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Arzt schlägt vor, ihren behinderten Sohn „zu erlösen“ –Mutter ist „geschockt“

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Von: Sarah Bernhard

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Trotz seiner Behinderung müsse Paul F. nicht „erlöst“ werden, sagt seine Mutter Ellen H. - und kritisiert die Paracelsus-Klinik in Bad Ems dafür, genau das vorgeschlagen zu haben. FOTO: privat
Trotz seiner Behinderung müsse Paul F. nicht „erlöst“ werden, sagt seine Mutter Ellen H. – und kritisiert die Paracelsus-Klinik in Bad Ems dafür, genau das vorgeschlagen zu haben. © privat

Die Mutter eines mehrfach behinderten 21-Jährigen erhebt Vorwürfe gegen die Paracelsus-Klinik Bad Ems. Ein Arzt schlägt vor, ihren Sohn „zu erlösen“.

Nassau/Frankfurt – Nur ein paar Stunden, nachdem Ellen H. mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern in Norditalien angekommen ist, kommt der Anruf der Klinik. Fünf Tage Urlaub hatten sie geplant, ganz ohne Stress und Verpflichtungen. Denn zu Hause pendelt die 50-Jährige zwischen ihrem Wohnort Frankfurt und Nassau in Rheinland-Pfalz, wo ihr ältester Sohn Paul, der mehrfach behindert ist, in einer Pflegeeinrichtung lebt.

Am Telefon ist ein Arzt der Paracelsus-Klinik Bad Ems, die für Nassau zuständig ist. „Das Gespräch begann damit, dass der Arzt mich fragte, ob mein Sohn ,erlöst werden sollte’. Er habe eine Lungenentzündung, wenn sich der Zustand verschlechtere, könne er ihn intubieren oder direkt palliativ behandeln“, sagt H., und ihre Stimme bebt vor Zorn. „Ich war geschockt. Klar ist intubiert werden und wieder rauskommen kein Ponyhof, aber ich bin mir sicher, dass bei einem anderen 21-Jährigen mit Lungenentzündung nicht gefragt worden wäre, ob man ihn ,erlösen soll’.“

Empört lehnt sie eine Palliativbehandlung ab und versucht, sich trotz mehrerer Telefonate mit der Klinik täglich auf den Urlaub zu konzentrieren. Doch ein ungutes Gefühl bleibt. Zwei Tage später bricht die Familie die Reise ab und kehrt nach Frankfurt zurück. „Die Kinder waren sehr enttäuscht.“

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Ellen H. beschwert sich beim Paracelsus-Konzern über die unpassende Äußerung des aufnehmenden Arztes, der Oberarzt der Notaufnahme entschuldigt sich bei ihr. Das bestätigt auch die Klinik: Für „entstandene Kommunikationsfehler im Umgang mit Paul F. wurde sich unmittelbar und direkt entschuldigt“, schreibt Konzern-Pressesprecherin Dirten von Schmeling auf Anfrage.

Darüber, was weiter passierte, sind sich die beiden allerdings weniger einig. Ellen H. erlebt die Behandlung ihres Sohnes, der sich nicht selbst äußern kann, als eine Kette von Fehlern. Mit Verweis auf die Hausordnung sei ihr verboten worden, ihrer Meinung nach defekte Geräte zu fotografieren, allerdings sei ihr die Hausordnung auch auf mehrere Nachfragen hin nicht ausgehändigt worden. Auch Pauls Krankenakte habe sie nicht einsehen dürfen. Immer wieder schreibt sie deshalb E-Mails an den Pflegedienstleiter und den Oberarzt, fragt persönlich nach, diskutiert. „Die glauben, ich bin eine hysterische Mutti. Aber wenn ich kommuniziere, dass etwas falsch gelaufen ist, möchte ich einfach, dass sich darum gekümmert wird.“

