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„Wir sehen eine Erwärmung, wie wir sie noch nie hatten“

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Florian Imbery, Jahrgang 1966, stammt aus dem Schwarzwald und studierte zunächst Geografie in Basel. An der Universität Freiburg promovierte er im Bereich Meteorologie, in seiner Dissertation widmete er sich dem Energieaustausch zwischen Landoberflächen und der Atmosphäre. Anschließend war er mehrere Jahre an der Universität Freiburg tätig und beschäftigte sich dabei erst mit hydrologischen Themen, verlegte sich dann aber mehr und mehr auf den Bereich Klimawandel. Seit 2009 arbeitet er beim Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach. Bei dieser Bundesbehörde befasste er sich in den ersten Jahren intensiv mit Auswertungen von Klimaprojektionen. Seit 2014 ist er im Referat Nationale Klimaüberwachung tätig, das er seit 2022 leitet. Florian Imbery ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter.
Florian Imbery, Jahrgang 1966, stammt aus dem Schwarzwald und studierte zunächst Geografie in Basel. An der Universität Freiburg promovierte er im Bereich Meteorologie, in seiner Dissertation widmete er sich dem Energieaustausch zwischen Landoberflächen und der Atmosphäre. Anschließend war er mehrere Jahre an der Universität Freiburg tätig und beschäftigte sich dabei erst mit hydrologischen Themen, verlegte sich dann aber mehr und mehr auf den Bereich Klimawandel. Seit 2009 arbeitet er beim Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach. Bei dieser Bundesbehörde befasste er sich in den ersten Jahren intensiv mit Auswertungen von Klimaprojektionen. Seit 2014 ist er im Referat Nationale Klimaüberwachung tätig, das er seit 2022 leitet. Florian Imbery ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter. © Enrico Sauda

Seit den 1970er-Jahren steigen die Durchschnittstemperaturen rasant an - auch in Frankfurt. DWD-Experte Florian Imbery beobachtet das mit Sorge. Im Gespräch mit Redakteurin Brigitte Degelmann erklärt er, warum die Pariser Klimaschutzziele so wichtig sind. Und was passieren könnte, wenn diese nicht eingehalten werden.

Herr Imbery, was sagen Sie als Klimatologe zum diesjährigen Sommer?

Die erste Sommerhälfte war sicher eine der wärmsten, die wir bisher hatten. Nach einem relativ angenehmen Frühling gab es ab der zweiten Juni-Hälfte eine sehr warme Phase mit intensiven ersten Hitzewellen über ganz Deutschland, die kurz durch kühlere Luftmassen unterbrochen wurden, so dass es zu Gewittern, Starkregen und Sturm kam. Dann, ab Ende Juni, hatten wir wieder eine sehr warme Phase mit ersten Tropennächten in Frankfurt, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad sank. Diese ist seit ein paar Tagen beendet. Gerade sind wir im Einfluss von relativ kühlen Luftmassen aus dem Nordwestatlantik - was uns stark von dem unterscheidet, was gerade im Süden Europas vor sich geht. Wie sich das weiterentwickelt, lässt sich jetzt aber noch nicht sagen.

Wenn Sie die deutschen Durchschnittstemperaturen der vergangenen fünf Jahre mit denjenigen in früheren Jahrzehnten vergleichen, was lässt sich dazu sagen?

Vier der letzten fünf Jahre waren bedeutend wärmer und trockener als das langjährige Mittel früherer Jahrzehnte, 2022 und 2018 waren die bisher wärmsten Jahre in Deutschland seit Beginn der systematischen Aufzeichnungen 1881. Insgesamt sehen wir bei den Temperaturen seit den 1970er-Jahren einen rasanten Anstieg - nicht nur in Deutschland, sondern global. 2010 war das letzte Jahr, das kühler war als der Mittelwert zwischen 1961 und 1990. Alle anderen Jahre seit 1990 waren teilweise deutlich wärmer, in Deutschland um bis zu 2,5 Grad. Das ist sehr viel. Vor allem in den vergangenen zehn bis 15 Jahren war das zu beobachten.

