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„Enttäuschendes Ergebnis“: Hessische Fachleute kritisieren Cannabis-Legalisierung

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Von: Christoph Hoffmann

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Die Regierung wollte Cannabis legalisieren, stattdessen soll nun eine „Legalisierung light“ kommen. Ein Suchthilfe-Experte sieht das kritisch. Und was denkt die Polizei?

Gießen – In Holland ist Kiffen seit Jahren legal, seit einiger Zeit lockern auch Bundesstaaten der USA ihre Gesetze und erlauben den Kauf, Besitz und Konsum von Cannabis. Deutsche, die gerne einen Joint rauchen, würden das ebenfalls begrüßen. Ihre Hoffnung dürfte daher groß gewesen sein, als die Ampelkoalition verkündete, Cannabis in Deutschland legalisieren zu wollen. Doch die Hürden, besonders durch das Europarecht, waren hoch. Daher hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach jüngst eine abgespeckte Version präsentiert. Dr. Bernd Hündersen, Geschäftsführer des Gießener Suchthilfezentrums, hält von dieser „Legalisierung light“ nicht sehr viel. „Aus Sicht der Experten und der Menschen, die Cannabis konsumieren, dabei aber gesund bleiben wollen, ist das ein enttäuschendes Ergebnis.“

Die Ampelkoalition will Erwachsenen den Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis erlauben. Legal sein soll auch der Eigenanbau von maximal drei Pflanzen. Außerdem will die Bundesregierung den Anbau und die Abgabe der Droge in Cannabis-Clubs ermöglichen, die zudem „sieben Samen oder fünf Stecklinge“ für den Eigenanbau abgeben dürften. Die Regierung argumentiert, dass mit dem Vorhaben der Jugendschutz erhöht, der Schwarzmarkt zurückgedrängt und der Kriminalität der Boden entzogen werden solle. Die ursprünglich geplanten Cannabis-Fachgeschäfte, in denen Rausch-Produkte an Erwachsene verkauft werden könnten, kommen dagegen nicht, weil das auf Widerstand der EU in Brüssel gestoßen war.

Gesundheitliche Sicherheit fehlt

Genau das ist in den Augen von Hündersen das Problem am neuen Gesetzesentwurf. „Es fehlt eine Qualitätskontrolle. Man muss das Cannabis weiterhin auf dem illegalen Markt kaufen und weiß nicht, wie es um die Reinheit bestellt ist“, sagt der Suchtexperte. Er erinnert an den Einsatz von Streckmitteln. Auch die Höhe der Wirkstoffkonzentration, die erheblich mit der Gefahr von psychotischen Entwicklungen in Verbindung stehe, werde so nicht reguliert. „Der Konsument hat rechtlich nun Sicherheit, aber nicht gesundheitlich“, sagt Hündersen.

Natürlich kann jeder Konsument selbst seine Pflanzen anbauen und ernten. Das hält Hündersen aber für nicht praktikabel. Zudem seien die klimatischen Bedingungen in Deutschland nicht gut genug, um die gewünschte Menge des Wirkstoffs zu erzielen. Nicht zuletzt reiche die Ernte von drei Pflanzen nicht aus, um den Jahresbedarf eines Kiffers zu decken.

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Cannabis soll legalisiert werden – aber nicht so, wie ursprünglich geplant © Red

Ärzte und Apotheker warnen vor Gefahren für Jugendliche

Hündersen steht mit seiner Kritik nicht alleine da. Gleichzeitig gibt es auch Experten und Institutionen, denen auch die abgeschwächte Form der Legalisierung zu weit geht. Kinder- und Jugendärzte etwa fürchten einen erhöhten Cannabis-Konsum von Minderjährigen, auch Apotheker warnen vor den Gefahren für Jugendliche.

Hündersen will die Gefahren gerade für junge Menschen nicht kleinreden. Daher müsse der Gehalt von Tetrahydrocannabinol, also THC, im Cannabis drastisch gesenkt werden. Eine Legalisierung mit lizensierten und kontrollierten Verkauf sei dennoch sinnvoll, weil mit dem bestehenden Verbot „nie erreicht wurde, den Konsum oder den Handel zu verhindern“.

Polizei fürchtet um Verkehrssicherheit – Cannabis verschafft den Beamten viel Arbeit

Letzteres ist Aufgabe der Polizei. Und für die stellt Cannabis eine immense Arbeitsbelastung dar. „In Hessen machten Cannabis-Delikte im vergangenen Jahr einen Großteil aller Rauschgiftdelikte aus“, sagt Virginie Wegner, die stellvertretende Leiterin der Abteilung Kommunikation des Landeskriminalamts. In der Kriminalstatistik seien 2022 hessenweit 15 132 Straftaten im Zusammenhang mit Cannabis registriert worden, 1736 dieser Fälle hätten sich im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Mittelhessen abgespielt. Wie viele davon über beziehungsweise unter der geplanten gesetzlichen Grenze von 25 Gramm gelegen haben, wird laut Wegner nicht in der Statistik erfasst.

Für die Polizeibeamten ist jede erfasste Straftat mit viel Aufwand verbunden, auch bürokratischer Art. „Delikte im Zusammenhang mit Verfahren gegen das Betäubungsmittelgesetz sind meist mit längerfristigen Verfahren verbunden. Die Sicherstellung sämtlicher Beweise im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen, Prüfungen von Eintragungen in das Bundeszentralregister und die Informationsweitergabe an die Führerscheinstelle sowie die Übergabe von Ermittlungsergebnissen an die zuständige Staatsanwaltschaft, sind zeitintensiv“, sagt Wegner. Ob die Polizei, die vielerorts über Überlastung klagt, durch die geplante Teil-Legalisierung entlastet werden könnte, wird von Behörden und Experten unterschiedlich bewertet.

Legalisierung von Cannabis hat keinen positiven Effekt auf die Sicherheit im Verkehr

Klar ist, dass die Polizei auch nach einer Umsetzung des Gesetzesentwurfs viel Arbeit durch Cannabis haben wird. „Auch künftig wird es Menschen geben, die sich auf dem Schwarzmarkt Cannabis kaufen werden, beispielsweise Jugendliche oder Menschen, die sich legale Produkte nicht leisten können“, betont Wegner.

Zur Aufgabe der Polizei werde es zudem unabhängig von einer Gesetzesänderung auch künftig gehören, die Fahrtüchtigkeit der Verkehrsteilnehmer zu kontrollieren. Da Cannabis die Sinne trüben und die Reaktionsfähigkeit beeinflussen könne, betont Wegner: „Die Legalisierung von Cannabis dürfte auf die Sicherheit im Straßenverkehr keinen positiven Effekt haben.“ (Christoph Hoffmann)

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