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Oeder Weg in Frankfurt – von der Traumstraße zum Alptraum

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Von: Dennis Pfeiffer-Goldmann

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Die Geschäftsleute im Oeder Weg klagen über fehlende Kunden und spürbar geringere Umsätze. Den Geschäftsleuten fehlen die Kunden.

Frankfurt – Der Ausbau des Radverkehrs und das Zurückdrängen der Autos in Frankfurt ängstigt viele Einzelhändler. Das zeigt sich wie im Brennglas im Oeder Weg im Nordend. Die Hauptstraße wurde im vorigen April umgestaltet. Das spüren inzwischen viele Ladenbesitzer. Wo früher ein Auto neben dem anderen parkte, stehen im Oeder Weg Fahrradständer oder große Pflanztröge. Gaststätten und Bäckereien haben dort Stühle und Tische platziert. Große, rote Flächen weisen auf Vorrang für Radfahrer hin.

„Hier in der Straße einen Buchladen zu eröffnen, war mein Traum“, sagt Maria Lucia Klöcker. Vor neun Jahren wagte sie den beruflichen Neubeginn mit ihrer Buchhandlung Weltenleser. 2020 wurde die als einer der acht besten Buchläden Deutschlands ausgezeichnet. Nach dem Land der Handlung sortiert stehen die Werke in den Regalen. Man kann sich durch die Welt lesen.

„Der Oeder Weg war immer meine Traumstraße“, erinnert sich Klöcker. In Eckenheim wohnte die Familie lange, von dort lief sie durch den Oeder Weg in die City. „Das war eine der schönsten Straßen der Stadt.“ Die Läden waren völlig unterschiedlich. „Das war extremst lebendig.“ Susanne Bänfer nickt - und seufzt. „Das ist jetzt gestorben, wie tot.“ Bänfer hat ihren Laden „Hutcouture“ ein wenig die Straße runter. Seit 31 Jahren verkauft sie ihre eigene Hutmode. Einen Laden wie ihren findet man selten in Deutschland.

Maria Luise Klöcker von der Buchhandlung Weltenleser (links) und Susanne Bänfer von Hutcouture sehen die Umwandlung des Oeder Wegs kritisch. Den Geschäftsfrauen fehlt die Kundschaft.
Maria Luise Klöcker von der Buchhandlung Weltenleser (links) und Susanne Bänfer von Hutcouture sehen die Umwandlung des Oeder Wegs kritisch. Den Geschäftsfrauen fehlt die Kundschaft. © enrico sauda

Oeder Weg in Frankfurt: Kaum noch Menschen auf den Gehwegen unterwegs

Es seien kaum noch Menschen auf den Gehwegen unterwegs, berichtet Bänfer. Sie und Maria Klöcker machen das daran fest, dass seit vorigem Jahr immer weniger Autos durchfahren und parken können. „Wir hatten gerade Corona überstanden, da legte die Stadt los.“ Im Zuge der Umgestaltung zur fahrradffreundlichen Nebenstraße wurden Parkplätze umgewidmet, auch wurde die Zufahrt erschwert: Im Süden wurde im August 2021 die Verbindung vom Eschenheimer Tor aus blockiert, im Norden im vorigen April die Durchfahrt mittels „Diagonalsperre“. Autos und Lastwagen müssen sich nun durchs Gewirr der Einbahnstraßen in Wohngebieten ihre Wege suchen.

Die Folgen schildern die Kauffrauen als drastisch: „40 Prozent weniger Umsatz gegenüber der Zeit vor Corona und der Umgestaltung“ habe sie, sagt Susanne Bänfer. Weil der Durchgangsverkehr fehle, fehlten auch spontane Kunden wie Touristen. Viele hätten beim Halt an der Ampel ihren Laden entdeckt, geparkt, seien zu ihr gekommen.

Antiquitäten-Händler Horst Fuhrmann berichtete schon über 50 Prozent weniger Umsatz. Das Pfeifengeschäft und Schmuck Hilgenfeld sind schon weg, ein neuer Porzellanladen habe sich gleich gegen den Standort entschieden, erzählt Bänfer. „Früher gab es auch noch ganz tolle Boutiquen hier“, schwelgt sie.

Im Weltenleser sei der Umsatzrückgang deutlich, sagt Maria Klöcker. Dabei verweisen die Befürworter des fahrradfreundlichen Umbaus auf Studien, die sogar höhere Umsätze durch mehr Rad- statt Autofahrer verheißen. „Das ist hier nicht so“, sagt Bänfer. Was am Käuferklientel liegen könnte: Hutcouture-Kunden kommen teils von weit her, Düsseldorf, Hamburg, Dubai. Die Weltenleser-Besucher kommen zwar zum Teil aus dem Stadtteil, auch sind ältere Menschen aus anderen Stadtteilen dabei. Früher kam aber auch ein erklecklicher Teil wohlhabender Kunden aus dem Umland bis Gießen, Fulda, Mannheim „Viele haben einen Ausflug hierher gemacht“, erzählt Klöcker. „Die kommen jetzt einfach nicht mehr.“

Kommentar: Wo die Fahrradförderung übers Ziel hinausschießt

Protest, Existenzsorgen, fundamentale Veränderungen im Quartier: Ob die Stadtverordneten mit all diesen Folgen gerechnet haben, als sie 2019 mit sehr großer Mehrheit beschlossen, Frankfurt zur Fahrradstadt umzubauen? Wohl eher nicht. Schließlich sind die negativen Begleiterscheinungen der Umgestaltung nicht von Gott gegeben. Sie sind Folgen der Art, wie die Verantwortlichen im Römer den Wandel auf der Straße umsetzen.

