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Bouffier gegen Schäfer-Gümbel - Das große Duell vor der Wahl

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Der Schein trügt. Beim großen Duell zwischen dem amtierenden hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und seinem Herausforderer Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) wurden nicht nur Nettigkeiten ausgetauscht. Das Interview gibt es Morgen, in der FNP - Frankfurter Neue Presse, HNA, Gießener Allgemeine Zeitung und Offenbach Post.
Der Schein trügt. Beim großen Duell zwischen dem amtierenden hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und seinem Herausforderer Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) wurden nicht nur Nettigkeiten ausgetauscht. Das Interview gibt es Morgen, in der FNP - Frankfurter Neue Presse, HNA, Gießener Allgemeine Zeitung und Offenbach Post. © Oliver Schepp

Der Schein trügt. Beim großen Duell zwischen dem amtierenden hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und seinem Herausforderer Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) wurden nicht nur Nettigkeiten ausgetauscht. Die Chefs der Politikredaktionen der Frankfurter Neuen Presse, HNA, Gießener Allgemeinen Zeitung und der Offenbach-Post sorgten mit ihrer Expertise für eine spannende Debatte.

Der Schein trügt. Beim großen Duell zwischen dem amtierenden hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und seinem Herausforderer Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) wurden nicht nur Nettigkeiten ausgetauscht. Die Chefs der Politikredaktionen der Frankfurter Neuen Presse, HNA, Gießener Allgemeinen Zeitung und der Offenbach-Post sorgten mit ihrer Expertise für eine spannende Debatte. 

Herr Bouffier, Herr Schäfer-Gümbel, die Landtagswahl in Bayern steht unmittelbar bevor. Befürchten Sie Auswirkungen des Ergebnisses auf den Urnengang in Hessen?

VOLKER BOUFFIER: Ich habe keine Befürchtungen. Welche Auswirkungen das haben könnte, ist sehr spekulativ. Für mich geht es um Hessen. Ich möchte den Menschen klar machen, dass am 28. Oktober nicht über die Bundespolitik oder über die politische Lage in Bayern abgestimmt wird, sondern über die Zukunft in Hessen. Und je besser uns das gelingt, umso erfolgreicher werden wir sein.

THORSTEN SCHÄFER-GÜMBEL: Bayern ist Bayern, Hessen ist Hessen. Zwischen Rodgau und Aschaffenburg liegen politische Welten. Nichtsdestotrotz wird die Frage, wie es in Bayern weitergeht, bundesweit Debatten auslösen. Am Ende aber geht es in einigen Tagen um Hessen. Es geht um bezahlbaren Wohnraum, um Bildungsgerechtigkeit und um eine bessere Zukunft für Stadt und Land.

Thema Migration: Hier haben die schwarz-grüne Landesregierung und die SPD an einem Strang gezogen. Was ist in Hessen besser gelaufen als im Bund?

SCHÄFER-GÜMBEL: Die hessische SPD ist auf den Ministerpräsidenten zugegangen mit einer klaren Botschaft: Wir stellen die Konflikte zurück. In dieser Phase vor drei Jahren ging es darum, große gesellschaftliche Aufgaben zu lösen. Wir haben gemeinsam gute Dinge auf den Weg gebracht – das gilt für die Kapitalerhöhung bei der Nassauischen Heimstätte, für Fragen in der Bildungspolitik und für Integrationsmaßnahmen. Im Besonderen gilt das aber auch für die politische Kultur, die wir anders geprägt haben als in nahezu allen anderen Bundesländern. Nicht ganz glücklich bin ich, dass einige der vielversprechenden Ansätze, vernünftig gemeinsam Politik zu machen, am Ende nicht über diese Phase hinaus fortgesetzt wurden.

BOUFFIER: Wir haben in der Tat vieles anders gemacht. Ich habe mich im Landtag mehrmals bei der SPD für ihre konstruktive Haltung bedankt. Ich habe bereits im September 2015 entschieden, dass wir andere Strukturen in der Verwaltung benötigen. Wir haben einen Asylkonvent einberufen, der noch heute arbeitet. Den gibt es nur in Hessen. Hier sind alle Einrichtungen und Menschen versammelt, die man für solch eine Herausforderung benötigt. Bei uns war keiner der Geflüchteten einen Tag obdachlos. Aber die Herausforderungen sind noch lange nicht bewältigt. Im November 2015 wurde dann ein Aktionsprogramm aufgelegt, das auch ein besonderes Augenmerk auf den Zusammenhalt in der Gesellschaft insgesamt legt. Und alle diese Leistungen werden fortgesetzt.

