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Interview mit GEW-Chefs: „Vieles wird von oben verordnet“

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Wenn es um die Gestaltung von Schule geht, gehört die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zu den wichtigsten Akteuren. In Hessen vertritt die GEW etwa 25 000 Beschäftigte. Klaus Späne sprach mit den beiden hessischen Vorsitzenden Birgit Koch und Maike Wiedwald.

Frau Koch, Frau Wiedwald, die Diskussion über die hessischen Schulen dreht sich oft um Lehrermangel und Überlastung der vorhandenen Kräfte. Wie würden Sie das Verhältnis Lehrer – Kultusministerium beschreiben ?

BIRGIT KOCH: Wir bemerken immer mehr, dass vieles nicht in einem demokratischen Prozess vorankommt, sondern von oben verordnet wird. Es wird Lehrkräften häufiger etwas zusätzlich aufgebürdet, die Arbeitslast wird immer größer, aber dass aus den Kollegien beim Kultusminister etwas aufgegriffen , wird immer dünner. Wir haben viele Überlastungsanzeigen von Kollegen.

MAIKE WIEDWALD: Mittlerweile sind es über 200 Überlastungsanzeigen, die im Kultusministerium angekommen sind. Oft wird nicht darauf reagiert. Es gibt mittlerweile Schulen, die haben das zweite oder dritte Mal eine Überlastungsanzeige ans Ministerium geschickt. Das ist ja ein Hilferuf, die fürchten um ihre Gesundheit, dass sie unter diesen Bedingungen nicht weiter gute Arbeit machen können.

Die Landesschülervertretung hat den Ausfall von tausenden Stunden reklamiert. Kultusminister Lorz wiederum sagte, es gebe in der Regel keinen Ausfall. Gibt es in der Bildungspolitik verschiedene Wahrnehmungsebenen?

KOCH: Ja, die SPD hat Herrn Lorz bereits als Mr. Ahnungslos bezeichnet. Ich denke, er macht Augen und Ohren zu. Es gibt de facto keine Zahlen über ausgefallene Stunden, jedenfalls nicht im Kultusministerium. An den einzelnen Schulen wird das aber schon dokumentiert.

Wie kommt es zu dieser Misere – hat man da nicht frühzeitig genug auf erste Alarmsignale reagiert?

KOCH: Die Kultusministerien haben bundesweit mit falschen Zahlen operiert, und zwar seit 2013. Damals gab es Erhebungen: etwa wie viele Kinder haben wir, wie viel werden geboren, wie viele kommen nach sechs Jahren in die Schule? Da haben sich die Ministerien ein falsches Zahlenwerk zurechtgelegt, und das fällt uns jetzt auf die Füße. Das Problem ist also hausgemacht.

WIEDWALD: Das Problem ist, dass die Kultusministerien mit Zehnjahresprognosen arbeiten. Das heißt, die Planung wird mit bevölkerungsstatistischen Elementen entwickelt. Das kann aber so nicht funktionieren. Wir haben bereits vor vier Jahren gesagt, dass es wichtig wäre, mehr Kollegen auszubilden und einzustellen, als bekannt war, wie die realen Geburtenzahlen sind und wie viele Kinder in die Schulen kommen. Genauso ist es gekommen. Wir sind damals vom Kultusminister belächelt worden, er hat gesagt, die GEW mache alle nur bange. Heute ist klar, dass es gut gewesen wäre, damals die Kollegen einzustellen. Natürlich sind in den letzten Jahren Flüchtlinge gekommen, aber so oder so wären die Zahlen angestiegen, und so oder so hätte man neue Kollegen gebraucht, die die Kinder heute und in Zukunft unterrichten.

KOCH: Mir ist wichtig zu sagen, dass ich es nicht mehr hinnehmen kann, dass vonseiten des Hessischen Kultusministeriums immer nur gesagt wird, dass Flüchtlinge oder zugewanderte Schüler das Maß voll machen. Das Fass ist aber so schon übergelaufen.

Schiebt das Kultusministerium Ihrer Meinung nach Verantwortung ab?

KOCH: Ja, und zwar an die Schulen. Die Arbeitsüberlastung trifft dort gleichermaßen Schulleiter und auch Abteilungsleiter an den größeren Schulen. Die sind genauso völlig überlastet, müssen den Mangel verwalten, teilweise auch in den Unterricht und sind dementsprechend verzweifelt.

WIEDWALD: Die Schulleitungen schieben leider auch Verantwortung an die Kollegen ab. Die sind dann oft so überlastet, so dass sie vor die Entscheidung gestellt werden, was sie machen oder nicht machen, weil sie nicht alles gleichzeitig mit ihrem Stundenkontingent schaffen können. Das macht viele Kollegen sehr hilflos und sehr wütend.

Unterschiedliche Ansichten gibt es auch in Sachen Ganztagsschule. Das Kultusministerium setzt hier stark auf den Pakt für den Nachmittag. Sinnvoll oder nur eine Alibilösung, weil man sich nicht an eine umfassende Schulreform herantraut?

WIEDWALD: Der Pakt für den Nachmittag ist ein freiwilliges Angebot, das an den Pflichtunterricht anschließt. Damit wird den Eltern suggeriert, dass es sich um eine echte Ganztagsschule handelt, in die ihre Kinder von morgens bis abends geben können. Dafür sind aber weder ausreichend Mittel noch die Stellen da. Man schiebt das Ganze also auf die Schule ab. Das ist aus unserer Sicht eine Mogelpackung.

Lebt die Bildungspolitik in ihrer eigenen Blase?

KOCH: Ja, nichts sehen, nichts hören.

WIEDWALD: Wir setzen stark auf eine demokratische Schule, in der alle Beteiligten – Schüler, Eltern und Kollegen – ein Mitspracherecht haben. In den letzten Jahren ist zunehmend versucht worden, das negativ zu verändern. Dabei wäre es wichtig, Möglichkeiten zur demokratischen Gestaltung zu schaffen – zum Beispiel eine Mitsprache bei der Besetzung von Schulleiterstellen wieder einzuführen. Die Stellen werden ausschließlich vom Kultusministerium besetzt, keine andere Gruppe hat dabei ein Mitspracherecht. Das war früher anders.

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