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Hessische Baubranche in schwieriger Lage: „Da muss man sehen, wie viel Schaden hängenbleibt“

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Wohnungsbau
Im Wohnungsbau in Hessen hakt es. Thomas Reimann sieht als Präsident des hessischen Baugewerbeverbands die Politik in der Pflicht. (Symbolbild) © Rolf Vennenbernd/dpa

400.000 Wohnungen wollte die Bundesregierung pro Jahr bauen. Daran glaubt kaum noch jemand. Wo liegen aus Sicht der Baubranche die Probleme?

Frankfurt – Der Wohnungsbau in Hessen stockt. Von Januar bis April sind die Auftragseingänge im Jahresvergleich um rund ein Drittel eingebrochen. Auch bei Baugenehmigungen ging es zuletzt merklich bergab. Thomas Reimann ist seit diesem Sommer neuer Präsident des hessischen Baugewerbeverbands. Er meint: „Die Wohnungskrise haben wir in weiten Teilen, weil wir eine Vertrauenskrise haben.“ Von der Politik fordert er Bedachtsamkeit und eine Rückkehr zur Vernunft statt Hauruck-Entscheidungen und Ideologie. Auch, um einem „Kostenwahnsinn“ entgegenzuwirken.

Sie vertreten mehr als 1000 Betriebe aus der Baubranche in Hessen. Wie ist die Stimmung? 

Reimann: Sehr durchwachsen. Wir sind noch umfänglich liefer- und leistungsfähig, stellen aber fest, dass erste Betriebe – noch sehr maßvoll – Arbeitsplätze abbauen. Das bedeutet letztlich, dass uns Fachkräfte, die wir teilweise ausgebildet und über Jahrzehnte qualifiziert haben, fehlen werden, wenn der Markt wieder an Fahrt gewinnt.

Der Wohnungsbau sollte schnell wieder anziehen, wenn es nach der Politik geht. Die Bundesregierung hatte ja große Pläne: Von 400.000 Wohnungen pro Jahr war mal die Rede. Ist das noch realistisch? 

Reimann: Es ist unstrittig: Wir brauchen diese 400.000 Wohnungen pro Jahr. Gerade auch aufgrund der stattfindenden Zuwanderung durch Migration. In den vier Jahren, die definiert waren, sind das 1,6 Millionen. Das werden wir bei weitem nicht schaffen. Also werden wir später, wenn die Politik Lösungen anbietet, einen Nachholeffekt haben, den wir dann aber – aufgrund des fehlenden Personals – wohl nicht bedienen werden können.

Baubranche in Hessen: „Was ist denn so schlimm an neuen Deponien?“

In der Gastronomie wurde Personal in der Corona-Krise nicht gebraucht. Nun findet sich kein neues. Von einem „Gastro-Effekt“ ist die Rede: Wer einmal weg ist, der kommt nicht wieder. Sehen Sie diese Gefahr auch in der Baubranche?

Reimann: Sogar in hohem Maße. Mitarbeiter, die wir jetzt verlieren, weil wir sie entlassen müssen, werden wir nicht wiederbekommen. Jetzt ist bereits festzustellen, dass die erste große Anzahl von Nachunternehmern, die wir in der Bauwirtschaft beschäftigt haben, abgewandert ist. Etwa nach Kroatien oder Spanien, wo der Immobilienmarkt deutlich besser läuft. Warum sollen diese Nachunternehmer wieder zurückkommen nach Deutschland?

Sie sagen, die Politik müsse Lösungen anbieten. Einen „Kostenwahnsinn“ sehen Sie etwa beim Thema Deponien. Was genau hat es damit auf sich?

Reimann: Das ist ein Thema, bei dem der Staat tatsächlich Kostentreiber beim Wohnungsbau ist. In den vergangenen zehn Jahren wurden mehr als die Hälfte der Deponien geschlossen, was letztlich dafür gesorgt hat, dass die Kosten für die Entsorgung in den letzten acht Jahren um 72 Prozent gestiegen sind.

Was sind die konkreten Folgen?

Reimann: Es ist doch weder ökologisch noch ökonomisch klug, wenn ein Bauunternehmer bei einem Projekt in Wiesbaden den Erdaushub über den Nachunternehmer per Schiff aus Hessen raus nach Holland fahren muss, um ihn dort zu entsorgen. Oder wenn er von einem Bauprojekt in der Wetterau 250 Lkw-Ladungen nach Thüringen bringen muss. Was ist denn so schlimm an neuen Deponien in Hessen? Möglicherweise könnte man sie sogar damit verbinden, dass man das, was uns fehlt und was wir uns mit Schiffen teilweise ranholen – nämlich Sand –, abbaut, das Loch nutzt, um sinnhaft zu entsorgen, und im Anschluss ein Naherholungsgebiet aus der Fläche macht.