Dabei klingt ein Temperaturanstieg um 2,5 Grad für viele Laien gar nicht so dramatisch.

Das liegt daran, dass wir dafür keine Sensorik haben. Sprich: Ob es in einem Raum 19 oder 22 Grad hat, merken wir nicht unbedingt. Man muss dabei aber bedenken, dass diese Verschiebung der Durchschnittstemperaturen immer auch eine Verschiebung der Extreme bedeutet. Das heißt, es gibt beispielsweise mehr Hitzewellen, mehr heiße Tage und mehr Tropennächte als früher. Was gerade in urbanen Räumen ein wichtiges Thema ist, die sich ja besonders stark aufheizen.

Lässt sich diese Verschiebung der Extreme auch in Frankfurt beobachten?

Ja, zum Beispiel bei der Zahl der Hitzewellen: Zwischen 1960 und 1990 hatten wir in Frankfurt vier markante Hitzewellen, also mindestens 14-tägige Hitzeperioden, in denen das mittlere Tagesmaximum bei mindestens 30 Grad lag. In den darauffolgenden 30 Jahren, also zwischen 1991 und 2020, waren es hingegen 15. Auch die Zahl der heißen beziehungsweise sehr heißen Tage mit Temperaturen von mehr als 30 beziehungsweise 35 Grad hat deutlich zugenommen.

In welchem Maß?

Zwischen 1960 und 1980 haben wir neun sehr heiße Tage registriert, an denen das Thermometer auf über 35 Grad gestiegen ist. Zwischen 1980 und 2000 waren es schon 14 - und zwischen 2000 und 2020 kommen wir auf insgesamt 60. Allein im Jahr 2003 hatten wir in Frankfurt zwölf Tage über 35 Grad. Und bei solchen Temperaturen kann es für Menschen schon schwierig werden, vor allem für vulnerable Gruppen wie ältere Menschen, Menschen mit Herz-Kreislauf-Problemen und kleine Kinder.

Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts gab es in den Jahren 2015, 2018 und 2019 in Deutschland jeweils mehr als 6000 hitzebedingte Todesfälle, 2022 waren es rund 4500.

Und das ist noch eine sehr konservative, aber seriöse Schätzung. Es gibt andere Schätzungen, die bedeutend höher liegen. Wir sehen aber noch viele weitere Auswirkungen.

Welche?

Etwa im Energiesektor. In Frankreich mussten beispielsweise 2022 viele Atomkraftwerke heruntergefahren werden, weil es an Kühlwasser fehlte. Denn die Flüsse führten zu wenig Wasser oder die Wassertemperaturen waren zu hoch. Auch für den IT-Bereich sind solche Hitzeperioden relevant: Bekomme ich noch genügend Strom, um das Rechenzentrum ordentlich zu kühlen? Da macht es einen großen Unterschied, ob ich eine Außentemperatur von 38 statt 28 Grad habe.

Auch die Verkehrsinfrastruktur dürfte davon betroffen sein.

Genau, zum Beispiel die Binnenschifffahrt auf Rhein, Elbe und Donau. Wegen Niedrigwasser können die Schiffe oft nicht mehr voll beladen werden. In mehreren Sommern in den letzten Jahren musste die Binnenschifffahrt zwischen Basel und Mannheim zeitweise sogar ganz eingestellt werden. Und das produziert Kosten, weil sich der Transport verteuert. Aus diesem Grund war der Benzinpreis in Süddeutschland phasenweise plötzlich bedeutend höher als in Norddeutschland. Bei starker Hitze kann es außerdem passieren, dass bei der Bahn unter Umständen die Weichen nicht mehr richtig funktionieren. Oder denken Sie an die Outburst-Fälle auf Autobahnen, bei denen sich Betonplatten durch die hohen Temperaturen ausdehnen beziehungsweise aufstellen - was gerade für Motorradfahrer tödlich sein kann.

