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Druck auf Bouffier und Schäfer-Gümbel wächst

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© Frank Rumpenhorst (dpa)

Nach den desaströsen Ergebnissen von CSU und SPD bei der Bayernwahl hat sich der Druck auf die Hauptkonkurrenten bei der Hessen-Wahl verdoppelt.

Volker Bouffier (CDU) und Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) sollen mit einem guten Abschneiden am 28. Oktober den negativen Bundestrend ihrer Parteien zumindest abfedern und damit zugleich die große Koalition in Berlin retten. Doch die jüngsten Umfragen zeigen, wie schwer das wird. Möglicherweise könnte es rechnerisch nicht einmal für eine große Koalition in Hessen reichen. So sind sich Bouffier und Schäfer-Gümbel fast in einer Art Schicksalsgemeinschaft verbunden.

Obwohl sich beide nicht besonders mögen, haben sie doch mehr gemeinsam, als man auf den ersten Blick denken mag. Sie sind nicht nur Landeschefs, sondern auch stellvertretende Bundesvorsitzende ihren Parteien. Sie kommen beide aus Mittelhessen, gelten als bodenständig und kompromissfähig. Sie sind eher Team- als Einzelspieler. Das könnte sie, sofern das rechnerisch überhaupt möglich wäre, nach der auch zu einer Zusammenarbeit in einer großen Koalition befähigen, obwohl sie aus politischen Lagern stammen, die in Hessen eigentlich traditionell immer besonders weit auseinander lagen. Hier gab es noch nie eine große Koalition.

Schäfer-Gümbel und Bouffier sind sich auch persönlich schon lange in politischer Rivalität verbunden. Schäfer-Gümbel tritt zum dritten Mal gegen eine Regierung an, in der Bouffier eine wichtige Rolle spielt. Bei seinem ersten Versuch, Ministerpräsident zu werden, unterlag Schäfer-Gümbel 2009 noch deutlich Roland Koch, Bouffier war damals dessen Innenminister. 2013 verlor Schäfer-Gümbel dann gegen Bouffier, allerdings sehr achtbar. Er erzielte auf Landesebene mit 30 Prozent fünf Punkte mehr als seine SPD bei der gleichzeitigen Bundestagswahl. Es hätte sogar zu einer rot-rot-grünen Regierung gereicht, aber nach der Landtagswahl von 2008 mit dem Wortbruch der damaligen SPD-Chefin Andrea Ypsilanti galt eine Linkskoalition in Hessen als schwer vermittelbar.

Falls „TSG “ auch beim dritten Versuch, Ministerpräsident zu werden, scheitert, wäre ein Wechsel auf die Bundesebene durchaus denkbar. Ähnlich hatten es frühere SPD-Landeschefs wie Heiko Maas, Peer Steinbrück und der Hesse Hans Eichel nach Wahlniederlagen auf Landesebene gemacht. Schäfer-Gümbel wäre mit nicht mal 50 ähnlich jung wie der heutige Bundesaußenminister Heiko Maas (52) bei seinem Wechsel nach Berlin.

Für den bald 67-jährigen Volker Bouffier dagegen wäre bei einer Wahlniederlage die politische Karriere in vorderster Reihe wohl zu Ende. Noch vor zwei Jahren wurde Bouffier auf oberster Ebene gehandelt, als die Union händeringend einen Kandidaten für das Bundespräsidentenamt suchte. Es wäre auch nicht undenkbar gewesen, dass er als Nachfolger für Kanzlerin Angela Merkel in Frage gekommen wäre, wenn sich vor drei Jahren der Unmut in ihrer Partei über ihre Flüchtlingspolitik zur Palastrevolte ausgewachsen hätte. Aber jetzt dürfte Bouffier für höhere Ämter auf Bundesebene nicht mehr in Frage kommen und diese wohl auch gar auch nicht mehr anstreben. Was viele nicht wissen: Der Mann mit der sonoren Raucherstimme ist seit einem schweren Autounfall als junger Mann auch Schmerzpatient, der immer wieder heftigen Attacken ausgesetzt ist. Lange Sitzungen können für ihn auch zur körperlichen Qual werden. Da ist es nicht so schlecht, wenn man als Landeschef im nicht allzu großen Hessen abends nach Terminen fast immer zurück nach Hause kann.

Dass bei entsprechendem Ergebnis bei der Landtagswahl eine gute Zusammenarbeit im Hessenland denkbar wäre, haben Bouffier und TSG in der Flüchtlingspolitik bewiesen. Im Herbst und Winter 2015/2016 zogen beide an einem Strang. Versorgung und Unterbringung der Geflüchteten verliefen in Hessen weitgehend problemlos. Die hier erlebte Gemeinsamkeit hat für gegenseitigen Respekt gesorgt. Dies könnte eine Basis für weitere Zusammenarbeit bilden.