Redet man von Migration ist es das Thema Gewalt, das besonders viele Menschen umtreibt. War die Politik hier lange Zeit zu blauäugig?

BOUFFIER: Das glaube ich nicht. Hessen gehört zu den sichersten Bundesländern. Wir haben Top-Aufklärungsquoten und so viele Polizeibeamte im Dienst wie noch nie. Und die Menschen fühlen sich auch sicher; das wissen wir aus Umfragen. Gewaltverbrechen werden besonders intensiv wahrgenommen. Und wenn Asylbewerber schwere Verbrechen begehen, dann muss man verstehen, dass das die Bevölkerung besorgt. Damit muss man mit großer Ernsthaftigkeit, aber ohne Schaum vor dem Mund umgehen. Wir lassen nicht zu, dass daraus eine Pogromstimmung entsteht. Auf der anderen Seite muss aber auch gelten: Wer hier Aufnahme findet und eine schwere Straftat begeht, der muss zurück in sein Heimatland. Deshalb – und darum streiten wir auch mit der SPD – führen wir Straftäter auch nach Afghanistan zurück. Ich halte das für richtig.

SCHÄFER-GÜMBEL:  Wir müssen dafür sorgen, dass der Rechtsstaat handlungsfähig ist – das gilt für die Staatsanwaltschaften und die Gerichte, besonders aber für die Polizei. Da haben wir große Defizite. Die Polizei ist total überlastet. Und das hat auch viel mit den vergangenen 19 Jahren zu tun, in denen die hessische CDU in der Regierungsverantwortung war und ist. Unser Ziel ist es, in jeder Polizeistation eine Funkstreife rund um die Uhr mehr zu haben, um die Präsenz zu erhöhen.

Ich weiß übrigens nicht, woher Herr Bouffier den Punkt beim Thema Abschiebung nach Afghanistan nimmt: Wir haben immer gesagt, dass das bei schweren Straftaten möglich sein muss.  

BOUFFIER: Darf ich da noch einmal nachfragen? Die SPD hat uns noch immer vorgeworfen – und das habe ich doch nicht geträumt –, dass Abschiebungen nach Afghanistan unzulässig sind, oder?.  

SCHÄFER-GÜMBEL: Ja, für bestimmte Personengruppen stimmt das. Und das haben wir auch laut und deutlich gesagt. Sie wissen, dass es in Hessen Fälle gibt, wo sie Schüler beziehungsweise junge Erwachsene abgeschoben haben. Darüber hinaus wird man immer wieder neu darüber diskutieren müssen, wie die Sicherheitslage in Afghanistan ist. Da gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Ich glaube, dass man mit dem Thema Afghanistan deutlich sensibler umgehen muss, als das in Teilen der Union getan wird.  

BOUFFIER: Also halten wir doch einmal fest: Das, was wir machen, haben sie immer kritisiert.  

SCHÄFER-GÜMBEL: Das ist eine schöne Verkürzung (schmunzelt).  

BOUFFIER: Als langjähriger Innenminister habe ich große Erfahrungen beim Thema Abschiebung und Sicherheit. Bei Abschiebungen geht es immer um Menschen. Und das muss man dann auch vertreten. Jahrelang habe ich mir anhören müssen, es gebe Spielräume. Aber am Ende geht es um Klarheit. Ich bin bereit, über manche Spielräume nachzudenken. Ich bin nicht bereit, Menschen hier zulassen, die in erheblichem Maße straffällig geworden sind. Und bei den Fällen, die wir abgeschoben haben, trifft das zu. Und zum Thema Polizei: Noch nie sind so viele Polizisten eingestellt worden. Und ich behaupte nicht, dass die Beamten keinen hohen Belastungen ausgesetzt sind. Dagegen tun wir aber auch eine ganze Menge. Was mir sehr wichtig ist: Ich möchte mehr Polizei abends in Bussen und Bahnen. Darüber hinaus müssen wir über das Thema Internet-Kriminalität reden. Über Kinderpornografie oder Waffenhandel. Und an dieser Stelle haben wir einen massiven Dissens mit der SPD.

