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OB-Wahl in Frankfurt: Vom „Bahnbabo“ zum „Bürgerbabo“ - „Ich glaube an das Gute im Menschen“

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Von: Sarah Bernhard

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20 Kandidaten bewerben sich bei der OB-Wahl in Frankfurt um das Amt des Stadtoberhauptes. In einer kleinen Serie stellen wir einzelne Kandidaten vor. Heute: Peter Wirth alias der „Bahnbabo“.

Frankfurt - Der „Bahnbabo“ kann im einen Moment zu Kaffee und Kuchen ins traditionsreiche Café am Liebfrauenberg einladen und im anderen von einem 14-Jährigen gefragt werden, ob er ihm ein Mädchen besorgen kann. Trägt im einen Moment Gedichte vor und spricht im anderen Frankfurter Brennpunktslang. Ist seit über 40 Jahren mit seiner Frau Heike verheiratet und nimmt gelassen hin, dass ihm unbekannte Frauen ungefragt an den durchtrainierten Hintern fassen, zu dem er „gluteus maximus“ sagt, weil die Medien „Arsch“ nicht mögen.

Manchmal, so scheint es, verwundert das den 61-Jährigen selbst. „Mein Leben ist verrückt geworden“, sagt er immer wieder. Dann lacht er. Es stört ihn nicht, dass die Welt ihn als den Bahnbabo wahrnimmt, im Gegenteil, „ich BIN der Bahnbabo“. Er hat sich den Begriff sogar schützen lassen, zum Beweis zeigt er seinen Personalausweis. Ab und zu aber scheint auch Peter Wirth durch, der hochdeutsch kann, ein bisschen müde auf sein langes Arbeitsleben blickt und sehr genau merkt, ob sein Gegenüber integer ist. Und der vor allem eins möchte: Menschen glücklich machen.

OB-Wahl in Frankfurt: Jungs sagten zu Wirth „Du bist der Bahnbabo!“

Geboren wurde Wirth 1961 in dem Haus an der Schönen Aussicht in Frankfurt, in dem er bis heute wohnt. „50 Quadratmeter, mit Zugturm fürs Krafttraining statt Wohnzimmergarnitur. Das reicht uns“, sagt er. Seine Frau Heike hat er 1980 bei einem Diskoabend in der Tanzschule Wernecke kennengelernt, „ich hatte dunkle Locken und war noch nicht so massiv wie heute“. Er lacht wieder. Schon damals habe er aber gemerkt, dass sein Körper gut auf Training anspreche und seitdem nie wieder damit aufgehört.

Er lernt „ganz normal“ Elektroanlageninstallateur, macht sich 1985 zusammen „mit einem sehr lieben Menschen“ als Taxiunternehmer selbstständig. Drei Jahre später fängt seine Frau bei der VGF an. „Kurz darauf stand ich auf dem Halteplatz am Zoo und sah meine Frau vorbeifahren. Sie drehte am Steuerrad und ich dachte: Die verdient ihr Geld ja mit links!“ Er wartet kurz. „Weil sie drehte das Rad mit der linken Hand“, fügt er an. „Seitdem bin ich in diesem Betrieb.“

„Ich möchte zurückgeben, was das Leben mir geschenkt hat“, sagt U-Bahn-Fahrer Peter Wirth alias „der Bahnbabo“. Ob ihm das Leben auch das Amt des Oberbürgermeisters schenkt?
„Ich möchte zurückgeben, was das Leben mir geschenkt hat“, sagt U-Bahn-Fahrer Peter Wirth alias „der Bahnbabo“. Ob ihm das Leben auch das Amt des Oberbürgermeisters schenkt? © dpa

Lange verläuft sein Leben recht unscheinbar, bis zu jenem Tag vor zehn Jahren. „Chabos wissen, wer der Babo ist“ des Offenbacher Rappers Haftbefehl hat gerade die Charts gestürmt, und die meisten wissen noch nicht, dass Babo „Anführer“ heißt, als vier Jungs in Wirths Bahn sitzen und sich von ihm beobachtet fühlen. Jeder, der den Bahnbabo kennt, weiß, wie es weitergeht: Wie Wirth die Jungs zum Fitness-Wettkampf herausfordert, zwischen den Sitzen 60 Mal seinen Körper mit den Armen hochstemmt, und damit haushoch gewinnt. „Du bist stabil“, habe einer der Jungs zu ihm gesagt. „Du bist der Bahnbabo!“ In diesem Moment beginnt das zweite Leben des Ur-Frankfurters.