Und wie sieht es bei Natur und Landwirtschaft aus?

Auch da sehen wir gravierende Folgen, zum Beispiel auf die Wälder in Deutschland. Wir haben sehr viele Regionen, in denen über ein Viertel der Wälder praktisch tot ist - aufgrund der sehr trockenen und warmen Sommer in den letzten Jahren, in denen die Bäume entweder vertrocknet sind oder so vulnerabel waren, dass der Borkenkäfer leichtes Spiel hatte. 2022 hatten wir in Deutschland außerdem so viele Waldbrände wie noch nie. Aber auch die Landwirtschaft leidet, weil es gerade in den Vegetationsperioden immer häufiger an Niederschlägen fehlt. Erst letzte Woche hat mir jemand aus Baden-Württemberg erzählt, dass die Erträge beim Getreide dieses Jahr aufgrund der Trockenheit in den vergangenen Wochen stellenweise so gering sind, dass sich das Dreschen gar nicht lohnt. Dort überlegt man tatsächlich, das Getreide einfach unterzupflügen.

Sie sagten vorhin, dass inzwischen viele Jahre deutlich wärmer sind als früher, um bis zu 2,5 Grad. Heißt das, dass man die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens von 2015 gar nicht mehr erreichen kann? Darin ist ja festgelegt, dass man die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf deutlich unter zwei Grad Celsius begrenzen will, möglichst auf 1,5 Grad.

Der· in Paris festgelegte Wert bezieht sich auf ein globales vieljähriges Mittel - nämlich mindestens zehn Jahre - im Vergleich zu vorindustriellen Temperaturen. Global betrachtet, sind wir hier momentan bei einem Plus von 1,15 Grad, in Deutschland bei 1,7 Grad. Was nicht heißt, dass sich Deutschland schneller aufheizt als andere Regionen. Sondern das entspricht komplett dem Trend der globalen Landmassen, die sich ja bedeutend schneller erwärmen als die Ozeane. Aber wenn ich mir nur die erste Juli-Hälfte angucke, haben wir diese 1,5 Grad global aktuell schon überschritten.

Lässt sich dieser Klimawandel überhaupt noch stoppen?

Eine Zurückführung auf das Niveau in vorindustriellen Zeiten ist schwierig. Kohlendioxid ist ein sehr langlebiges Treibhausgas, es bleibt mehrere Hundert Jahre in der Atmosphäre. Das heißt, wir müssten der Atmosphäre sehr viel CO2 und andere Treibhausgase entziehen. Dafür gibt es heute noch keine wirklich effizienten Techniken. Das Wichtigste wäre es aber ohnehin, die anthropogenen Treibhausgase auf Null zu fahren, wie das in Paris vereinbart und wie das von den Vorgängern der jetzigen Bundesregierung auch beschlossen worden ist. Dann wären wir relativ schnell auf dem Level, dass wir zumindest keine weitere globale Erwärmung hätten.

Momentan passiert aber eher das Gegenteil. Bei der Stromproduktion in Deutschland ist beispielsweise der Anteil fossiler Energieträger zuletzt wieder gestiegen, auch im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.

Ich halte den Klimawandel für das wichtigste globale Problem. Aber man kann natürlich die weiteren globalen Probleme nicht darüber vergessen. Ich denke aber schon, dass wir uns bedeutend mehr beeilen müssen, als ich das im Moment wahrnehme, um auf klimaneutrale Energieträger umzusteigen und die selbstgesteckten Klimaziele zu erreichen. Wobei es allerdings zurzeit schwierig ist, daran zu glauben, dass wir das tatsächlich noch schaffen.

Was passiert, wenn wir diese Ziele nicht erreichen?

