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Der Islam hat viele Gesichter

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Welche Gedanken verbergen sich unter diesem Kopftuch? Wissenschaftler und Kriminalisten interessieren sich für Frauen im Islam.
Welche Gedanken verbergen sich unter diesem Kopftuch? Wissenschaftler und Kriminalisten interessieren sich für Frauen im Islam. © Frank Rumpenhorst (dpa)

Weil die Fahnder des Landeskriminalamts erkannt haben, dass zur Bekämpfung islamistischen Terrors fundiertes Wissen über die zugrundeliegende Religion vonnöten ist, haben sie renommierte Wissenschaftler zu einer Fachtagung nach Wiesbaden eingeladen. Die dargelegten Thesen haben Potenzial, mit vielen Vorurteilen aufzuräumen.

Den einen Islam gibt es nicht. Entgegen der landläufigen Meinung ist diese vor rund 1400 Jahren entstandene Religion mindestens ebenso facettenreich und vielfältig wie das Christentum. Nur wie erkennt man rechtzeitig eine Muslima, die im Begriff ist, sich zu radikalisieren und wie lässt sich verhindern, dass sich in Deutschland unüberbrückbare Parallelgesellschaften herausbilden?

Um mehr über die Hintergründe der muslimischen Lebenswirklichkeit zu erfahren, hat das hessische Landeskriminalamt (LKA) eine zweitägige Fachtagung angesetzt und Wissenschaftler der Frankfurter Goethe-Universität sowie des Forschungszentrums Globaler Islam nach Wiesbaden eingeladen. „Der Islam ist nicht personalisiert. Er ist ein Netz aus diskursiven Traditionen. Rollenvorstellungen sind ebenso kulturell konstruiert und haben sich im Laufe der Zeit gewandelt – und wandeln sich noch immer“, erläuterte die Islamwissenschaftlerin Armina Omerika in ihrem Vortrag mit dem Titel „Frauenrecht und Islam“.

Eine Frage der Auslegung

Zudem sei die Stellung der Frau im Islam von politischen und sozialen Systemen abhängig. Vor allem in Entwicklungsländern herrschten oftmals schlechte Bildungsbedingungen, Krisen und Kriege. Im Gegensatz zu freiheitlichen und demokratischen Gesellschaften falle es Frauen aus solchen Ländern weitaus schwerer, Rechte einzufordern und sich zu emanzipieren.

Dabei sei der Islam während seiner Entstehung eine außerordentlich fortschrittliche Religion gewesen und lasse sich auch heute noch so interpretieren. „Patriarchalische Ausprägungen folgen den Spuren ihrer Zeit. Der Kampf um Gleichberechtigung ist derzeit auch in der katholischen Kirche zu beobachten“, zog Omerika eine interessante Parallele zum modernen Christentum.

Das Ziel islamischer Feministinnen sei die Herausarbeitung der Gleichheit aller Geschöpfe. Zugegebenermaßen sei dies vornehmlich ein elitäres Unterfangen, das vor allem an Universitäten im englischsprachigen Raum zu beobachten sei. Doch erfolgreiche islamische Zivilisationen hätten sich stets mit den Realitäten ihrer Zeit auseinandergesetzt. Als Beispiel nannte Armina Omerika arabische Übersetzung aus griechischer Literatur im 9. Jahrhundert.

Der Jurist Rudolf Steinberg, Ex-Präsident der Frankfurter Goethe-Universität, referierte über Grundrechte, auf die sich muslimische Frauen wegen ihres Glaubens berufen können. Gleich zu Beginn seines Referats machte Steinberg deutlich, dass die Gleichstellung der Frau selbst in Deutschland noch eine relativ junge Errungenschaft ist. „Erst seit 1958 können Frauen ihr Vermögen in einer Ehe selbst verwalten. 1963 wurde der Vorrang des männlichen Geschlechts beim Erbe getilgt. 1974 erfolgte die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, 1969 die Abschaffung der Bestrafung des Ehebruchs. Dies sollten wir auch bei der Frage nach der Integration von Muslimen in Erinnerung behalten“, riet Steinberg.

Im Hinblick auf die immer wieder hochkochende Kopftuch- und Burka-Debatte stellte der Jurist fest, dass das Tragen eines Kopftuches privat wie in der Öffentlichkeit unter die Religionsfreiheit fällt. Hierzu habe es 2003 und 2015 entsprechende Grundsatzurteile gegeben. „Der Staat kann nicht festlegen, ob ein Glaube richtig oder falsch ist“, so Steinberg. Er könne lediglich entscheiden, ob es sich um eine als religiös anzusehende Motivation handelt. Kopftuch-Kritiker wie Alice Schwarzer nähmen nicht zur Kenntnis, dass das Kopftuch von Muslimas überwiegend als Zeichen der Selbstbestimmung getragen werde und es in der westlichen Kultur zunehmend modische Züge annehme. Auch gelte es, den Toleranzanspruch einer Minderheit zu berücksichtigen.

Kopftuch ja, Burka nein

Weniger eindeutig seien die Auffassungen zum Tragen eines Gesichtsschleiers, der vornehmlich von Salafistinnen getragen werde. „Auch muslimische Theologen halten diesen Schleier für nicht geboten. Gleichwohl hat eine Reihe von Gerichten entschieden, dass dies in den Schutz der Religionsfreiheit gehört“, gab Steinberg zu bedenken. Dennoch ist der Jurist der Auffassung, dass eine Burka einen fundamentalen Bruch mit der westlichen Kultur darstellt. Ein Verbot sei allerdings nicht zielführend, da dies mutmaßlich auf Ablehnung stoße und „das dahinter liegende Problem des Salafismus“ nicht anrühre. Eine weitaus bessere Lösung sei es, auf die Kooperation mit Religionsverbänden zu setzen.

LKA-Chefin Sabine Thurau war bereits am ersten Tag der heute fortgesetzten Fachtagung mit den Ergebnissen hochzufrieden. „Unsere Erwartungen werden voll erfüllt. Die Idee war es, interdisziplinär den Horizont zu erweitern und wertvolle Lösungsansätze zu gewinnen“, sagte sie. Denn die Beamten des LKA beschäftigen sich zwar regelmäßig mit islamistischem Terrorismus, wüssten jedoch „viel zu wenig“ über den Islam. „Wir stehen hier erst am Anfang“, sagte Thurau und stellte in Aussicht, weitere Fachtagungen folgen zu lassen. Auch werde noch zu klären sein, wie mit islamistischer Gewalt umzugehen sei und wie wirkungsvolle Prävention gelinge.

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