OB-Wahl in Frankfurt: Der Bahnbabo ist, was Wirth in seiner Jugend gebraucht hätte

Er bekommt einen Blog auf der VGF-Homepage, die Medien werden aufmerksam, bis nach China schafft es ein Beitrag über ihn. „Den habe ich gestern zwei chinesischen Touristen gezeigt, die sind eskaliert!“ Es gibt Taschen mit seinem Konterfei, Jugendliche fangen an, sich mit ihm zu filmen, wahlweise auch nur ihn beim Fahren oder nur sich, wie sie kreischen, wenn er vorbeifährt, und posten die Videos in den sozialen Medien.

Und dann kommt der Tag, der Wirths Leben zum zweiten Mal verändert: Er gewinnt beim Hessen-Quiz - und schenkt seine Reise nach Andalusien einem kranken Jungen und dessen Familie. Dem Verein Mainlichtblick, der den Kontakt herstellt, gehört noch heute sein Herz, immer wieder sammelt er seitdem Spenden oder überrascht kranke Kinder mit persönlichen Geschenken. „Das erfüllt mich mit Glück. Der Rest ist Fame und Spaß und öffnet mir Türen.“ Er zeigt Fotos von Kindern und Jugendlichen, die vor Glück strahlen, erzählt von Kaan, Lisa und Shirley, und dass er mit vielen von ihnen in Chatkontakt steht. Er erzählt von seinen jugendlichen Fans, die oft zu den Abgehängten der Gesellschaft gehören, und denen er erklärt, dass Sport wichtig und Drogen scheiße sind, wenn man stabil sein will. Und er erzählt von Obdachlosen, denen er aus dem Bahnfenster heraus Geld gibt.

„Ich hatte ein sehr erfülltes Leben“, sagt er. Obwohl es in seiner Jugend aussah, als ob auch er unabwendbar zur Verliererseite gehören würde. Doch Gott habe sein Leben geführt, und nun sei es an ihm, für andere da zu sein. „Ich möchte zurückgeben, was das Leben mir geschenkt hat.“ Der Bahnbabo ist, was Wirth in seiner Jugend gebraucht hätte.

OB-Wahl in Frankfurt: „Ich will menschliche Wärme und Austausch“

Damit erklärt sich vieles. Warum er seine Kritiker nicht wirklich ernst nimmt: „Es geht doch gar nicht um mich.“ Warum er als OB allen Verwaltungsmitarbeitern das Du anbieten will: „Ich will keinen Abstand, ich will menschliche Wärme und Austausch.“ Warum er ein Drittel seines OB-Gehalts spenden möchte: „Ich finde so viel Geld unanständig. Andere brauchen es viel dringender.“ Warum er nahbar ist und Menschen mit guter Laune, Gedichten oder Geschenken bedenkt: „Ich glaube an das Gute im Menschen, aber es ist schwer durchzusetzen. Das hindert mich aber nicht daran, es immer wieder zu versuchen.“

Es sind diese Momente, in denen er ganz zum Bahnbabo wird. Und wenn es nicht klappen sollte mit der OB-Wahl in Frankfurt? „Ich kann auch Rentner“, sagt Peter Wirth und sieht kurz müde aus. „29 Jahre Schichtdienst sind genug.“ Anfang 2025 wäre es so weit. „Aber der Bahnbabo“, und da ist er wieder ganz der Alte, „der wird nicht aufhören. Der bleibe ich, bis ich sterbe.“ (Sarah Bernhard)

Dass er am Wahltag arbeiten müsse, wirft OB-Kandidat Peter Wirth seinem Arbeitgeber vor. Der stellt die Sache ganz anders dar.

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