Branche alle Hoffnungen auf dem autonomen Fahren.

SCHREIBER: Das wird wohl noch nicht in den nächsten zwei, drei Jahren so weit sein. Aber wir beobachten den Markt und sind gespannt, welche Ergebnisse die ersten Pilotprojekte dazu wie beispielsweise in den Landkreisen Offenbach und Darmstadt-Dieburg liefern. Wir sind intensiv im Austausch mit den Kollegen dort, aber auch bei Projekten in Hamburg und Berlin.

Dank „Knut“ könnten mehr private Autos abgeschafft werden

Wie ist Ihre Vision von Knut in zehn Jahren?

SCHREIBER: Wenn autonomes Fahren möglich ist, und das ist sicher eine Perspektive, dann können wir uns einen größeren Betrieb vorstellen. Der kann dann dafür sorgen, dass immer mehr Wege mit dem ÖPNV zurückgelegt und mehr private Pkw abgeschafft werden.

In zehn Jahren in der ganzen Stadt rund um die Uhr?

SCHREIBER: So weit würde ich mich nicht aus dem Fenster lehnen. Wir haben in großen Teilen der Stadt eine so hohe Nachfrage, dass ein On-Demand-Verkehr das überhaupt nicht bewältigen könnte. Aber die Stadtteile an den Stadträndern sind ein sehr gutes Anwendungsgebiet. Das ist genau die richtige Nische für Knut.

Zu den Personen

Lisa Rupprecht (27) und Tobias Schreiber (36) sind quasi eine Mama und ein Papa von Knut. Beide sind bei der städtischen Nahverkehrsorganisation Traffiq tätig. Tobias Schreiber wohnt mit Frau und Tochter am Industriehof, Lisa Rupprecht in Niederrad. Schreiber ist stellvertretender Bereichsleiter Forschung und Innovation bei Traffiq und der Knut-Projektleiter. Er ist seit 2018 für alle innovativen Themen zuständig, also auch für On-Demand-Verkehr und autonomes Fahren. Er betreut Knut daher schon seit der Ideenphase. Schreiber hatte nach einem Masterstudium in Management an der Goethe-Universität Frankfurt zunächst als Unternehmensberater gearbeitet, dann folgte ein weiteres Masterstudium in Verkehrswesen an der TU Darmstadt.

Lisa Rupprecht ist seit 2019 nach Abschluss ihres Studiums im Bereich Logistik bei Traffiq. Hier arbeitete sie anfangs als Projektleiterin im Bereich Vergabe und Verträge für den Busverkehr, wechselte dann 2022 in den Bereich Forschung und Innovation. Bei Knut kümmert sie sich um die Vergabe, die Abrechnung und das Qualitätsmanagement. Sie ist in der Stadt per Fahrrad, Bahn und Bus unterwegs. (Dennis Pfeiffer-Goldmann

Auch interessant

Kommentare