SCHÄFER-GÜMBEL: Jetzt wird es infam!

BOUFFIER: Ich stehe für die Online-Durchsuchung mit richterlicher Genehmigung, damit wir vorher etwas erfahren, und nicht nachher. So verhindern wir Straftaten. SPD und FDP sind komplett anderer Auffassung, halten das für einen zu tiefen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Ohne diese juristische Grundlage machen wir uns aber als Staat vorsätzlich blind.

SCHÄFER-GÜMBEL: Uns zu unterstellen, dass wir bei der Bekämpfung von Kinderpornografie oder Kindesmissbrauch nicht entschlossen genug seien, ist wirklich infam. Die Schärfe in der Diskussion über die Online-Durchsuchung kam nur zustande, weil Schwarz-Grün versucht hat, das im Verfassungsschutzgesetz zu regeln. Und da haben wir sehr klar gesagt, dass das nicht geht, weil es dort nichts zu suchen hat. Dass wir bei der Überwachung mit richterlicher Genehmigung dabei sind, dass ich deutlich gemacht habe, dass die Vorratsdatenspeicherung richtig ist, dass ich den Kompromiss auf Bundesebene für ausdrücklich richtig halte, das ist ja wohl unstrittig.

BOUFFIER: Ich darf doch festhalten, sie haben gegen das Polizeigesetz gestimmt.  

SCHÄFER-GÜMBEL: Aus ganz vielen Gründen, Herr Bouffier. Es ging nicht um diesen einzelnen Punkt. Und das wissen sie auch!

Herr Schäfer-Gümbel, solche Verbrechen werden oftmals auch instrumentalisiert, wenn man zum Beispiel an Chemnitz denkt. Ist die AfD ein Fall für den Verfassungsschutz?  

SCHÄFER-GÜMBEL: Es gibt dafür objektive Kriterien, es gibt keine politische Polizei. Im Fall der AfD bin ich der Meinung, dass die objektiven Tatbestände wie die Zusammenarbeit mit rechtsextremen Strukturen oder mit der Identitären Bewegung sehr für eine Beobachtung sprechen. Wir haben allen Anlass, dort sehr genau hinzuschauen. Auf der anderen Seite muss die politische und kulturelle Bildung als Prävention gestärkt werden. Und: Alle müssen sich verantwortlich fühlen – nicht nur für sich selbst, sondern auch für den Nachbarn. Von diesem Engagement haben wir zu wenig.  

BOUFFIER: Die Frage, ob eine Partei ein Fall für den Verfassungsschutz ist, darf nie durch politische Mehrheiten entschieden werden, sondern durch das Gesetz. Ansonsten machen wir sie zu Märtyrern. Wenn die Voraussetzungen aber gegeben sind, dann muss geprüft und überwacht werden. Wir müssen die Auseinandersetzung vor allen Dingen politisch führen. Die AfD hat für kein Problem eine Lösung. Und wir müssen versuchen, sie in der Sache zu stellen. Nur öffentliche Empörungsrituale nutzen nichts. Das schweißt die AfD nur mehr zusammen.

Das Landesamt für Verfassungsschutz soll uns vor Terror schützen. Wie gut sehen Sie die Behörde dafür aufgestellt?  

BOUFFIER: Wir haben das Landesamt für Verfassungsschutz drastisch ausgebaut, denn die Herausforderungen von Terrorismus, Extremismus und Gewalt sind nicht weniger geworden. Ich hätte dem Verfassungsschutz gern die Möglichkeit der Onlinedurchsuchung unter bestimmten Bedingungen eingeräumt. Das war aber mit unserem grünen Koalitionspartner nicht umsetzbar. Ansonsten halte ich die Ausstattung des Verfassungsschutzes für ordentlich.  

SCHÄFER-GÜMBEL: Wir brauchen einen handlungsfähigen Verfassungsschutz. Wir wollen aber auch einen Verfassungsschutz, der parlamentarisch vernünftig kontrolliert wird. Darüber gab es auch erhebliche Auseinandersetzungen im NSU-Untersuchungsausschuss. Die Bedrohungslagen sind komplexer geworden, darauf müssen die Sicherheitsbehörden eine entschiedene Antwort geben. Da wir uns aber in einem Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit bewegen, brauchen wir dafür parlamentarische Kontrolle, die wir momentan nicht sehen.  

