1. Startseite
  2. Hessen

Lärmpausen am Flughafen: Ruhe hier, Krach dort

Erstellt: Aktualisiert:

Kommentare

Lufthansa-Maschine im Anflug auf die Nordwest-Landebahn.
Lufthansa-Maschine im Anflug auf die Nordwest-Landebahn. © Frank Rumpenhorst (dpa)

Mit der Forderung nach einem achtstündigen Nachtflugverbot waren die Grünen in den Landtagswahlkampf gezogen, mit einer sogenannten siebenstündigen Lärmpause gingen sie aus den Koalitionsverhandlungen heraus. Am Donnerstag beginnt nun der Probebetrieb.

Janine Wissler, Fraktionsvorsitzende der Linken im Landtag, holt mit einer einfachen Gleichung alle Überlegungen, mittels Lärmpausen für weniger Krach rund um den Frankfurter Flughafen zu sorgen, auf den Boden der Tatsachen zurück: „Kein Flugzeug wird weniger fliegen, der Lärm soll nur gebündelt und umverteilt werden.“

Das ist auf den ersten Blick richtig, das Verkehrsministerium unter dem grünen Minister Tarek Al-Wazir macht allerdings eine andere Rechnung auf. Die Lärmpausen seien kein Nullsummenspiel, unter dem Strich zeige sich, dass sowohl morgens als auch abends eindeutig mehr Menschen entlastet als belastet würden, so Al-Wazir. Die Lärmpausen sehen vor, zusätzlich zum sechsstündigen Nachtflugverbot in den Randstunden zwischen 22 und 23 Uhr sowie zwischen 5 und 6 Uhr eine zusätzliche flugfreie Stunde zu schaffen, indem jeweils eine Bahn nicht genutzt wird.

In Zahlen: 40 000 Anwohner erhielten rechnerisch eine zusätzliche Lärmpause, so die Kalkulation aus dem Ministerium. Da aber auch Wisslers Rechnung stimmt, dass kein Flieger weniger unterwegs sein wird, sind es nicht einfach so 40 000 Anwohner mehr, die entlastet werden, sondern sie sind ein Saldo aus Entlasteten und zusätzlich Belasteten.

Aus fünf verschiedenen Modellen, die Al-Wazir entwickeln ließ und im Herbst in die Fluglärmkommission gegeben hatte, wurde Ende Januar die Variante 4 für den Probebetrieb ausgewählt. Euphorisch hatte sich die Fluglärmkommission allerdings nicht gezeigt. Alle anderen Modelle lehnte das Gremium rundweg ab, bei Modell 4 könne bei Westbetrieb (Westwind) „rechnerisch ein Vorteil erkannt werden“. Allerdings gehe dieser einher mit „starken Verschiebungen von Entlastungen und Neubelastungen“.

40 000 Entlastete

In Zahlen: Im Westbetrieb sollen keine Landungen auf der Nordwestbahn erfolgen, sondern ausschließlich auf der Südbahn. Dadurch gewännen 105 000 Anwohner vor allem in Frankfurt und Offenbach eine Lärmpause, so die Berechnungen. Allerdings werden 65 000 Anwohner vornehmlich in Neu-Isenburg und Hanau mit zusätzlichem Fluglärm beschallt. Macht nach Ministeriumsrechnung 40 000 entlastete Menschen.

Für die Leidtragenden dieser Maßnahme soll es dann aber in den Morgenstunden Entlastung geben. Von 5 bis 6 Uhr sollen die Flieger ausschließlich auf der Nordwestbahn landen und die Südbahn geschlossen sein. Hier sieht die Rechnung dann schon sehr viel bescheidener aus: 14 000 „Profiteuren“ stehen 13 000 zusätzlich belastete Bewohner gegenüber – unterm Strich gewinnen 1000 Anwohner eine zusätzliche Lärmpause.

