Grünen-Fraktionsvorsitzender vor Hessen-Wahlkampf: „Es muss klimafreundlicher werden“

Im Interview spricht Matthias Wagner, Fraktionsvorsitzender der Grünen im hessischen Landtag, auch über das geplante Heizungsgesetz und den Verkehrsversuch in Gießen.
Wiesbaden/Gießen - Trotz Kritik wegen des Heizungsgesetzes auf Bundesebene oder in Gießen wegen des Verkehrsversuchs: Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Hessischen Landtag, Mathias Wagner (49) sieht seine Partei für die Wahl im Oktober gut aufgestellt.
Er spricht aber von einem »Spannungsverhältnis«, in dem sich die Grünen bewegen: Dinge verändern, um das Land für die Zukunft aufzustellen. Dabei aber das richtige Tempo finden, um die Menschen nicht zu verängstigen.
Grüne vor Hessen-Wahl im Oktober: Überlagern Bundesthemen den Landtagswahlkampf?
Herr Wagner, Ihre Partei steht sowohl wegen der Energiepolitik im Bund, in Gießen, als auch wegen der Verkehrspolitik massiv in der Kritik. Spielen Themen der Landespolitik bei der kommenden Landtagswahl da überhaupt eine Rolle?
Ich glaube, die Landesthemen werden eine sehr große Rolle spielen, wenn der Landtagswahlkampf nach der Sommerpause richtig losgeht. Wir waren jetzt auch schon ein paar Tage auf Sommertour, und die Stimmung ist überall fantastisch. Ich mache mir um Hessen und die hessischen Grünen keine Sorgen.
Wenn Sie mit Wählerinnen und Wählern jetzt ins Gespräch kommen, dann sprechen Sie also über Landespolitik?
Das ist gemischt, da werden natürlich verschiedene Themen angesprochen. Die Menschen unterscheiden ja nicht zwischen Bundespolitik, Landespolitik und Kommunalpolitik. Da muss man halt diskutieren. Nur wer nichts macht, löst keine Diskussionen aus, und nichts machen können wir uns am allerwenigsten leisten.
Die »Letzte Generation« hat gerade zu Beginn der Ferien mit Flugzeug-Blockaden wieder Schlagzeilen gemacht. Macht Ihnen die Bewegung das Leben beziehungsweise den Wahlkampf schwer?
Also die »Letzte Generation« ist die »Letzte Generation« und Bündnis 90/Die Grünen sind Bündnis 90/Die Grünen. Wo wir Gemeinsamkeiten haben, ist unser Eintreten für den Klimaschutz. Die Aktionen der »Letzten Generation« schaden teilweise dem Anliegen aber mehr als sie nutzen.
Hessen-Wahl im Oktober: Überfordern die Grünen die Menschen?
Es gibt Stimmen, die finden, die Grünen überfordern die Menschen. Es gibt aber auch Stimmen, die finden, die Grünen machen nicht genug gegen den Klimawandel.
Das ist unser Spannungsverhältnis. Auf der einen Seite müssen wir Dinge verändern, damit es in unserem Land gut bleiben oder gut werden kann. Und auf der anderen Seite lösen Veränderungen immer auch Sorgen aus, und da gilt es, das richtige Tempo zu finden. Ich glaube, wir haben in den vergangenen zehn Jahren in Hessen gezeigt, dass wir genau das schaffen, eine Veränderung zu bewirken und gleichzeitig aber auch Sicherheit zu geben. In den Punkten unterscheiden wir uns von unseren zwei Mitbewerbern.
Inwiefern?
Nun, man könnte zum Beispiel mit Friedrich Merz versuchen, vergangene Zeiten wiederzubeleben. Das wird mit Sicherheit aber keine Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit sein. Ebenso wenig reicht es aus, wie die SPD-Spitzenkandidatin zur Landtagswahl, einmal kurz aus Berlin vorbeizuschauen, allen alles zu versprechen und dann wieder abzureisen.
Ihr Verhältnis zur CDU ist schwierig. Merz bezeichnet Die Grünen als »Hauptgegner« und auch in der Gießener Kommunalpolitik wird sich hart bekämpft. Aber auf Landesebene regieren Sie seit zehn Jahren zusammen.