Herr Schäfer-Gümbel, warum haben Sie im NSU-Untersuchungsausschuss nicht mit der Regierungskoalition zusammengefunden?  

SCHÄFER-GÜMBEL: Hessen ist das einzige Bundesland, in dem sich die verantwortlichen Amtsinhaber bis heute nicht für die Fehler der Sicherheitsbehörden entschuldigt haben. Deshalb gab es am Ende keine gemeinsame Linie.  

BOUFFIER: Der Untersuchungsausschuss ist ein politisches Kampfinstrument. Deshalb ist es auch nicht ungewöhnlich, dass wir nicht zusammengekommen sind.  

SCHÄFER-GÜMBEL: Beim Thema NSU war das aber in allen anderen Landesparlamenten anders.  

BOUFFIER: Ich habe den Ausschussbericht nicht zu kommentieren, sondern das Parlament. Da ich selbst als damaliger Innenminister handelnder Akteur war, tue ich gut daran, Abstand zu halten.

Im ländlichen Raum beklagen viele Menschen zu wenig Polizeipräsenz. Was wollen Sie tun, um deren Sicherheitsgefühl wieder zu stärken?  

BOUFFIER: Wir haben so viele Polizeibeamte wie nie, auch im ländlichen Raum. Die Menschen haben häufig ein subjektives Sicherheitsgefühl, das aber mit der objektiven Lage nicht in Einklang zu bringen ist. Das nehmen wir sehr ernst. Die Menschen möchten Polizisten gern auf der Straße sehen, weshalb wir keine Polizeistationen geschlossen haben. Wir haben sie ausgebaut, modernisiert und werden sie personell weiter verstärken.  

SCHÄFER-GÜMBEL: Wir wollen pro Polizeistation eine Funkstreife rund um die Uhr mehr auf die Straßen schicken. Es geht um mehr Präsenz, wir müssen Polizisten aber auch mehr wertschätzen. Dazu gehört neben einer besseren Bezahlung auch, deren Lebenssituation zu verbessern. Viele Polizisten pendeln am Tag mehrere Stunden, um beispielsweise zu ihrer Station im Rhein-Main-Gebiet zu kommen. Sie müssen pendeln, weil sie sich in Frankfurt mittlerweile keine Wohnung mehr leisten können.

Schulpolitik gehört für die Menschen zu den Top-Themen der Landespolitik. Trotz 105-prozentiger Lehrerversorgung und Investitionen auf Rekordniveau häufen sich nach 19 Jahren CDU-Regierung die Klagen über Missstände an Hessens Schulen: Lehrermangel, Überlastungsanzeigen von Lehrkräften etc. – hat die CDU zentrale Entwicklungen verschlafen?  

BOUFFIER: Mitnichten. Noch nie hatten wir so viele Lehrer, noch nie hatten wir so viel Unterricht und so viel Betreuung, noch nie hatten wir so viele Ganztagsschulen – alles von uns. Mit mir wird es aber keine Einheitsschule geben,und mit mir wird es keine Ganztagsschule als Zwang geben, denn ich will, dass die Eltern die Wahl haben. Es wird aber auch immer so sein, dass mal an irgendeiner Stelle etwas nicht klappt.  

SCHÄFER-GÜMBEL: Die Landesregierung behauptet, es gebe keinen Unterrichtsausfall und keinen Lehrermangel. Aber fragen Sie mal Lehrer, Eltern und Schüler: Es gibt natürlich Unterrichtsausfall. Und wir haben ein riesiges Problem mit Lehrkräften, die dafür gar nicht ausgebildet sind. Der Mangel in der Fachlehrerversorgung ist über viele Jahre entstanden. Das zu bekämpfen, wird keine triviale Aufgabe, weil in den letzten Jahren zu wenig ausgebildet wurde.

An welchen Punkten wollen Sie das Ruder herumreißen?  