In der öffentlichen Diskussion gibt es oft ein Schwarz-Weiß-Denken. Da kann der Eindruck entstehen, dass in einer Welt, die sich um nicht mehr als 1,5 beziehungsweise zwei Grad erwärmt, alles in Ordnung ist. Und dass danach gleich die Hölle kommt: Die Welt geht unter, die Menschheit stirbt aus. Das stimmt aber so nicht. Der Preis wird nur bedeutend höher. Bei einer zwei Grad wärmeren Welt werden wir Regionen haben, wo Menschen nicht mehr dauerhaft leben können. Wo Temperaturen regelmäßig über 50 Grad steigen. Auch das Niederschlagsregime würde sich dann in vielen Regionen ändern, so dass dort nicht mehr genügend Nahrung produziert werden kann. Und die Meeresspiegel würden steigen. Knapp 40 Prozent von Bangladesch liegen beispielsweise jetzt schon darunter. Da sind nicht die Mittel vorhanden, um sich gegen ein weiteres Steigen zu wehren, wie das etwa die Niederlande machen können. Davon wären ein paar Hundert Millionen Menschen betroffen. Und die müssten sich dann gezwungenermaßen irgendwann auf den Weg in andere Regionen machen.

Was erwarten Sie für die kommenden Jahre?

Es gibt für mich keinerlei Grund anzunehmen, dass wir hier schon auf einem Scheitelpunkt sind. Ich gehe davon aus, dass die Temperaturen zumindest auf diesem Niveau bleiben werden. Wenn es nicht sogar noch wärmer wird. Wir sind im Moment in einer sehr außergewöhnlichen Phase, in der wir global eine Erwärmung sehen, wie wir sie zuvor noch nie hatten.

Trotzdem gibt es immer noch Menschen, die behaupten, dass es sich dabei um natürliche Schwankungen handeln würde und dass es den menschengemachten Klimawandel nicht gebe. Was sagen Sie dazu?

Es gibt eine natürliche Variabilität des Klimas, unter die ich auch das Phänomen „El Niño“ einordnen würde, also ungewöhnlich warme Oberflächentemperaturen in Teilen des Pazifiks, die alle paar Jahre zu beobachten sind und die sich vor allem auf Mittel- und Südamerika auswirken, mit kühleren Oberflächentemperaturen in der Region um Südostasien und Australien sowie Auswirkungen in der Witterung auf viele weitere Regionen der Welt. Das ist momentan gerade wieder zu beobachten. El-Niño-Jahre sind global immer sehr warme Jahre. Trotzdem kann man all die klimatischen Veränderungen nicht allein mit solchen natürlichen Schwankungen erklären. Sondern der von Menschen verursachte Klimawandel boostert das, verstärkt das alles noch einmal kräftig. Wir sehen in diesem Sommer beispielsweise ausgesprochen hohe Temperaturen im Nordatlantik, wie wir sie noch nie erlebt haben. Ähnlich ist es in der Südhemisphäre. Dort ist gerade tiefster Winter, da wird in der Antarktis eigentlich neues Meereis gebildet. Diese Meereis-Neubildung ist in diesem Jahr aber so schwach, wie wir das noch nie gesehen haben. Auch deshalb, weil die Ozeane im Moment außergewöhnlich warm sind.

Sie beschäftigen sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Klimawandel. Hätten Sie diese Entwicklungen, die wir heute sehen, vor 20 Jahren erwartet?

Auch vor 20 bis 30 Jahren gab es schon Klimamodelle, die diese Prozesse schon unglaublich gut beschrieben haben. Das Wissen war im Prinzip damals schon da. Aber richtig ist auch, dass wir vieles von dem, was wir eigentlich erst für die Mitte oder das Ende dieses Jahrhunderts erwartet hätten, schon in den letzten fünf Jahren erlebt haben. Was seit 2015 in Mitteleuropa und in vielen anderen Regionen der Welt vor sich geht, das sind Ereignisse, Zustände, die ich eigentlich erst in ein paar Jahrzehnten erwartet hätte.

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