Wir regieren gut mit der CDU und haben in den vergangenen zehn Jahren eine ganze Menge verändert. Das war und ist eine sehr, sehr gute Zusammenarbeit. Wir nehmen aber auch wahr, dass Einzelne in der CDU im Moment auf Richtungs- und Identitätssuche sind. Wer also eine verlässliche stabile Politik haben will, auch in den kommenden fünf Jahren in Hessen, der sollte die Grünen und Tarek Al-Wazir zum Ministerpräsidenten wählen. Bei der CDU weiß man im Moment nicht so richtig, was man bekommt.
Der Verkehrsversuch in Gießen wird viel beachtet, weil die Größenordnung, in der Platz dem Auto genommen und dem Rad gegeben wird, doch etwas Besonderes ist. Sehen Sie das verkehrspolitisch als Blaupause für weitere Städte in Hessen?
Also die eine Lösung, die überall passt, die gibt es in der Regel nicht. Was aber alle großen Städte gemeinsam haben, ist, dass die Gestaltung des städtischen Verkehrs eine Herausforderung darstellt. Wir müssen Mobilität gewährleisten und dafür sorgen, dass die Lärm- und Abgasbelastung der Anwohnerinnen und Anwohner geringer wird. Und es muss klimafreundlicher werden. Wenn wir alles so lassen, wie es ist, werden wir diese Herausforderung nicht lösen. Deshalb braucht es auch die Bereitschaft, neue Wege auszuprobieren, und das ist es, was in Gießen gerade gemacht wird. Mit alter Politik und mit alten Ideen wird man die aktuellen Herausforderungen sicher nicht lösen.
Grüne vor Hessen-Wahl im Oktober: „Bei der CDU weiß man nicht so richtig, was man bekommt“
Menschen in den ländlichen Gebieten fühlen sich bei dieser Verkehrspolitik vergessen. Finden Sie, Hessen macht genug beim Ausbau des ÖPNV, insbesondere beim Schienenverkehr?
Wir sind schon dabei, das Schienennetz auszubauen und zu ertüchtigen. Wir haben mehrere Machbarkeitsstudien für die Reaktivierung von Strecken in Auftrag gegeben, und wir sind mit dem Bund im Gespräch, um die ganz großen Projekte voranzubringen wie die ICE-Trassen von Fulda nach Frankfurt. Wir haben endlich angefangen mit der Regionaltangente West, die für die Mobilität im Ballungsraum Rhein-Main bis nach Gießen ganz entscheidend sein wird. Und für den ländlichen Raum ist unsere Antwort: Jedes Dorf, jede Stunde. Wir haben unter der Verantwortung des grünen Verkehrsministers angefangen umzusetzen, dass jedes Dorf mit dem ÖPNV mindestens einmal die Stunde erreichbar ist.
Gibt es für Sie ein Herzensthema für die kommende Periode, sollten Sie wieder in die Regierungsverantwortung kommen?
Für mich ist das Thema Bildung unglaublich wichtig, von der Kita über die Schule, von der Ausbildung bis zu den Hochschulen. Hier haben wir in den vergangenen Jahren sehr viel investiert und wir wollen zum Beispiel ganz konkret im Bereich der Kita noch einmal einen Zahn zulegen und 20.000 neue Kita-Plätze schaffen. Gleichzeitig sollen die Öffnungszeiten besser an die Bedürfnisse der Eltern angepasst werden.
Laut dem Redaktionsnetzwerk Deutschland fehlen in Hessen aber rund 30.000 Kita-Plätze für unter Dreijährige und rund 10.000 für über Dreijährige. Warum haben Sie das Problem in den vergangenen zehn Jahren nicht gelöst bekommen?
Es ist eine riesige Aufgabe, der sich Kommunen und Land gemeinsam stellen. Und wie in so vielen Bereichen im Moment haben wir auch hier einen Fachkräftemangel. Wir haben die Ausbildungskapazitäten in den vergangenen Jahren zwar schon deutlich ausgeweitet, aber bis das richtig wirkt, dauert es natürlich. Und wir haben auch damit angefangen, in die Vergütung der Ausbildung zu investieren. Bis jetzt mussten Sie quasi Geld mitbringen, um Kita-Erzieher oder -Erzieherin zu werden, das sind wir am Ändern. Wir müssen uns bei den Kitas aber weiterhin ambitionierte Ziele setzen, damit wir in dem Bereich noch besser werden.
(Sebastian Schmidt)