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Immer weniger Menschen lesen Bücher

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Von: Dierk Wolters

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Die Verlagslandschaft ist im Umbruch. Doch Sorge machen in der Literaturstadt Frankfurt nicht nur zurückgehende Umsätze, sondern auch der Bedeutungsverlust der Literatur.

Die jüngsten Zahlen für das vergangene Jahr 2017 sprechen eine klare Sprache: Das Weihnachtsgeschäft, auf das die Buchbranche nach der Herbstbuchmesse immer ihre ganzen Hoffnungen setzt, war deutlich schwächer als im vergangenen Jahr. Zwar gab es Bestseller, die sich brillant verkauften, doch weder „Die Geschichte der Bienen“ von Maja Lunde (350 000 Exemplare) noch Dan Browns neuer Thriller, der erst im Oktober auf den Markt gekommen war, konnten einen Umsatzrückgang auf breiter Front verhindern. Weitere Spitzentitel in der Belletristik waren Daniel Kehlmanns Roman „Tyll“, Elena Ferrantes „Meine geniale Freundin“ und „Das Fundament der Ewigkeit“ von Ken Follett.

Um zwei Prozent ging der Umsatz im Jahr 2017 zurück. Diese Zahl konnte aber nur gehalten werden, weil die Bücher im Schnitt teurer waren als 2016. Die Zahl der verkauften Exemplare ging sogar um 3,6 Prozent zurück. Auch 2017 wieder machte es der Handel im Internet den ortsansässigen Buchhandlungen schwer. Der Sortimentsbuchhandel verzeichnete einen Rückgang von 5,1 Prozent.

Die Umsatz- und Absatzkrise ist aber offenbar nur die messbare Spitze eines viel tiefer liegenden Problems: Bücher spielen im gesellschaftlichen Diskurs oft nur noch eine marginale Rolle. Ein erschreckendes Indiz dafür: Der Anteil der absoluten Nichtleser ist im vergangenen Jahrzehnt von 20 auf 25 Prozent gestiegen. Ein Viertel aller Deutschen lesen (und kaufen) gar keine Bücher mehr.

Studenten fehlt die Neugier

Jetzt schon ist das spürbar, bis in die Universitäten hinein. Als Akademische Oberrätin an der Goethe-Universität lehrt Gabriele Rohowski seit mehr als 20 Jahren Germanistik und stellt verwundert fest: Ein Drittel ihrer Studenten lesen nicht mehr gern. Vielleicht noch Liebesromane oder Science-Fiction, sagt sie, aber Arbeit am Text sei vielen fremd. Warum sie Literatur studieren, weiß Rohowski auch nicht. Viele wüssten schon wenige Monate nach dem Abitur nicht mehr, welche Texte sie in ihrer Schulzeit gelesen haben. Manchmal spotteten die Lehrbeauftragten untereinander, sie sollten nur noch Seminare zu kleineren Texten machen. Bei vielen Studenten fehle die Neugier, das Gefühl: Ich will ohne Literatur nicht leben. „Das iPhone ist eine große Konkurrenz. Heute liest man anders“, weiß Rohowski.

Professor Andreas Gold, pädagogischer Psychologe an der Universität Frankfurt, beschäftigt sich beruflich mit Lesestörungen. Ohne Katastrophen malen zu wollen, stellt auch er die sinkende Bereitschaft fest, „sich mit sperrigen Analog-Medien zu beschäftigen“. Und wenn Nicht-Leser Eltern werden, sinke natürlich auch deren Bereitschaft, ihren Kindern vorzulesen. Wie wichtig das aber ist, zeigt jährlich wieder die Vorlesestudie der Stiftung Lesen. Ein Drittel der Vier- bis Sechsjährigen bekäme gar nicht mehr vorgelesen, sagt Gold. „Das ist bedenklich.“

Frankfurts Literaturreferentin Sonja Vandenrath sprach auf einer Podiumsdiskussion zur Situation des Buchmarkts kürzlich von einem spürbaren „Umbruch“. „Wir stehen am Ende einer Epoche“, meinte der Literaturkritiker Martin Lüdke. Die 90 000 Titel, die jährlich neu erscheinen, und selbst die neun Milliarden Umsatz, die die Branche deutschlandweit machte, spiegelten eine Kontinuität nur vor. Lüdke spricht von einer „großen Selbsttäuschung“.

Letzte Hoffnung: Bestseller

Noch vertritt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels etwa 5000 Buchhandlungen. Jährlich verliert er jedoch um die hundert Mitglieder. Dass unzählige Buchverkäufer längst nicht mehr ein noch aus wissen und sich nur mit größter Not über Wasser halten, ist ein offenes Geheimnis. Viele Buchhandlungen kämpfen jeden Monat neu. Wie lange das noch geht, wissen sie nicht.

Bestseller-Autor Eckart von Hirschhausen verkaufte sein Sachbuch „Wunder wirken Wunder“ bislang 500 000 Mal. Der schreibende Förster Peter Wohlleben ist mit seinen Büchern gleich drei Mal auf den Bestsellerlisten vertreten. Diese Autoren können gut von ihren Werken leben. Nicht weit dahinter jedoch beginnt schon die prekäre Zone.

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