Zentrales Argument der Fahrradfahrer: Nachdem jahrzehntelang das Auto bevorzugt wurde auf den Straßen, müsse nun ihnen mehr Platz gegeben werden. Das stimmt, ist aber zu eindimensional gesehen. Auch Fußgänger verdienen mehr Platz, und für Bahn und Bus wäre er am wichtigsten, da mit ihnen die größte Zahl an Menschen umweltfreundlich vorankommt. Im Oeder Weg jedoch ist „nur“ eine für Radfahrer angenehme Strecke entstanden. Ja, auch mehr Aufenthaltsqualität schaffen die Planer. Das aber bremst den wohl ungewollten Teil der Entwicklung nicht, sondern verstärkt ihn sogar: Mangels Erreichbarkeit per Auto und fehlender Parkplätze wird der Oeder Weg für die Laden-Kundschaft von weiter her unattraktiv, hingegen für Restaurantgäste aus dem Umfeld umso anziehender. Eine ins Umland ausstrahlenden Einkaufsstraße wird so zur Versorgungsstraße fürs Quartier geschrumpft.

Nun: Stadtplanung kann so etwas natürlich als Ziel haben, klar. Dass das hier aber gewollt wäre, ist mindestens fraglich. Zumindest haben die Stadtverordneten das nicht in Auftrag gegeben. Mit ihrer Sperrung für Autos schießen die Macher aber definitiv übers Ziel hinaus. Steuern sie nicht schnell um, kann das katastrophal werden für diesen Einzelhandelsstandort.

Und ziehen sie nicht die richtigen Lehren, sieht es bald auch für andere, bisher bunte Frankfurter Einkaufsstraßen düster aus. (Dennis Pfeiffer-Goldmann)

Oeder Weg in Frankfurt: Viele ältere Kunden kommen nicht mehr

Besonders ältere Kunden stiegen nicht aufs Fahrrad um. „Für viele sind auch öffentliche Verkehrsmittel keine Alternative“, sagt Klöcker, weil sie schwere Einkäufe nicht weit tragen wollten. Mit dem Auto aber sei es „sehr schwierig geworden“. Kunden hätten berichtet, dass sie, nachdem sie im Oeder Weg und in den Nebenstraßen keinen Parkplatz fanden, wieder weggefahren seien. „Die kaufen jetzt im Main-Taunus-Zentrum ein“, erzählt die Buchhändlerin. Warum sie nicht ins Parkhaus nebenan in der Querstraße fahren, wie die Stadt stets empfiehlt? „Das ist zu eng, viele Ältere trauen sich da nicht hinein“, bekam Klöcker berichtet. Oder es sei oft auch einfach besetzt, weil viele Stellplätze an Dauermieter vergeben seien.

Den Verkehrsversuch will die Stadt trotz solcher Probleme fortsetzen. Er werde ja extra wissenschaftlich begleitet, sagt Wolfgang Siefert (Grüne), der schon gewählte neue Mobilitätsdezernent, der von Juli an im Amt ist. Die Untersuchungen „warten wir ab, bevor wir grundsätzliche Bewertungen vornehmen“. Die Folgen der Diagonalsperre wolle die Stadt „mit kleineren Maßnahmen“ abfangen. Er bittet um Geduld. „Es dauert ein Jahr, bis sich die Leute daran gewöhnen.“ Die Stadt erhalte auch „viele positive Rückmeldungen“ auf die Umgestaltung, sagt Siefert. Aber das sei „sortimentsabhängig“.

Letzteres bestätigen die Einzelhändlerinnen. Besonders die Gastronomie profitiere, sagt Susanne Bänfer. Dadurch werde es für die Oeder-Weg-Anwohner wohl im Sommer lauter. „Das wird jetzt eine Partymeile wie auf den Plätzen im Nordend“, schätzt Maria Klöcker. Und in den Nebenstraßen suchten nun eben viel mehr Autofahrer nach Parkplätzen.

Faktisch wandele die Stadtpolitik den Oeder Weg von einer Einkaufsstraße mit einer Vielfalt an Gewerbe weg, sagt Klöckner. „Das wird eine Fressmeile.“ Damit sterbe ein Teil der Stadt, befürchtet Bänfer. „Die vielen kleinen Geschäfte sind doch ein Teil der Kultur.“ (Dennis Pfeiffer-Goldmann)

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