Frühchen: Ermittler prüfen weitere Fälle
Eine Krankenschwester soll versucht haben, ein Frühchen mit Narkosemitteln zu töten. Das Kind überlebte. Aber vielleicht gab es vorher Opfer, die weniger Glück hatten? Die Ermittler gehen dieser Frage nach – auch auf einem Friedhof.
Eine Krankenschwester, die ein Frühchen mit Narkosemittel beinahe umgebracht haben soll, steht unter einem neuen Verdacht. Staatsanwaltschaft und Polizei schließen nicht aus, dass die Frau aus dem hessischen Marburg zuvor anderen kleinen Patienten ebenfalls unerlaubt Medikamente verabreicht und dadurch womöglich getötet hat. Die Ermittler ließen deshalb ein im Dezember auf der Frühchenstation der Uniklinik Marburg gestorbenes Baby exhumieren. Die Mitarbeiter am Universitätsklinikum Gießen-Marburg und Eltern anderer Frühgeborener zeigen sich schockiert.
Die Krankenschwester wurde am vergangenen Samstag festgenommen, sie sitzt wegen Verdachts auf versuchten Totschlag in Untersuchungshaft. Bei einem 30 Tage alten Mädchen waren zuvor verdächtige Blutwerte festgestellt worden, das Baby überlebte. Bei dem Frühchen wurden den bisherigen Erkenntnissen zufolge zwei Narkosemittel festgestellt, die weder verordnet noch im Behandlungsplan vermerkt worden waren.
Gerichtsmedizin prüft
Nun hat der Fall eine neue Dimension bekommen. „Es gibt weitere Verdachtsfälle“, sagte am Freitag die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Marburg, Ute Sehlbach-Schellenberg. Im Fall des exhumierten Babys bestehe der Anfangsverdacht auf ein Tötungsdelikt. „Ob sich dieser bestätigt, hängt von den Ergebnissen der gerichtsmedizinischen Untersuchungen ab.“ Wann diese vorliegen, sei unklar – die Untersuchungen könnten dauern.
Zudem werden nach Angaben der Oberstaatsanwältin weitere mögliche Verdachtsfälle geprüft. Dazu sollen Akten durchgearbeitet und frühere Patienten beziehungsweise deren Angehörige befragt werden. Die Tatverdächtige sei weiterhin nicht geständig. Zu ihrer Identität machte die Sprecherin keine näheren Angaben. Die Krankenschwester habe mehrere Jahre auf der Station gearbeitet.
Das Universitätsklinikum Marburg erklärte am Freitag, das Krankenhaus unterstütze die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln: „Eine konsequente und umfassende Aufklärung des Falls ist in unserem Interesse.“ Die Ärzte der Kinderklinik hätten die Medikamentenvergiftung bei dem Kind selbst aufgedeckt und Staatsanwaltschaft und Polizei informiert.
Schock im Klinikum
„Nachdem sich der Gesundheitszustand des Frühchens in der vergangenen Woche verschlechtert hatte und zwei nicht ärztlich verordnete Medikamente im Körper des Kindes nachgewiesen wurden, begann eine umfangreiche Recherche auf Station. Im Zuge dieser Recherche wurde das Fehlen der betroffenen Medikamente festgestellt“, hieß es in einer Erklärung der Klinik.
Es handele sich bisher lediglich um einen Verdacht: „Es gilt die Unschuldsvermutung gegenüber Beschuldigten bis zum Beweis des Gegenteils.“ Die Mitarbeiter hätten auf diesen Verdacht allerdings „sehr erschrocken“ reagiert, sagte Klinikumssprecher Frank Steibli. „Es herrscht sehr gedrückte Stimmung. Alle sind schockiert und betroffen.“
(lhe)