SCHÄFER-GÜMBEL: Wir wollen es Lehrern ermöglichen, wieder mehr zu unterrichten, statt sich mit Statistiken und anderer Bürokratie zu beschäftigen. Und wir wollen mehr echte Ganztagsschulen. In den letzten fünf Jahren sind in Hessen ganze fünf davon geschaffen worden, wir wollen 50 pro Jahr ermöglichen. Das würde Bildungsbenachteiligungen abbauen und vielen Schülern die Hausaufgaben ersparen, was ein Riesenfortschritt für den häuslichen Frieden wäre. (schmunzelt)  

Sie sind da auf einer Linie mit vielen Bildungsexperten, die den Ausbau echter Ganztagsschulen fordern, etwa um die Probleme an Brennpunktschulen in den Griff zu bekommen. Ist es das Allheilmittel?  

SCHÄFER-GÜMBEL: Nein, aber ein wichtiges Element, um gute Bildung zu ermöglichen. Es stimmt auch nicht, dass wir nicht bereit wären, uns bei diesem Thema zu bewegen, wie es der Ministerpräsident behauptet. Er selbst hat die Anstrengungen von einem Jahr Bildungsgipfel zertrümmert. Uns geht es um modernen und besseren Unterricht. Dazu muss auch die Lehreraus- und -fortbildung besser werden.  

Die CDU treibt den Ausbau von Ganztagsschulen nur zögerlich voran. Wie wollen Sie die Lage an Brennpunktschulen in den Griff bekommen, Herr Bouffier?  

BOUFFIER: Wir werden den Weg weitergehen. Ganztagsschulen sind aber kein Allheilmittel, sondern ein Angebot. Wenn Sie 50 echte Ganztagsschulen pro Jahr einführen wollen, müssen Sie mir auch mal sagen, wo die Lehrer herkommen sollen. Die letzte SPD-Regierung in Hessen hat keine einzige Ganztagsschule auf den Weg gebracht, wir haben die Zahl von 138 auf 1150 gesteigert. Und wir haben an 70 Prozent aller Schulen ein Ganztagsangebot.  

SCHÄFER-GÜMBEL: Betreuungsangebot, das ist ein Unterschied!  

BOUFFIER: Ganztagsangebote, das kann Unterricht sein, aber auch Betreuung. Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass es mindestens genauso gut ist, wenn Schüler nachmittags Sport im Verein machen als wenn sie zehn oder zwölf Stunden Unterricht haben. Gerade in schwierigen Vierteln möchte ich mehr anbieten als nur eine einzige Schulform.

Herr Bouffier, in Hessen besteht ein enormer Mangel an sozialem Wohnraum. Haben Sie das Thema unterschätzt?  

BOUFFIER: Der Mangel an Sozialwohnungen ist kein Problem von Hessen allein, das haben wir überall in Ballungsgebieten. Wir müssen den sozialen Wohnungsbau wieder verstärken, ich will aber auch den Menschen helfen, mehr Eigentum zu bekommen. Seit 2012 gibt es in Hessen eine Allianz für Wohnen, wo sich alle Akteure mit der Frage beschäftigen, wie wir mehr Wohnraum schaffen. Wir haben aktuell ein 1,7 Milliarden schweres Programm, wodurch 20.000 Wohnungen entstehen. Es fehlt nicht an Geld, es fehlt zum Teil an Bauland und der Bereitschaft zu bauen. Kommunen, die dazu bereit sind, wollen wir unterstützen. Wir wollen auch die Grunderwerbssteuer senken und Wohngeld direkt zahlen – aber nicht für jeden Fall, sondern vor allem für Familien und Menschen mit geringem und mittleren Einkommen.  

Herr Schäfer-Gümbel, Sie wollen das Thema zur Chefsache machen mit einem eigenständigen Wohnbauministerium. Warum?  

SCHÄFER-GÜMBEL: Wir erleben eine Zerstückelung von Zuständigkeiten, die dazu führt, dass diese Dinge nicht entschieden und vorangetrieben werden. Deshalb wollen wir das bündeln. Wir brauchen aber auch mehr bezahlbaren Wohnraum jenseits der Sozialwohnungen. Der kapitalste Fehler war die Privatisierung von landeseigenen Wohnbaugesellschaften, denn es geht um Daseinsvorsorge.  

Anders verhält es sich auf dem Land, Stichwort Leerstand. Was wollen Sie dagegen tun?  

