Ein bewegtes Jahr in Hessen
Die Landtagswahl im Herbst wirft ihre Schatten voraus
Wiesbaden -Es war ein Jahr der Krisen und des Umbruchs in Hessen. Während der Krieg in der Ukraine und die Corona-Pandemie 2022 inhaltlich die bestimmenden Themen im Bund wie auch im Land waren, erlebte Hessen auch einen zentralen personellen Wechsel: Nach 12 Jahren verabschiedete sich der Christdemokrat Volker Bouffier aus dem Amt des Ministerpräsidenten und übergab den Chefsessel in der Staatskanzlei an den 20 Jahre jüngeren Frankfurter Boris Rhein.
Dieser Generationswechsel an der Spitze der Landesregierung wie auch in der Führung der Hessen-CDU läutete zugleich den Landtagswahlkampf ein. Im Herbst 2023 wählen die Hessen ihr Parlament. Und schon seit Rheins Amtsantritt war klar: Der 50-Jährige läuft sich warm für die Verteidigung seines von Bouffier geerbten Amtes.
Nun ist es aber keineswegs klar, dass die CDU auch eine künftige Landesregierung anführen wird. Zwar sprechen alle Umfragen bislang dafür. Zumal Rhein einen recht reibungslosen Start hingelegt hat. Doch der Abstand zur SPD schrumpfte in der jüngsten Umfrage deutlich. Zudem steht in Hessen im kommenden Herbst erstmals ein Dreikampf um die Macht an. Auch die Grünen schicken mit ihrem langjährigen Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir erstmals einen eigenen Ministerpräsidenten-Kandidaten ins Rennen. Die neue Rivalität mit dem schwarzen Regierungspartner offenbart sich schon jetzt, indem Konflikte innerhalb der schwarz-grünen Koalition neuerdings auch mal öffentlich ausgetragen werden, statt alles im Stillen zu verhandeln, wie es unter Bouffier üblich war.
Am spannendsten ist unterdessen die Lage bei der SPD: Nach 24 Jahren in der Opposition will die Partei endlich wieder die Macht im einstigen Stammland der Sozialdemokratie zurückerobern. Doch noch ist nicht einmal klar mit wem an der Spitze.
Kommt sie zurück oder nicht, ist die große Frage, die schon seit der überraschenden Beförderung von Hessens SPD-Chefin Nancy Faeser ins Amt der Bundesinnenministerin vor einem Jahr im Raum steht. Nach einem anfänglich etwas blassen Auftreten scheint Faeser inzwischen mit Volldampf in ihrem Berliner Amt angekommen zu sein. Es ist immer schwerer vorstellbar, dass die 52-Jährige ihre mächtige Position in Berlin aufgibt, um in Hessen das Risiko einzugehen, bei der Landtagswahl zu unterliegen. Faeser bleibt nur noch wenig Bedenkzeit, denn am 3. Februar soll beim Hessen-Gipfel ihrer Partei im osthessischen Friedewald die Entscheidung verkündet werden. Sie steckt in einem Zwiespalt: Gibt sie ihren hessischen Genossen einen Korb, dürften diese kaum eine Chance auf die Rückeroberung der Staatskanzlei haben. Ist doch weit und breit keine personelle Alternative in Sicht. Greift Faeser aber in Hessen nach der Macht, was viele in ihrem Landesverband erwarten, so wäre dies kaum mit ihrem herausfordernden Amt in Berlin vereinbar. Sie müsste aller Voraussicht nach das große Karriere-Risiko eingehen, eines der mächtigsten Ministerämter in der Bundesregierung aufzugeben, um in Hessen vielleicht am Ende als Oppositionsführerin zu enden.
Als amtierende Innenministerin in diesen Zeiten zugleich monatelang Wahlkampf in Hessen zu führen, scheint nur schwer vorstellbar. An einer solchen Doppelrolle ist schon einst Norbert Röttgen gescheitert. Der frühere Bundesumweltminister wollte sich 2012 als CDU-Spitzenkandidat für Nordrhein-Westfalen nicht darauf festlegen, auch als Oppositionsführer von Berlin nach Düsseldorf zu gehen. Das Ergebnis: Röttgen verlor die NRW-Wahl und wenig später auch sein Ministeramt.
Von Faesers Entscheidung hängt indessen nicht nur der Verlauf des Wahlkampfs in Hessen ab, sondern auch die Zusammensetzung der Bundesregierung. Ginge sie nach Hessen, bräuchte Olaf Scholz nach nur 14 Monaten eine neue Führungskraft im Innenministerium. Das könnte eine Rochade in der Ministerriege zur Folge haben. Die allerdings käme Scholz nicht ganz ungelegen, böte sich ihm damit eine elegante Möglichkeit, seine Verteidigungsministerin, die heftig in der Kritik steht, abzulösen.
Zugleich spricht auch der Machtfaktor für die Sozialdemokratie in Deutschland dafür, dass Scholz Faser ziehen lassen würde: Hat doch auch der Kanzler ein wesentliches Interesse an einem guten Wahlergebnis in einem Flächenland wie Hessen.
Nun wird in diesem Jahr auch in Berlin, in Bremen und in Bayern gewählt. Doch gute Erfolgsaussichten hat die SPD nur in Bremen. In Bayern spielt die Sozialdemokratie keine nennenswerte Rolle, und in Berlin ist es nicht klar, ob Franziska Giffey ihr Amt verteidigen kann
Jenseits der dramatischen Krisen dieser Welt steht also auch in Hessen ein spannendes Jahr bevor. Zumal - unabhängig vom Ausgang der Wahl - schon jetzt klar ist, dass zahlreiche bekannte Gesichter die landespolitische Bühne verlassen werden: Neben Hessens Innenminister Peter Beuth, dem selbst Ambitionen auf die Bouffier-Nachfolge nachgesagt wurden, haben auch Umweltministerin Priska Hinz und Sozialminister Kai Klose (beide Grüne) und Europaministerin Lucia Puttrich (CDU) bereits ihren Abschied aus der Regierung angekündigt.