Die Klinik geht auf diese Vorwürfe nicht ein und versichert stattdessen, „dass sich während des Klinikaufenthaltes von Paul F. im erwähnten Zeitraum alle behandelnden Ärzte und Pflegekräfte sowie die Klinikleitung in höchstem Maße engagiert und fachkundig agiert haben“. In „vielen persönlichen Gesprächen und Telefonaten“ habe, so von Schmeling, insbesondere der zuständige Oberarzt der Mutter die Behandlung „ausführlich“ erklärt und „weit über das normale Maß hinaus“ Fragen beantwortet. „Die Beteiligten konnten wahrnehmen, dass Frau H. nicht immer mit den Antworten zufrieden war, wir müssen hier aber darauf bestehen, dass wir der Einschätzung unserer Fachärzte zu den von Frau H. vorgeschlagenen Behandlungen absolut vertrauen.“

Natürlich sei sie mit den Antworten nicht zufrieden gewesen, sagt Ellen H. „Im Gespräch kann mir ein Arzt erzählen, was er will - ohne Akteneinsicht weiß ich aber nicht, ob es stimmt.“ Bei der Antibiotika-Dosierung etwa habe ihr der behandelnde Arzt etwas völlig anderes erklärt, als später im Entlassungsbrief gestanden habe. „Solche Gespräche sind nur Schall und Rauch.“

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Nach und nach erholt sich Paul von seiner Lungenentzündung. Nach drei Wochen geht es ihm nach Ansicht seiner Mutter wieder gut genug, um ihn in ein Krankenhaus zu verlegen, dem sie mehr vertraut. Sie organisiert ihrem Sohn einen Platz - doch die Paracelsus-Klinik lehnt ab, weil er noch nicht transportfähig sei. „Am gleichen Tag saß Paul aber im Pflegestuhl“, berichtet Ellen H. „Die Klinik bekommt für Paul ein sehr hohes Entgelt und hat wenig Aufwand mit ihm, da er sich nicht mitteilen kann. Vielleicht wurde er deswegen nicht in die andere Klinik verlegt?“

Auch hier widerspricht die Sprecherin von Schmeling. „Die Nutzung des Pflegestuhles war keinesfalls eine Bestätigung der Transportfähigkeit, sondern diente der Schutzlagerung, um unter anderem ein Verschlucken zu verhindern“, schreibt sie. Es sei für eine Verlegung noch zu früh gewesen, da Paul eben erst vom Beatmungsgerät entwöhnt worden sei und es nicht gut für ihn gewesen wäre, wenn er für den Transport schon wieder hätte ruhiggestellt werden müssen. Zudem sei unter anderem eine solche Entwöhnung bei einem Schwerstbehinderten keinesfalls wenig Aufwand, sondern im Gegenteil „eine große Herausforderung“.

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Als Paul zwei Tage später entlassen wird, hat er zwar die Lungenentzündung überstanden, dafür aber einen starken Dekubitus am Rücken, also eine offene Stelle, die entsteht, wenn man zu lange auf derselben Stelle liegt. Dem liege ein „Versäumnis bei der Behandlung des Patienten“ zugrunde, schreibt von Schmeling, „welches wir zutiefst bedauern und für das wir uns entschuldigen“.

H. ärgert sich auch nach der Entlassung ihres Sohnes noch so sehr, dass sie sich an die Zeitung wendet. „Ich habe das Gefühl, dass Behinderte in unserem Gesundheitssystem immer weniger Lobby haben. Es fehlt das Verständnis dafür, dass auch solche Menschen gerne leben. Dabei ist Paul immer fröhlich, er singt und kuschelt gerne und macht jeden Quatsch mit. Er muss nicht erlöst werden. Dafür möchte ich ein Bewusstsein schaffen“, sagt sie. Zur Nachbehandlung bringt sie ihren Sohn ins Kemperhof-Krankenhaus nach Koblenz. „Dort lag die Akte am Bett, ich konnte alles fragen und bekam auch immer Antworten. Das war wirklich toll.“

Mittlerweile hat die Paracelsus Klinik in Bad Ems offiziell bekannt gegeben, dass sie die stationäre Patientenversorgung inklusive der Notaufnahme zum 31. März schließen wird. Grund sei ein „eklatanter Fachkräftemangel“, so dass ein ordnungsgemäßer Betrieb „seit geraumer Zeit“ nur noch „unter allergrößter Belastung der gesamten Belegschaft“ möglich gewesen sei. (Sarah Bernhard)

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