BOUFFIER: Wir müssen uns vor allem um die Menschen kümmern, die dort wohnen, damit sie auch weiterhin dort wohnen bleiben. Sie bleiben, wenn es eine gute Infrastruktur gibt. Deshalb bauen wir Breitband und Mobilfunk aus, stärken wir den ÖPNV und die medizinische Versorgung. Wir brauchen mehr Arbeitsplätze vor Ort. Deshalb verlagern wir aus der Zentrale Arbeitsplätze in die Fläche beispielsweise in der Finanzverwaltung. Mittlerweile sind die ersten Hessenbüros eingerichtet, wo Verwaltungsbeamte dort arbeiten, wo sie wohnen.  

SCHÄFER-GÜMBEL: Es gibt auch im ländlichen Raum Wohnungsnot. Das betrifft ältere Menschen, die aus ihren großen Wohnungen in barrierefreie kleinere Wohnungen wollen – erst recht Menschen mit Behinderung. In unserem Hessenplan Plus gibt es dazu eine Vielzahl von Lösungsansätzen.

Hamburg, Stuttgart, Frankfurt, Berlin: Das Diesel-Dilemma führt zu immer mehr Fahrverboten. Warum kann sich die SPD mit ihren Forderungen nach Hardware-Nachrüstungen nicht durchsetzen?  

SCHÄFER-GÜMBEL: Weil Herr Dobrindt und Herr Scheuer als zuständige Bundesverkehrsminister nicht die Zulassung durch das Kraftfahrtbundesamt erteilt haben. Das ist genau der Punkt, über den wir schon seit Jahren streiten. Inzwischen gibt es seit wenigen Wochen eine Initiative der Landesregierung im Bundesrat, aber es ist nach wie vor schwierig mit Herrn Scheuer. Wir werden den Druck auf die Automobilkonzerne weiter erhöhen mit der klaren Androhung – da wo es geht – mit Strafgeld vorzugehen. Das ist aber juristisch nicht ganz einfach. Automobilkonzerne, die sich der Hardware-Nachrüstung kategorisch verweigern, sollten ebenso kategorisch aus den Dienstwagenflotten des öffentlichen Dienstes verschwinden. Ich glaube, dass am Ende aus politischem und ökologischem Druck die richtige Melange wird, um insbesondere die Nachrüstung bei Euro-5-Motoren auf Kosten der Hersteller zu ermöglichen.  

Warum setzt sich die CDU nicht gezielt für betrogene Diesel-Fahrer ein, sondern lässt sich weiter von Managern an der Nase herumführen?  

BOUFFIER: Die CDU und ich in Person gehören zu den härtesten Verfechtern von drei Dingen: 1. Grenzwerte einhalten. 2. Keine Fahrverbote. 3. Die Industrie bezahlt. Und zur Wahrheit gehört auch: Ohne uns hätte sich im Bund wenig bewegt. Wir haben von Hessen aus mächtig Druck gemacht.   

Aber die Fahrverbote kommen ja…  

BOUFFIER: Sie kommen nicht, wenn alle das tun, was sie tun müssen. Die Bundesregierung hat lange nicht das getan, was sie tun muss. Aber die härtesten Gegner der Nachrüstung sind die IG Metall, die Betriebsräte von VW, Daimler und BMW und der Kollege Stephan Weil in Niedersachsen (Anm. d. Red.: Niedersachsen hält 20 Prozent an VW). Die Betriebsräte sagen, dass die Mitarbeiter Angst um ihre Arbeitsplätze hätten. Ich will auch sichere Arbeitsplätze. Ich will aber  nicht, dass der Diesel-Fahrer der Dumme ist, und ich will, dass die Industrie ihrer Verantwortung gerecht wird. Wenn VW Milliarden in den USA bezahlt, damit niemand ins Gefängnis geht, kann mir keiner erklären, dass der Konzern in Deutschland nichts bezahlen kann.  

Wie können Sie als Politiker dafür sorgen, dass die Autobauer bezahlen?  

BOUFFIER: Mit Druck. Denn die Automobilindustrie braucht auch in der Zukunft unsere Unterstützung. Wir diskutieren ja über neue CO2-Grenzwerte in Europa. Deshalb Nachrüstung – auf Kosten der Automobilindustrie – oder Umtausch. Für einen Neuwagen muss ich natürlich etwas draufzahlen, aber bei einem Tausch von Gebraucht- gegen Gebrauchtwagen will ich nichts draufzahlen. Wenn wir jetzt eine Nachrüstung der Kommunalfahrzeuge und Busse bekommen, für Handwerker und Lieferdienste, dann bringt das auch was. Außerdem haben wir Rechtsmittel bezüglich der Fahrverbote in Frankfurt eingelegt. Weil wir das Urteil nicht für verhältnismäßig halten. Die Dieselkrise verdeutlicht, dass der öffentliche Personennahverkehr an seinen Kapazitätsgrenzen angelangt ist. Wie können Ausbauten, gerade Schienenprojekte benötigen zu lange Planungszeiten, und neue Angebote beim ÖPNV möglichst rasch realisiert werden?  

