Betrugsskandal zieht weitere Kreise - bis zu einem Krankenhaus in Frankfurt

Eine Klinik in Baden-Württemberg ist in einen Betrugsskandal verstrickt, der bis vor Gericht geht. Das Krankenhaus Nordwest taucht in der Anklageschrift auf.
Frankfurt - Der Betrugsskandal am Stuttgarter Klinikum mit der Behandlung libyscher Kriegsverletzter hat auch einen Schauplatz in Frankfurt. Nicht allein, dass Prof. Jürgen Graf, der heutige Ärztliche Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Frankfurt, zwischen 2014 und 2016 als Ärztlicher Direktor am Stuttgarter Klinikum tätig war und nun einer von insgesamt neun Beschuldigten ist, gegen die Staatsanwaltschaft der Landeshauptstadt Baden-Württembergs Anklage erhoben hat. Auch das Krankenhaus Nordwest findet Erwähnung in der umfangreichen Anklageschrift der Anklagebehörde: Dorthin hatte das Klinikum Stuttgart seinerzeit 14 Patienten geschickt.
Laut Staatsanwaltschaft kamen im Juli 2013 zunächst 99 libysche Patienten und 23 Begleitpersonen per Charterflug von Misrata nach Stuttgart. „Aus Kapazitätsgründen“ seien die Behandlungsbedürftigen auf weitere Krankenhäuser auch außerhalb des Bundeslandes Baden-Württemberg verteilt worden. Das Nordwest-Krankenhaus nahm demzufolge 14 Kriegsversehrte aus dem Maghrebstaat auf, gegen Vorkasse. Eine Million Euro überwies das Klinikum Stuttgart an die Klinik in der Steinbacher Hohl für deren medizinische Behandlung. Das bestätigte das Nordwest-Krankenhaus auf Anfrage dieser Zeitung. Auf welcher Berechnungsgrundlage diese üppige Vorauszahlung erfolgte, ist offenbar im Nordwest-Krankenhaus ein Rätsel.
„Die Berechnungsgrundlage der Vorauszahlung ist nicht bekannt“, so Interims-Unternehmenssprecher Heiko Depner.
67.000 Euro pro Patient in Frankfurt: Hintergrund nicht mehr nachvollziehbar
Die Finanzbuchhaltung habe den Erhalt von einer Million Euro Vorauszahlung durch das Uniklinikum Stuttgart bestätigt. Im Zusammenhang mit der Behandlung von ausländischen Patienten, die nicht in Deutschland oder der EU gesetzlich versichert sind, sei die Leistung einer Vorauszahlung üblich. „Nach Abschluss der Behandlungen wurde für erbrachte Leistungen und Kosten das überschüssige Budget in Höhe von rund 300 000 Euro am 31.03.2014 an das Klinikum Stuttgart zurücküberwiesen“, lässt Depner wissen.
„Die Zahl von 15 Patienten“, also einer mehr als in der Anklageschrift, „können wir nach derzeitigem Sachstand als Mindestzahl bestätigen, prüfen jedoch aktuell noch, ob auch andere Fälle mit diesem Sachverhalt im Zusammenhang stehen. Die Patientenakten liegen nicht vollständig vor und es ist nicht eindeutig zugeordnet auf welcher vertraglichen Grundlage beziehungsweise über welchen Weg der Zuweisung die Behandlung initiiert wurde.“ Wie die beachtliche Summe von durchschnittlich rund 67 000 Euro pro Patient zustande kommt, die das Nordwest-Krankenhaus demnach abgerechnet hat, und welche Leistungen damit entgolten wurden, ist aktuell im Haus nicht nachvollziehbar.
Trotz längerer Frist: Schriftliche Unterlagen sind verschwunden
Es fehlen offenbar nicht nur Teile von Patientenakten, für die laut Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) eine Aufbewahrungspflicht von zehn Jahren besteht. Unauffindbar ist auch ein Vertrag oder eine Vereinbarung über die Kooperation mit dem Klinikum Stuttgart. Die Staatsanwaltschaft geht laut Anklageschrift davon aus, dass keine Verträge geschlossen wurden.
Depner indessen weiß: „Einem Buchungstext ist der Verweis auf ein Schreiben vom Klinikum Stuttgart zu entnehmen. Wir gehen aktuell somit davon aus, dass eine Vereinbarung existiert, konnten jedoch keine schriftlichen Unterlagen im Rahmen unserer ersten Recherche im IT-Dokumentenmanagement auffinden.“ Auch sei im Haus unklar, wer genau seinerzeit die Absprachen mit dem Klinikum Stuttgart getroffen habe. Sämtliche 2013 verantwortlich handelnden Personen seien nicht mehr im Nordwest-Krankenhaus tätig, so Depner, das betreffe die Geschäftsführungs- ebenso wie die medizinische Ebene.
Beratungsunternehmen soll Vorgänge an Frankfurter Klinik prüfen
Dass die Offerte aus Stuttgart ans Nordwest-Krankenhaus wegen dessen Anfang der 2000er Jahre eingerichteten „Auslandsabteilung“ für die Behandlung von Medizintouristen erfolgt sein könnte, schließt Heiko Depner nicht aus. „Entscheidend bei der Versorgung ausländischer Patienten ist, neben der Grundvoraussetzung der medizinischen Kompetenz, ebenso die Struktur des Krankenhauses im Umgang mit Patienten. Unter anderem bei der Aufnahme, der Kommunikation in einer anderen Sprache und der Kenntnis um religiöse und kulturelle Besonderheiten. Diese Struktur war in der Vergangenheit in unserem Haus vorhanden.“
Nun ist man im Nordwest-Krankenhaus wohl selbst daran interessiert, die knapp zehn Jahre zurückliegenden Vorgänge um die Versorgung libyscher Kriegsverletzter zu durchleuchten. Die Geschäftsführung hat jetzt ein Wirtschaftsberatungsunternehmen mit der „Prüfung und Aufarbeitung“ beauftragt, wie Depner bestätigt.
Krankenhäuser rechnen zu viel ab: Betrüger sitzt im Gefängnis
Für die Betreuung der nordafrikanischen Patienten in der Frankfurter Klinik war laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft der als Dienstleister für das Klinikum Stuttgart tätige Abu Rikab zuständig. Der Deutschpalästinenser sitzt seit vergangenem Jahr in Haft, verurteilt zu zwei Jahren und neun Monaten unter anderem wegen Betrugs und Untreue.
Rikab soll als Teil eines ausgeklügelten Systems und mit Billigung führender Mitarbeiter des Klinikums Stuttgart überhöhte Abrechnungen für die Betreuung libyscher Kriegsverletzter vorgelegt, außerdem nicht erbrachte Leistungen abgerechnet haben. Als Vermittler von Gesundheitsdienstleistungen soll Abu Rikab von 2012 bis 2015 auch für die Betreuung ausländischer Patienten insbesondere aus dem arabischen Raum mit dem Klinikum Stuttgart zusammengearbeitet haben.
Der Prozess gegen Rikab ist erst der Anfang der juristischen Aufarbeitung der Machenschaften am Klinikum Stuttgart. Wann die Wirtschaftsstrafkammer den Strafprozess gegen Prof. Jürgen Graf und die acht weiteren Beschuldigten eröffnet, ist noch unklar. Bislang hat sie über die Annahme der Anklage noch nicht entschieden. (Sylvia A. Menzdorf)