Zwei Frankfurter sind den Mördern auf der Spur

Die Filmemacher geben in einem Buch Einblicke in die Arbeit der Polizei und widmen sich auch einem Frankfurter Fall
Es ist, als würde man in eine Polizeiakte blicken: Texte, geschrieben mit den harten Lettern einer Schreibmaschine auf vergilbtem Papier, teilweise geschwärzt, flankiert von Fotografien, die zur Beweissicherung nach Verbrechen angefertigt wurden. Es sind 15 echte Kriminalfälle, die David Sarno (40) und Sascha Lapp (49) auf mehr als 250 Seiten im schwarzen Einband ihres Buches „Das Prinzip Mord - Wahren Verbrechen auf der Spur“ gefasst haben. Sarno und Lapp sind Filmemacher und Autoren und produzieren seit 2016 True-Crime-Formate für das ZDF. Dabei geht es ihnen in den Filmen - wie in ihrem jetzt erschienenen Buch - nicht darum, das Leid anderer in die Öffentlichkeit zu ziehen oder Täter vorzuführen. Vielmehr möchten sie die spannende Ermittlungsarbeit der Kommissare darstellen, fernab reißerischer Klischees. „Es ist manchmal nicht zu glauben, wie viel Raffinesse, Erfahrung und Akribie vonseiten der Ermittler notwendig sind, um Täter zu überführen“, schildern Lapp und Sarno.
Nach 25 Jahren wird der Täter überführt
Es sind die Cold Cases, die Lapp und Sarno interessieren, also Fälle, die Jahre oder Jahrzehnte später wieder aufgerollt werden und dank Weiterentwicklung technischer Möglichkeiten aufgeklärt werden konnten. Wie der Fall der 16 Jahre alten Beatrix „Trixi“ Scheible, die im Dezember 1981 in einem abgelegenen Gebäudeteil des Nordwestzentrums tot aufgefunden wurde, nachdem sie mit Freunden unterwegs war. Die Beamten gehen jeder Spur nach, notieren jeden Namen in ihrem Umfeld. Da erwähnt Trixis Mutter auch beiläufig Jochen B., der sich als Kind Jahre zuvor mit Trixis älterem Bruder mal geprügelt hatte. Was sollte er mit dem Mord zu tun haben? Außerdem hatte er laut seiner Mutter zum Tatzeitpunkt vorm Fernseher gesessen.
Mordermittler Siegfried Manoch lässt der Fall nicht los. Jahrelang geht er stets am 11. Dezember ins Nordwestzentrum, weil er weiß, dass es Täter oft an Jahrestagen an den Ort des Verbrechens zurückzieht. Vergebens. 19 Jahre später ist die Methode der DNA-Analyse weiterentwickelt, und es gibt mit dem Biologen Dr. Harald Schneider einen Mann, der geringste Spuren sichtbar machen kann und so mehr als 500 Mordfälle bundesweit aufgeklärt hat. Doch auf der Kleidung des Opfers, die in der Asservatenkammer der Frankfurter Staatsanwaltschaft lagert, findet sich nichts.
Fünf Jahre später liegen die Kleidungsstücke wieder auf dem Labortisch des Landeskriminalamtes. Inzwischen ist es möglich, nach mikroskopisch kleinsten Spuren zu suchen. Man findet minimale Reste von Körperflüssigkeit. Schneider, inzwischen Leiter der Frankfurter Mordkommission, ist überzeugt, dass sie vom Täter stammen müssen. Es werden Vergleichsproben eingeholt.
Fast 25 Jahre später, im Juni 2006, der Treffer. Jochen B., dem seine Mutter ein Alibi gegeben hatte, wird festgenommen. Nun gibt er die Tat zu und acht weitere Vergewaltigungen. „Offensichtlich handelte es sich um einen brandgefährlichen Mann. Eine Prügelei auf dem Schulweg, 14 Jahre vor der Tat, bringt ihn schließlich zu Fall. Hätten die damaligen Beamten die eher beiläufige Aussage von Trixis Mutter nicht protokolliert, wäre er womöglich nie gefasst worden“, fassen die Buchautoren zusammen.
Der Fall Trixi ist für Sarno und Lapp ein besonderer. Es war der erste, den sie recherchiert haben. Ihre Berichte haben eine besondere Qualität. Von ihnen erfährt man mehr, als man in Nachrichten zu lesen bekommt. Meist erfährt man dort nur von der Aufklärung des Falles, aber nicht, wie es dazu kam und schon gar nicht von den Widersprüchen und Rückschlägen, mit denen die Ermittler umgehen mussten - und dennoch dranblieben.
Sachlichkeit, die unter die Haut geht
Sarno und Lapp haben die Freiheit, ausführlich zu erzählen und vorher umfassend zu recherchieren. „Wir sehen auch Dinge, die man sonst nicht sieht oder die man vielleicht auch nicht unbedingt sehen will“, sagt Sarno. Das, was man sich ohne großen Schrecken ansehen kann, haben sie für die Bebilderung ihrer Fälle in ihrem Buch ausgewählt. Im Fall Trixi S. Originalbilder aus der Akte, etwa vom Fundort im Nordwestzentrum, den Turnschuhen, die neben der Leiche lagen, Trixis Jeans sowie eine Abbildung der Mikroskop-Aufsicht auf die fremde Körperflüssigkeit.
Sarno und Lapp haben stundenlang mit den Ermittlern aller Fälle gesprochen - und das auf einer vertrauensvollen Basis, die sie sich jahrelang erarbeitet haben. Ein sensibler Umgang ist erforderlich, mit allem, was sie erfahren und was ihnen zugänglich gemacht wird. Über die Kommunikation der Polizei mit Betroffenen wird gewährleistet, dass die Belange der Angehörigen stets gewahrt, ihre Persönlichkeitsrechte nicht verletzt werden. Ausschließlich in historisch interessanten Fällen geben die Buchautoren die Klarnamen der Opfer und Täter preis, und nur wenn es dazu ein Einverständnis gibt. Aber immer lassen sie den Leser Schritt für Schritt Ermittlungen mitgehen, Gedanken nachvollziehen und in das Innenleben der Kommissare blicken. Dadurch können sie nur allzu Menschliches erzählen. Vieles überrascht. Dazu gehört das Geständnis eines Täters aus Liebe zu seiner Mutter. Oder jener Fall, in dem Currywurst und Pommes einem Täter die Zunge lösten.
Es gehe immer um Menschen, betonen Sarno und Lapp - aber niemals gefühlsduselig, sondern stets nüchtern und an der Sache orientiert. Vielleicht ist es gerade diese schnörkellose Sachlichkeit, die einem unter die Haut geht.
Buch und Podcast
„Das Prinzip Mord“ erscheint heute im Emons-Verlag. Dazu gibt es einen Podcast, der über das Nacherzählen der Fälle hinaus akustische Originalbeiträge aus Hörfunk und Fernsehen sowie mitreißende und berührende Interviews mit den jeweiligen Ermittlern bietet.