SCHÄFER-GÜMBEL: Was beim ÖPNV in den letzten zwanzig Jahren nicht an Ausbau erfolgt ist, kann man nicht in zwei Wochen nachholen. Deshalb gehört die Signal- und Leittechnik zu den wichtigsten Themen. Ich ärgere mich darüber, dass viele technische Projekte, die der Bund auf den Weg gebracht hat, ohne Hessen stattfinden. Wir müssen verdichten, wo es nur geht. Und wir brauchen vor allem in der jetzigen Phase mehr Schienenersatzverkehr.  

BOUFFIER: Wir haben einen leistungsfähigen Nahverkehr und eine Förderung so hoch wie nie. Und wir haben Dinge, die es nur in Hessen gibt, wie beispielsweise das Schülerticket und das Hessenticket für die Landesbeschäftigen. Das führt dazu, dass noch mehr Leute den Nahverkehr nutzen. Wir haben die Nordmainische S-Bahn, den Ausbau der S 6 nach Friedberg, die Regionaltangente West, brauchen dazu aber immer auch die Bahn. Die geplante neue Fernverkehrsverbindung Hanau-Würzburg/Fulda wird der Schlüssel dafür sein, dass wir den Verkehr auf den jetzigen Linien und damit den Hauptknotenpunkt Frankfurt entlasten und mehr für den Nahverkehr nutzen können. Ich bin froh, dass es jetzt einen Trassenvorschlag der Bahn gibt. Die Frage ist, ob wir nicht im Planungsrecht etwas verändern müssen. Es kann nicht sein, dass wir für neue Bahnstrecken in Deutschland im Schnitt 35 bis 40 Jahre brauchen.  

Der Frankfurter Flughafen hat zuletzt mit chaotischen Zuständen bei den Kontrollen, verspäteten Landungen in den Sommermonaten und dem Streit um Billigflieger Schlagzeilen gemacht. Was kann die Politik tun, um Kunden und Anwohner zu beruhigen?  

SCHÄFER-GÜMBEL: Wir müssen die Systempartnerschaft zwischen der Lufthansa und dem Flughafenbetreiber Fraport wieder erneuern. Der Dauerstreit zwischen den beiden ist ein Teil der Belastung. Aber auch die Fluggastkontrolle muss verändert werden. Wir stehen einer Landesgesellschaft nach Münchner Vorbild sehr offen gegenüber. Die Ansiedlung von Ryanair ist aus meiner Sicht nach wie vor einer der größten politischen und wirtschaftlichen Fehler der Fraport und der Landesregierung. Denn bei Ryanair sind Ausbeutung und Repression ein Geschäftsmodell – das darf nicht sein.  

BOUFFIER: Der Frankfurter Flughafen ist das wichtigste Infrastrukturprojekt und die größte Arbeitsstätte nicht nur der Region. Wir müssen aber auch an die Menschen denken, die dort wohnen. Ich habe mit dafür gesorgt, dass die Lufthansa Miteigentümer der Fraport wird, um die Interessen zusammenzuführen. Und ich habe die Lufthansa gefragt, warum sie ihre Billigflieger nicht nach Frankfurt bringt. Denn der Flugverkehr hat sich verändert. Die Öffnung für die Billigflieger war aus meiner Sicht eine notwendige Entscheidung. Darüber hat die Fraport-Geschäftsleitung die Landesregierung unterrichtet. Die Entwicklung bei Ryanair geht jetzt in die richtige Richtung; sie machen jetzt Tarifverträge, was wahrscheinlich auch den Streiks zu verdanken ist.   

In Kassel gibt es auch einen umstrittenen Flughafen. Wie lange will sich das Land als größter Anteilseigner von Kassel Airport die Millionenverluste noch leisten?

