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„Wir wollen den Satanismus gesellschaftsfähig machen“

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Von: Christophe Braun

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Interview mit einem Satanisten: „Wir wollen den Satanismus gesellschaftsfähig machen“
Interview mit einem Satanisten: „Wir wollen den Satanismus gesellschaftsfähig machen“. (Symbolbild) © Friso Gentsch dpa

Es gibt zwei Sorten von Satanisten: Diejenigen, die den Teufel als Gottheit verehren und diejenigen, die eine (mehr oder weniger) atheistische Weltanschauung propagieren, in deren Zentrum der Mensch als Quasi-Gottheit steht. Zu letzteren gehört Michael.

Frankfurt - Der 36-Jährige arbeitet im öffentlichen Dienst und bezeichnet sich selbst als Satanist. In der „Bruderschaft des Samael“ versucht er mit Gleichgesinnten, den Anliegen des modernen Satanismus Gehör zu verschaffen. Guter Gesprächspartner für die Karwoche, dachten wir – und haben Michael mal angerufen. (Michael möchte nicht mit vollem Namen in der Presse erscheinen - zu groß sind die Vorurteile gegen Satanisten, sagt er.)

Hi Michael! Einstiegsfrage, kurz vor Ostern: Verstecken Satanisten Ostereier? Michael: (lacht) Nein. Wir feiern Ostern nicht, das ist ja ein christliches Fest. Aber viele von uns haben  Familien, die Ostern feiern – da feiern wir dann ganz ungeniert mit. Warum auch nicht? Ist Satanismus eine Religion oder eine Philosophie? Michael: Das kommt darauf an, wen Sie fragen. Unter modernen Satanisten gibt es beide Ansichten. Ich persönlich halte den Satanismus für ein Mittelding. Ganz konkret: Gibt es den Satan? Michael: Nein. Wir sind keine Teufelsanbeter. Wir glauben nicht an ein übernatürliches Wesen, das in irgendeiner Hölle sitzt. Sondern? Michael: Die meisten von uns würden sich als Atheisten bezeichnen – mit einer Besonderheit. Die da wäre? Michael: Atheismus heißt: Realisieren, dass es keinen Gott gibt. Satanisten gehen einen Schritt weiter: Sie erkennen, dass der Mensch das Potenzial hat, die Lücke zu füllen, die Gottes Abwesenheit schafft. Satanisten setzen also sich selbst anstelle Gottes? Michael: Ja. Wie sind Sie Satanist geworden? Michael: Ich bin in einer christlich-jüdischen Familie aufgewachsen und christlich erzogen worden. Als Jugendlicher habe ich begonnen, die Religion zu hinterfragen – das Christentum enthält mehr intellektuelle Widersprüche, als ich akzeptieren konnte. Daraufhin habe ich mich davon abgewendet. Eine Weile habe ich mich dann mit anderen Religionen beschäftigt – unter anderem mit dem Islam und dem Buddhismus –, aber ich bin überall auf Widersprüche gestoßen. Auf Glaubenssätze, die intellektuell unredlich sind, zum Beispiel den Glauben an ein übernatürliches Wesen oder an ein Jenseits. Irgendwann bin ich dann auf die Church of Satan gestoßen und auf den Gedanken, dass der Mensch das Maß aller Dinge ist. Das erschien mir schlüssig. Die ist eine satanische Organisation, die der Autor Anton Szandor LaVey 1966 ins Leben rief. LaVey will damit den modernen - also atheistischen, humanistischen - Satanismus begründet haben. Seine Philosophie nimmt starke Anleihen bei Denkern wie Friedrich Nietzsche oder der Radikal-Egoistin Ayn Rand.

