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„Leitungen wohl mindestens 60 Jahre nicht geprüft“: Mieter bangen um die Zukunft ihres Mehrfamilienhauses

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Von: Sabine Schramek

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Ein Mehrfamilienhaus in Frankfurt am Main wurde für 2 Millionen Euro zum Verkauf angeboten. Die Mieter blicken in eine ungewisse Zukunft und haben Angst.

Frankfurt - Eine Immobilienanzeige über ein „Solides Mehrfamilienhaus mit 10 Wohneinheiten & Rendite-Potential“ hat die Bewohner eines Mehrfamilienhauses in Frankfurt aufgeschreckt.Die Stiftung, der es gehört, will aus dem Gründerhaus offenbar Kapital schlagen.

Die Mieter dieses Mehrfamilienhauses in der Fechenheimer Straße sind besorgt, dass aus dem Haus zu ihren Lasten Kapital geschlagen werden soll. FOTO: Enrico Sauda
Die Mieter dieses Mehrfamilienhauses in der Fechenheimer Straße sind besorgt, dass aus dem Haus zu ihren Lasten Kapital geschlagen werden soll. © Sauda

Im Nachbarhaus der Fechenheimer Straße 10 wurde am 29. Juni 1927 Henry Jaeger geboren. Der Kopf der Jaeger-Bande, die mehr als 70 Einbrüche und Überfälle auf dem Kerbholz hatte. Noch in Haft, wurde er als Schriftsteller berühmt. Die Plakette wirkt so kalt, wie es die Wohnungen nebenan sind, die mit Gas- und Kohleöfen geheizt werden.

Das Haus wird wie eine Zitrone ausgequetscht. Jetzt hat die Zitrone wohl ihre Schuldigkeit getan

Harry Haarstark Bewohner des Hauses

Seit 40 Jahren wohnt er hier. Zwei junge Frauen wohnen seit vier und seit einem Jahr hier. „Es gab Gaslecks im zweiten Stock, bei mir in der Wohnung Licht wie in der Disco. Der Elektriker hat gesagt, die Tapeten seien so dick, dass die Leitungen wohl mindestens 60 Jahre nicht geprüft wurden“, erzählt eine von ihnen.

Frankfurt: Der Eigentümer des Hausen ist die Pestalozzi-Stiftung

Das Haus gehört der Pestalozzi-Stiftung Frankfurt, die Stipendien für qualifizierte Ausbildung in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet ermöglicht. Sie entspringt der Arthur und Emil Königswarter’schen Unterrichts- und Stipendienstiftung aus dem Jahr 1873 und wurde 1939 aus fünf bestehenden jüdischen Stiftungen zusammengeführt und von der Stadt Frankfurt als Pestalozzi-Stiftung Frankfurt genehmigt, um deren Vermögen dem Einfluss der Nationalsozialisten zu entziehen. Zehn Jahre später hat das Ehepaar Friedrich und Marie Hoffmann der Stiftung die Immobilie übereignet und später auch ihr Gesamtvermögen. „Die damit entstehende Friedrich-und-Marie-Hoffmann-Stiftung möge unserem deutschen Volke helfen, in Zukunft einen Weg aus dem jetzigen Elend zu finden“, schrieben sie.

Kein Gesprächsbedarf: Stiftung in Frankfurt schweigt

Nun haben die Mieter eine Immobilienanzeige bei der LBS gesehen, die mittlerweile nicht mehr im Netz steht. Für zwei Millionen Euro wurde das Haus als „Solides Mehrfamilienhaus mit 10 Wohneinheiten & Rendite-Potential“ angeboten. Ein Mieter hat die Vorsitzende der Stiftung deswegen angeschrieben. Helga Budde, ehemalige Kulturpolitikerin und langjährige Stadträtin (CDU), antwortete, dass die Stiftung eine Verkaufsprüfung eingeleitet habe.

„Ob und wenn ja, wann es zu einer Veräußerung kommt, ist derzeit völlig offen.“ Die Mieter haben um ein Gespräch gebeten, da sie sich vorstellen können, eine Lösung für welche auch immer gearteten Probleme finden zu können. „Da die Stiftung sich im Sondierungszeitraum befindet, gibt es aus unserer Sicht keine Notwendigkeit für Gespräche“, war die Antwort.

Entscheidung: Viele Fragen der Mieter bleiben in Frankfurt offen

Die Mieter hatten vorgeschlagen, die „Gima“ zu kontaktieren. Sie ist Anlaufstelle für sozialverträgliche und gemeinwohlorientierte Hausverkäufe. Das sei geschehen. Sowohl von der Makleragentur als auch von der Stiftung selbst, schreibt Budde. Das ist so nicht richtig, monieren die Mieter. Die Stiftung selbst sei nicht an die Gima herangetreten. Kulturdezernentin Ina Hartwig (SPD), die ebenfalls im Vorstand ist, habe auf Anfrage nicht geantwortet.

Der Vorstand der Stiftung ist paritätisch besetzt. Mit Personen aus dem Magistrat, der jüdischen Gemeinde und der Frankfurter Bürgerschaft. Auch Harald Norbisrath, Bereichsleiter Private Banking der Frankfurter Sparkasse, ist im Vorstand. „Besichtigungen haben längst stattgefunden und das sah nicht nach Sondieren aus“, so die Mieter, die Angst um ihre Zukunft haben.

Frankfurt: Keine Reparaturen in Mehrfamilienhaus seit 2001

Sie mögen das Haus, das 2001 ein neues Dach bekommen hat. „Seither wurde nichts mehr gemacht, außer wenn es ganz akut war“, so Haarstark. Darin sehen die Bewohner das Problem. Um das Haus, das so inniglich - auch für den Erhalt in der Stiftung - 1949 übertragen wurde, habe sich niemand gekümmert. Selbst ein Kellerfenster, das nach einem Einbruch vor einem Jahr zu Bruch ging, wurde nicht ersetzt. Die Mieter haben es abgedichtet.

Der Verkauf wird derzeit lediglich geprüft.

 - Werner Wiegand, Geschäftsführer der Pestalozzi-Stiftung Frankfurt -

Mieter des Mehrfamilienhauses haben Angst

Die Frage, warum das Haus auf den Markt gekommen ist, wird nicht beantwortet. Eine Terminanfrage bei Mike Josef, dem Oberbürgermeisterkandidaten der SPD und Planungsdezernenten, haben die Mieter gestellt. Heute wollen sie zur Sitzung des Ortsbeirats 4 gehen, um ihre Bedenken und Sorgen vorzutragen. (Sabine Schramek)

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