Thomas Reimann vertritt als Präsident des hessischen Baugewerbeverbands mehr als 1000 Betriebe aus der Branche.
Thomas Reimann vertritt als Präsident des hessischen Baugewerbeverbands mehr als 1000 Betriebe aus der Branche. © pm

Baubranche in Hessen: „Grundsätzlich habe ich bei den Betrieben in Hessen noch großes Hoffnungspotenzial“

Aktuell ist Wahlkampf in Hessen. Spielt das Thema Wohnungsbau in Ihren Augen dabei eine angemessene Rolle?

Reimann: Ja. Die Parteien haben erkannt, wie wichtig und bedeutend der Wohnungsbau bei uns ist. Von einem erfolgreichen Wohnungsbau hängt auch der wirtschaftliche Erfolg für unser Bundesland ab. Daher möchte ich gerne mit den Parteien in ein Gespräch über die aktuelle Lage und entsprechende Lösungsansätze kommen. Deregulierung ist in Teilen auch auf Landesebene möglich, um das Bauen einfacher, schneller und günstiger zu machen. Das wird uns auch unabhängig von dem Ausgang der Landtagswahlen weiterhin intensiv beschäftigen und wir brauchen hier dringend einen Gesprächsdialog.

Können Sie das ein wenig konkreter machen?

Reimann: Ein Beispiel: In Bayern etwa genügt es, den Ausbau eines Dachgeschosses anzuzeigen. Sie melden es, dann können Sie loslegen. In Hessen allerdings braucht es eine Baugenehmigung. Das macht es kompliziert und verzögert die Angelegenheit erheblich.

Fürchten Sie auch eine Insolvenzwelle?

Reimann: Das vermag ich gegenwärtig noch nicht zu beurteilen. Das Stadium, in dem wir uns befinden, ist noch zu früh. Wir haben erste Insolvenzen von namhaften Projektentwicklern. Da muss man sehen, wie viel Schaden in der Baubranche hängenbleibt.

Die Projektentwickler sind Ihnen häufig vorgelagert.

Reimann: Genau. Und wenn die Bauunternehmer ihr Geld nicht mehr bekommen, für die Leistungen, die sie erbracht haben, dann wird es da schnell schwierig. Grundsätzlich habe ich bei den Betrieben in Hessen noch großes Hoffnungspotenzial. Die Kollegen – oft in inhabergeführten Unternehmen – sagen aber: Da muss doch in der Politik das Verständnis endlich einmal gediehen sein, dass wir nun zu Entscheidungen kommen, die das Vertrauen bei den Investoren zurückbringen. Die Wohnungskrise haben wir in weiten Teilen, weil wir eine Vertrauenskrise haben.

Baubranche in Hessen: „Genehmigungen liegen in der Schublade, sie werden aber nicht rausgeholt“

Im Wohnungsbau konnten zuletzt merklich weniger Auftragseingänge verbucht werden.

Reimann: Es sind viele negative Entscheidungen von der Bundesregierung getroffen worden, sodass man das Vertrauen vollständig verloren hat. Die Kollegen wollen keine Entscheidung treffen, die in sechs Monaten schon falsch ist. Viele Pläne sind gemacht, Genehmigungen liegen in der Schublade, sie werden aber nicht rausgeholt.

Können Sie das konkretisieren?

Reimann: Ein Beispiel: Die Fördermittel für die KfW-55-Programme wurden quasi über Nacht gestrichen. Robert Habeck hat gesagt: Die Kassen sind leer, es gibt keine Förderung mehr. Punkt. Das macht man nicht. Wenn es der Wunsch der Grünen war, Bauen ein Stückweit ökologischer zu gestalten, dann wäre es klug gewesen, den Topf nochmal aufzufüllen, aber die eine oder andere Auflage zu verschärfen. Bedachtsam nachsteuern statt Vollbremsung.

Zur Ehrenrettung der Politik: Kurz nach der Ankündigung von 400.000 Wohnungen pro Jahr begann der Ukraine-Krieg. Was waren die Folgen für die Baubranche? 

Reimann: Die Baubranche war weiter liefer- und leistungsfähig. Als Bauunternehmer habe ich damals selbst gedacht, dass es zu Verzögerungen und Lieferengpässen kommen wird. Aber die Märkte haben sich unheimlich schnell neu geordnet. Beispiel: Die Tonne Stahl hat vor der Corona-Krise 680 Euro im Einkauf gekostet. Dann kam der Krieg und das große Werk in Asow wurde verstört. Über Nacht kostete die Tonne dann 1.850 Euro. Heute liegt der Einkaufspreis für eine Tonne Stahl bei 640 Euro. Auch Dämmstoffe und Holz sind zurückgekommen im Preis. Wir haben freie Kapazitäten, etwa im Erdbau oder im Rohbau. Das macht mir aber auch Angst.

Denn wo Kapazitäten frei werden, wird irgendwann auch entlassen.

Reimann: Ja, das ist ein zentraler Punkt. Aber es gibt noch einen anderen: Wenn weniger gebaut wird, verkaufen auch die Baustoffhändler weniger. Die Preise gehen nach unten, springen dann aber umso mehr in die Höhe, wenn die Nachfrage wieder steigt. Was wir in einer Vertrauenskrise gerade nicht brauchen, ist eine Kurve mit extrem hohen Ausschlägen.

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