BOUFFIER: Wir haben in diesem Jahr immerhin mehr als 100 000 Passagiere. Kassel Airport ist ein Infrastrukturprojekt, das die Wirtschaft und die Region wollten und sie auch über Jahrzehnte fördert. Durch die Industrie, die sich um den Flughafen angesiedelt hat, haben wir mehr Steuereinnahmen als es an Landesunterstützung kostet. Es gelingt, dass wir jedes Jahr weniger zuzahlen müssen. Nordhessen ist heute eine Boomregion.   

SCHÄFER-GÜMBEL: Der Flughafen Kassel funktioniert nicht als Flughafen, aber er funktioniert als Element der regionalen Strukturentwicklung. Nur so ist das begründbar, was da passiert. Und im Sinne der Strukturentwicklung sind wir auch dafür.

Die jüngsten Umfragen lassen eine schwierige Regierungsbildung erwarten. Kürzlich zeichnete sich auch eine rot-rot-grüne Koalitionsoption ab. Herr Schäfer-Gümbel, ist die Linkspartei inzwischen regierungsfähig geworden?  

SCHÄFER-GÜMBEL: Wir streiten regelmäßig darüber. Wie vor der letzten Wahl werden wir aber nichts ausschließen - außer einer Kooperation mit den Rechtsnationalisten natürlich.  

Herr Bouffier, heißt es für Sie diesmal Schäfer-Gümbel, Al-Wazir und die Kommunisten stoppen in Anlehnung an einen früheren Wahlslogan?  

BOUFFIER: Das werden Sie mit mir nicht erleben. Wir machen keinen Wahlkampf, in dem wir andere schlechtreden oder herabsetzen. Ein Bündnis mit Linken oder AfD schließe ich allerdings aus.   

SCHÄFER-GÜMBEL: Ich habe Rot-Rot-Grün vor der letzten Wahl nicht ausgeschlossen und es dann trotzdem nicht gemacht. Sie haben Schwarz-Grün ausgeschlossen und es dann doch gemacht.  

BOUFFIER: Ich konnte es mir zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen. Den Rest können Sie besichtigen.  

Wie könnten Sie es denn schaffen, den vergrätzten Ex-Partner FDP wieder ins Boot zu holen für eine Jamaika-Koaliton?  

BOUFFIER: Ich habe mit der FDP sehr gut zusammengearbeitet. Ich kann ja nichts dafür, wenn ein Partner, der zuvor 15 Prozent hatte, mit fünf Prozent aus der Wahl hervorgeht und es dann nicht reicht. Ich habe gelesen, dass Rene Rock lieber mit Ihnen (an Schäfer-Gümbel gewandt) Kaffee trinkt. Damit muss ich dann zurechtkommen (lacht). Am Ende geht es aber nicht um äußere Befindlichkeiten, sondern darum, ob man genügend Übereinstimmungen in der Sache findet, um eine stabile Regierung zu bilden.

Wie gut verstehen Sie sich mit der FDP?  

SCHÄFER-GÜMBEL: Ich habe ein gutes Duz-Verhältnis mit den Fraktionschefs aller anderen Parteien. Am Ende kann man aber nicht einfach Mandate addieren. Es geht darum, was man für die Zukunft vorhat. Da ist die CDU nach 19 Jahren an einem Punkt, wo es ihr gut täte, eine Auszeit zu nehmen.  

Sie beide verbindet nicht gerade eine tiefe persönliche Sympathie. Da eine große Koalition aber auch in Hessen nicht der unwahrscheinlichste Wahlausgang wäre, verraten Sie uns doch zum Schluss, was Sie an Ihrem Gegenüber schätzen.  

BOUFFIER: Fleiß und dass er es geschafft hat, eine Partei, die ziemlich am Boden war, zusammenzuhalten. Das ist eine Leistung. Und, dass er zu seinen Überzeugungen steht, auch wenn ich die politisch für falsch halte.  

SCHÄFER-GÜMBEL: Ich schätze die langjährige Erfahrung von Herrn Bouffier und ich unterstelle ihm, dass er aus seiner Sicht Gutes erreichen will. Nur haben wir unterschiedliche Ansichten, was gut ist. Am Ende wird es aber nicht um die Frage gehen, wie viel Zuneigung oder Sympathie uns verbindet. Die Hessinnen und Hessen müssen entscheiden, wen von uns beiden sie als Ministerpräsidenten haben wollen.

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