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Doch kein „Schulfrieden“ in Hessen?

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Von: Olaf Kern

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Der Bildungsgipfel strebt seinem Ende zu. Höhepunkt soll ein Abschlusspapier sein, das die Bildungspolitik für die kommenden zehn Jahre in Hessen umreißt. Die einen feiern es als Erfolg, andere sind wiederum maßlos enttäuscht.

In der hessischen Bildungspolitik geht es derzeit wieder um viel Grundsätzliches. Grundsätzliches hatte auch der Kultusminister gestern noch einmal zu erläutern: Er habe nie das Versprechen gegeben, einen „Schulfrieden“ herzustellen. Früher klang das noch anders: In seiner ersten Regierungserklärung im Landtag hatte Alexander Lorz (CDU) diesen noch einst in Aussicht gestellt. Allen Beteiligten des einberufenen Bildungsgipfels sei wohl klar, dass sich nicht plötzlich alles in Wohlgefallen auflösen werde, sagt er jetzt. Dafür sind die Gräben in der Schulpolitik in Hessen doch zu groß. Immerhin: Jetzt gibt es einen Vorschlag zur Güte. Vorläufig. Unverbindlich. Und vorsichtig als „Entwurf“ für ein Abschlusspapier betitelt, das die fünf Arbeitsgruppen des Bildungsgipfels zum Ende ihrer mehrmonatigen Beratungen am 17. Juli unterzeichnen wollen.

„Schon jetzt ein Erfolg“

Ein Minimalkonsens sozusagen, zu dem sich alle durchringen könnten, die daran beteiligt waren: Politiker, Lehrer, Eltern und Schüler, Verbände und Gewerkschaften bis hin zu Vertretern der Kirche. Das Papier sei kein Vorschlag des Kultusministeriums, sondern der Teilnehmer des Bildungsgipfel, betonte Lorz. Die Treffen seien schon jetzt ein Erfolg, lautete sein Fazit. Als einen Weg zu „Planungssicherheit“ bewertete Lorz, dass die Schulformen Gymnasium, Realschule, Integrierte (IGS) und Kooperative Gesamtschulen (KGS) im kommenden Jahrzehnt nicht infrage gestellt werden sollen.

Jedoch bleiben alte Fragen ungelöst. Etwa der Streit zwischen den Befürwortern einer flächendeckenden Gemeinschaftsschule und dem gegliederten System. Dass Haupt- und Realschule in einer „Sekundarschule“ (Arbeitstitel) zusammenfließen sollen, wie zwischenzeitlich ein Vorschlag lautete, wird jetzt nur noch „empfohlen“, heißt es in dem Papier.

Dass Ganztagsschulen ausgebaut werden sollen, darin ist man sich weitgehend einig. Jedoch nicht bei der Frage, wie dies geschehen soll, ob flächendeckend oder „bedarfsorientiert“, also auf Nachfrage der Eltern hin. Der „Pakt für den Nachmittag“, der bislang nur für den Grundschulbereich gilt, solle dabei auch für weiterführende Schulen „geöffnet werden“, ist in dem Entwurf zu lesen.

Offen bleibt aber beispielsweise auch die künftige Rolle der Förderschulen oder die Umsetzung der Inklusion im Schulalltag – der gemeinsame Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Kindern. Wie Schule und Schulsystem optimal gestaltet werden müssen, „um den Anforderungen der Inklusion gerecht zu werden“, dazu konnte „kein Konsens“ hergestellt werden. Kultusminister Alexander Lorz hofft am Ende des Bildungsgipfels trotz allem auf „pragmatische“ Handlungsanleitungen. Diese müssen nicht rechtlich, aber doch politisch bindend sein für die kommenden Jahre, egal, wie sich die Konstellation im Landtag nach den nächsten Wahlen auch immer gestalten möge. „Wir schlagen quasi einen Pflock ein.“ Über diesen würden auch ein neuer Landtag und eine neue Landesregierung nicht so einfach hinwegspringen können, so Lorz.

Denkbar wäre alles

Gerne verwendet der Minister deswegen auch die Umschreibung „Verlässlichkeit und Planungssicherheit“ statt „Schulfrieden“. Theoretisch denkbar wäre allerdings auch, wie der Minister einräumte, dass am Stichtag 17. Juli das Arbeitspapier noch einmal über den Haufen geworfen wird und man in den Diskussionen von vorne anfängt. In den kommenden Wochen soll noch einmal gründlich über den Entwurf debattiert werden.

Wie schwierig dieser Minimalkonsens allein jetzt schon war, zeigt die kurzfristige Drucklegung des gestern ausgeteilten Entwurfs, der eigentlich schon am Freitag hätte vorliegen sollen. Offenbar wurde am Wochenende noch bis zur letzten Minute an Formulierungen gefeilt. Das Kultusministerium hatte dann die Textpassagen einzelner Arbeitsgruppen übernommen. Wo dies nicht möglich war und nur einzelne Aussagen vorhanden waren, hat man „formulierungstechnisch geglättet“, so der Kultusminister, jedoch „ohne die Tonalität zu ändern“.

Der schulpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Christoph Degen, bezeichnete den Entwurf und den späten Eingang bei seiner Fraktion am Montagvormittag als „große Enttäuschung“. Der Bildungsgipfel drohe der „Gipfel der Unverbindlichkeit“ zu werden. In einem Abschlusspapier müssten konkrete Ziele formuliert sein, an deren Umsetzung sich die Regierung messen lassen könnte. Diese fehlten aber.

Ähnlich äußerte sich die FDP: „Offenbar hat Minister Lorz das Scheitern des Gipfels bereits akzeptiert: Anders ist es nicht erklärbar, dass er schon die mehrfache Feststellung des Dissenses in vielen Fragen als Erfolg wertet“, sagte der bildungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag, Wolfgang Greilich. Für die Linken strotze der Entwurf vor „Lippenbekenntnissen und Allgemeinplätzen“.

Fraktionschefs laden ein

„Der Bildungsgipfel ist ein Erfolg“, resümierte hingegen der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Michael Boddenberg. Alle könnten sich schließlich darin wiederfinden. Der Gipfel habe in vielen Punkten einen Konsens herausgearbeitet, den es ohne den Gipfel nie gegeben hätte, urteilte Matthias Wagner von den Grünen. Beispiele dafür seien die Neugestaltung des Übergangssystems in der beruflichen Bildung, die Lehrerbildung und die Kooperation von Schulträgern auf dem Land.

Noch vor dem Gipfelabschluss wollen die beiden Fraktionschefs von CDU und Grünen sich mit ihren Amtskollegen von der Opposition treffen. Eine entsprechende Einladung erging in einem Schreiben am Montag. Alle Beteiligten müssten ihren Willen „zur Überwindung des Schulkampfes“ in Hessen zeigen, so Boddenberg.

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