Ein gelungener Auftritt

Bouffier und Schäfer-Gümbel haben schon großkoalitionäre Qualifikationen auf Bundesebene bewiesen, als sie zu Jahresbeginn maßgeblich den Koalitionsvertrag von Union und SPD mitverhandelten. Schäfer-Gümbel ist in seiner Partei ein anerkannter Experte für Bereiche wie Finanzen, Verkehr und Wohnen. Er gilt als durchaus ministrabel, wenn er auch nie als potenzieller SPD-Chef gehandelt wurde. Dazu ist er wohl auch zu brav und zu loyal. Manchmal würde es ihm gut tun, Witz und Temperament, die er im kleinem Kreis durchaus hat, auch mal öffentlich aufblitzen zu lassen.

Einer seiner besten öffentlichen Auftritte war, als er im Mai bei „Markus Lanz“ den der Linkspartei nahe stehenden Armutsforscher Christoph Butterwegge zurechtwies. Butterwegge hatte dem SPD-geführten Arbeitsministerium vorgeworfen, junge Hartz-IV-Bezieher zu sehr unter Druck zu setzen, indem man ihnen bei Verweigerungshaltung mit Sanktionen drohte. Darauf rief „TSG“, dass die SPD bei aller Liebe zu den Armen auch einen Sinn für Leistungsgerechtigkeit habe. Man könne nun mal nicht jedem jungen Menschen, der nicht arbeiten wolle, alles durchgehen lassen. Das müssten schließlich andere, die hart arbeiten, finanzieren. Hier sprach der Sohn eines Lastwagenfahrers einmal so unverstellt wie ein Gerhard Schröder zu seinen besten Zeiten. „Wir machen Politik für die Menschen, die hart arbeiten und sich an Regeln halten“, hatte US-Präsident Bill Clinton einmal gesagt und damit Wahlen gewonnen. Schäfer-Gümbel hätte eigentlich das Potenzial, sich von all den Denkverboten zu befreien, die die SPD, siehe Bayern, von allzu vielen Menschen aus der arbeitenden Bevölkerung entfremdet hat. Aber man hat oft das Gefühl: Er traut sich nicht richtig.

Für wohl noch größere Enttäuschungen auf Bundesebene sorgt in Teilen seiner Partei Volker Bouffier. Viele aus dem konservativen Lager hatten sich vom einstigen „Schwarzen Sheriff“ erhofft, dass er auf den Spuren Alfred Dreggers, Manfred Kanthers und Roland Kochs den rechten Flügel der Union bespielt, aber stattdessen stand Bouffier immer treu an der Seite der Kanzlerin, selbst wenn Merkel die Partei vor allem in der Atom- und Flüchtlingspolitik eher in die linke Mitte rückte. Bouffier legte zwar in Interviews und bei öffentlichen Auftritten immer dar, dass auch der konservative Teil der CDU-Wähler mitgenommen werden müsse, aber es waren oft nur wenige, eher symbolische Sätze, aus denen wenig folgte. Bouffier schien jahrelang zu ignorieren, dass sich immer mehr CDU-Konservative der AfD zuwandten. Nicht zufällig wurde diese Partei vor über fünf Jahren in Hessen gegründet. Bouffiers landesväterliche Milde hat natürlich auch damit zu tun, dass er mit den Grünen koaliert. Scharfe Worte in puncto Sicherheit hätten da schnell zu einem Koalitionsbruch führen können. Deshalb pochte Bouffier auch nie darauf, dass Hessen im Bundesrat zustimmt, die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, um Asylverfahren zu beschleunigen. Bouffier hat so persönlich zwar einerseits durch die erste rein schwarz-grüne Koalition auf Landesebene an persönlichem Ansehen gewonnen, aber gleichzeitig an politischen Konturen verloren.

Deshalb verliert die CDU bei der Landtagswahl sowohl nach rechts an die AfD als auch nach links an die Grünen. Die Grünen, die in Hessen durch die Regierungsbeteiligung gestärkt wurden und ohnehin bundesweit im Aufwind sind, machen aber noch mehr der SPD zu schaffen, die sie ähnlich wie in Bayern sogar überholen könnten. Wenn nach dem 28. Oktober weder Schwarz-Grün noch eine Groko möglich wäre, könnten die Grünen der entscheidende Faktor werden. Sie könnten dann bestimmen, ob es zu Jamaika mit Bouffier an der Spitze käme oder zu einem Linksbündnis, das zehn Jahre nach Ypsilanti in Hessen kein Tabu mehr sein sollte. Und dann könnte der Kampf um den Ministerpräsidentenposten zwischen Bouffier und TSG doch noch knallhart werden.

Das Abschneiden der Grünen

Es sei denn, die Grünen überholten die SPD. Dann hieße Bouffiers direkter Konkurrent Tarek Al-Wazir. In diesem Fall wäre es aber sehr fraglich, ob TSG es sich antäte, Junior-Partner der Grünen zu werden. Denn dann drohte ihm das Schicksal, das Spötter ihm schon prophezeiten, nämlich der Prinz Charles der Hessen-Politik zu werden. Statt immer vergeblich auf die Thronfolge zu warten, würde er dann wohl doch eher nach Berlin wechseln – und Bouffier seinerseits die Rolle des „Elder Statesman“ genießen, die er zuweilen schon gerne zu spielen scheint.

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