Aderlass auf dem Land: Gaststätten-Sterben nicht aufzuhalten

In vielen Gasthäusern auf dem Land bleibt die Küche künftig für immer kalt. Immer mehr Betriebe schließen, weil sie keinen Nachfolger finden. Somit geht Vielfalt in der hessischen Gastronomie-Landschaft verloren. Ein Branchenverband nennt Gründe und Rezepte dagegen.
Das Gaststätten-Sterben im ländlichen Raum von Hessen geht ungebremst weiter. Die Zahl der Gasthäuser, Dorfgaststätten und Kneipen nimmt immer weiter ab, wie der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) in Hessen auf Anfrage mitteilte. «Der Trend ist nicht aufzuhalten. Das massive Gaststätten-Sterben ist extrem besorgniserregend. Damit geht Kulturgut und ein Stück Vielfalt in Hessens Gastronomie-Landschaft verloren», sagte der Hauptgeschäftsführer von Dehoga Hessen, Julius Wagner, in Wiesbaden der Deutschen Presse-Agentur.
Mittlerweile schätzt der Verband die Zahl der Betriebe auf nur noch etwa 1100. Zwei Jahre zuvor seien es noch rund 1800 gewesen. Und im Jahr 2002 waren es nach statistischen Angaben noch knapp 3000 Betriebe. Laut Prognosen der Fachleute wird die Zahl noch weiter sinken. «Aber nicht mehr so drastisch wie in den vergangenen Jahren. Der Bestand wird sich einpendeln», sagte Wagner.
Keine Nachfolger
Der Hauptgrund für den Aderlass ist, dass die Betriebe beim Generationswechsel keinen Nachfolger finden und schließen, wie Wagner sagt. Meist habe sich ein großer Investitionsstau ergeben. Die «Betriebe sind in die Jahre gekommen. Es muss renoviert werden und ein neues Konzept her. Und in moderne Betriebsabläufe mit Automatisierung und Digitalisierung muss ebenso investiert werden, um die Arbeit zu vereinfachen und zu beschleunigen.» Zudem sei die Ertragssituation für Individual-Gastronomie zuweilen schwierig. Das heißt: Die Einnahmen wachsen nicht wie die Investitionskosten.
Ein Problem der ländlichen Gasthäuser und der Dorfgaststätten sei, dass es an zeitgemäßen Konzepten fehle. «Deswegen haben auch Coaching-Formate im Fernsehen Hochkonjunktur. Branchen-Profis wie TV-Koch Frank Rosin zeigen dann den Wirten, wie es geht.» Essenziell für das Bestehen sei auch, dass ein sauberer Geschäftsplan existiert, der die Betreiber vor finanziellen Schwierigkeiten bewahrt. «Oftmals sind keine seriösen Businesspläne aufgestellt worden. Und es mangelt an wirtschaftlichem Sachverstand», erklärt Wagner.
Kommt eine Gegenbewegung?
Trotz der Standort-Schwierigkeiten im ländlichen Raum mit weniger Gäste-Frequenz als in der Stadt ist Wagner überzeugt: «Wir glauben an die Dorfgasthäuser und ihre Zukunft. Sie geben der hessischen Gastronomie-Landschaft eine besondere Note», befand Wagner. Nach dem Trend, dass viele Menschen aus ländlichen Regionen in die Ballungsgebiete ziehen, rechnet der Verband in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mit einer Gegenbewegung. «Wenn das Wohnen und Leben in Städten zu teuer wird, ziehen die Leute aufs Land zurück. Und dort können Dorfgasthäuser identitätsstiftende Einrichtungen sein.»
Um den darbenden Dorfgasthäusern unter die Arme zu greifen, hat der Verband in den Jahren 2015 und 2016 eine Hilfskampagne veranstaltet. Unter dem Motto «Gasthaus trifft Rathaus» seien an vielen Orten in Hessen Gastwirte mit Kommunalpolitikern und Tourismus-Experten zusammengetroffen. Ziel: gemeinsam Ideen und Strategien erarbeiten.
Einer, der die Herausforderungen in der Branche als Chance zur Weiterentwicklung begreift, ist Gastwirt Michael Döppenschmitt. Er ist Chef im Gasthaus «Zur Krone» in Gelnhausen (Main-Kinzig-Kreis). Für ihn sind Innovationen das Erfolgsrezept. «Man muss ständig etwas Neues bieten, um die Gäste hinterm Ofen hervor zu locken.» Neue Impulse versucht er mit wechselnder, frischer Hausmannskost mit Produkten aus der Region zu liefern. Dazu bietet er Dinner-Abende mit kulturellem Unterhaltungsprogramm an. «Wer sich nicht um Abwechslung bemüht, bleibt auf der Strecke», erklärt der 58-Jährige.