am 20. Okt 2016 um 4:11 Uhr

Wie reagieren Menschen, wenn sie hören, dass Sie Satanist sind? Michael: Im ersten Moment sind die Leute geschockt. Aber wenn ich ihnen erkläre, was Satanismus wirklich bedeutet, verstehen sie mich meistens. Die meisten Menschen denken bei Satanismus vermutlich an Schwarze Messen, Teufelsbeschwörungen, Tier- und Menschenopfer und Orgien. Was ist da dran? Michael: Opferungen gibt es bei uns nicht, weder von Tieren noch von Menschen. Das Leben ist uns heilig. Dementsprechend würden wir niemals ein anderes Lebewesen opfern. Satanische Rituale gibt es aber durchaus. Welchen Zweck haben diese Rituale? Michael: Wir sprechen von „intellektuellen Unterdruckkammern“. Unsere Rituale befriedigen unser menschliches Bedürfnis nach Gemeinschaft, nach Symbolen und Mystik. Wir bilden uns aber nicht ein, dass sie darüber hinaus irgendwelche magische Bedeutung haben. Wir wissen, dass diese Rituale Ventile sind – sie haben keine Transzendenz. Was ist mit dem umgedrehten Kreuz? Gibt’s das? Michael: Ja, das gibt es. Wir nennen es das Petruskreuz, denn es erinnert an Petrus‘ Tod am umgedrehten Kreuz. Ich persönlich halte es nicht unbedingt für ein nützliches Symbol. Es reduziert den Satanismus auf die Ablehnung des Christentums. Tatsächlich ist Satanismus aber viel mehr. Nämlich? Michael: Moderner Satanismus steht für Humanismus, Hedonismus, Ästhetik und Auflehnung, Körperkult, Magie und Meditation, Selbstentfaltung und Wahrheit. Wow. Das ist mal eine Ansage. Wie stehen Satanisten zu dem, was man im allgemeinen Sprachgebrauch „böse“ nennt? Michael: Das sehen wir kritisch. „Böse“ ist häufig alles, was dem christlichen Wertekanon widerspricht. „Böse“ ist zum Beispiel jemand, der polygam lebt. Ein solches Verständnis von „böse“ lehnen wir ab. Gleichzeitig gibt es natürlich Bedeutungen von „böse“, die wir nachvollziehen können. Sie gehören der an. Was hat es damit auf sich? Michael: Die Bruderschaft ist ein loser Zusammenschluss von Satanisten aus ganz Deutschland. Dem inneren Kreis gehören 15 Mitglieder an, der äußere Kreis ist deutlich größer. Was ist der Zweck der Bruderschaft? Michael: Wir wollen Gemeinschaft erleben, wir wollen uns als Satanisten verbrüdern. Und gleichzeitig wollen wir auch über den Satanismus aufklären. Wir wollen den Satanismus gesellschaftsfähig machen. Dazu informieren wir, zum Beispiel auf unserer Website oder in den sozialen Netzwerken. Oder wir machen karitative Sachen. Wir haben uns zum Beispiel vor kurzem für Obdachlose engagiert.       Gibt’s auch gemeinsame Aktivitäten? Filmabende oder Wandertage oder so? Michael: Filmabende weniger. Aber wir treffen uns schon mal, trinken, feiern. Ein Klischee über Satanisten lautet: Das sind alles bloß Teenies, die ihre Eltern ärgern wollen. Michael: Klar, die Grufties gibt’s. Aber das sind keine ernsthaften Satanisten. Das ist eine Jugendkultur, aber keine Weltanschauung. Die Bruderschaft ist ausdrücklich unpolitisch. Aber bräuchte es nicht ein bisschen Satanismus in der Politik – als Korrektiv für die vielen religiösen Einflüsse? Michael: Nein. Wir finden, dass Staat und Religion grundsätzlich getrennt werden müssen. Wir wollen in einem von der Religion befreiten Land leben. Religion hat in der Politik nichts verloren –auch wir nicht. Was Sie bisher geschildert haben, klingt sehr rational. In den „Satanischen Geboten“ der Bruderschaft ist aber von Magie die Rede. Was ist damit gemeint? Michael: Damit meinen wir die Kraft der Psyche. Den Glauben an sich selbst. Es geht darum, sich selbst – und auch andere – zu beeinflussen. Es geht aber nicht um irgendeinen Hokuspokus. Sie beschreiben den Satanismus als eine rationale, liberale, religionskritische und hedonistische Weltanschauung … Michael: Ja, das könnte ich unterschreiben. … aber, mal ehrlich: Sie haben auch einfach Spaß daran, die Spießbürger zu provozieren, oder? Michael: (lacht) Ja, klar. Bekommen Sie Feedback? Michael: Und ob! Morddrohungen zum Beispiel. Von Christen, von Muslimen – von allen. Und Beleidigungen sowieso. Darüber lachen wir aber. Und wir arbeiten damit: Wir veröffentlichen solche Sachen und halten den Leuten dadurch den Spiegel vor. Das Gespräch führte Christophe Braun  

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