Ostbetrieb noch offen

Für Wind aus Ost (etwa 30 Prozent des Jahres) fand keine Variante Gnade in den Augen der Fluglärmkommission. „Die vorliegenden Berechnungen zeigen für alle aktuell vorliegenden Modelle bei Ostbetrieb Lärmwirkungen, die mit den Grundsätzen der Fluglärmkommission nicht vereinbar sind“, heißt es im Beschluss vom 28. Januar. Vor allem sei eine „zum Teil deutliche Zusatzbelastung für bereits Hochbetroffene nicht akzeptabel“.

Folglich startet der Probebetrieb am Donnerstag nun ohne eine Lösung für den Fall, dass der Wind aus Osten weht. „Bei Ostbetrieb gibt es keine Lärmpause“, bestätigt auch Kristina Kelek von der Deutschen Flugsicherung in Langen, die ansonsten keine großen Probleme für Donnerstag erwartet. Die Flugrouten seien ja unverändert, die Verfahren für die Anflüge bekannt, nur die Einschränkungen beim Bahnenbetrieb seien umzusetzen. „Dafür wurden die Lotsen speziell gebrieft“, so die DFS-Sprecherin.

Nach monatelanger Vorbereitung begrüße man beim Flughafenbetreiber den nahenden Start, sagt Fraport-Sprecher Dieter Hulick. „Jetzt gilt es Erfahrungen zu sammeln.“ Es handele sich bei den Lärmpausen um ein „hochkomplexes Verfahren“, es werde sicher Zeit dauern, bis die Verfahrensweisen des Probebetriebs eingespielt seien. Gleichwohl sieht er die meiste Arbeit bei der Flugsicherung: „Das spielt sich ja hauptsächlich im Luftraum ab, die Lotsen müssen den Flugverkehr sortieren.“ Möglicherweise ließen sich aus dem Probetrieb auch Erkenntnisse für Pausen im Ostbetrieb gewinnen.

Gemäß Koalitionsvertrag

Die Lärmpausen waren einer der drei Punkte, auf die sich die Grünen in den Koalitionverhandlungen mit der CDU in punkto Flughafen geeinigt hatten. Weiterhin stehen eine Überprüfung der Notwendigkeit eines geplanten dritten Terminals sowie die Schaffung einer Lärmobergrenze im Koalitionsvertrag. Dem Bau von Terminal 3 hat der Aufsichtsrat von Fraport vorige Woche zugestimmt, woraufhin Vorstandschef Stefan Schulte einen Baubeginn Ende des Jahres verkündete. Die Gutachten mit alternativen Vorschlägen zur Abfertigung von mehr Passagieren ohne Terminal-Bau aus dem Hause Al-Wazir hat Fraport damit erwartungsgemäß entsorgt, Baurecht hatte der Flughafenbetreiber ohnehin schon.

Bleibt noch die Lärmobergrenze aus dem grünen Forderungskatalog. Dazu hatten die schwarz-grünen Regierungsfraktionen am Donnerstag einen entsprechenden Antrag im Verkehrsausschuss des Landtags vorgelegt, der die Zahl der jährlichen Flugbewegungen auf eine noch zu bestimmende Zahl unterhalb der rechnerisch möglichen 700 000 Starts und Landungen deckeln soll, die nach dem Bau von Terminal 3 machbar wären.

Mit Ergebnissen ist allerdings nicht so schnell zu rechnen: Ein erster Vorschlag soll erst im Sommer 2016 auf den Tisch kommen. „Scheinbar hat der Verkehrsminister durch sein Schauspiel um den Bau von Terminal 3 die Vorbereitung der Einführung von Lärmobergrenzen vergessen“, spottete daraufhin der SPD-Abgeordnete Marius Weiß. Schwarz-Grün verwies dagegen auf „erhebliche Herausforderungen“ (der CDU-Abgeordnete Walter Arnold) und ein „komplexes Verfahren“ (Grünen-Parlamentarier Frank Kaufmann).

Auch die Einführung der Lärmpausen hatte schon zu heftiger Kritik der Oppositionsfraktionen geführt. Wenngleich unter gänzlich verschiedenen Ansatzpunkten: Die Linken reden von reiner „Lärmverschiebung“ und fordern stattdessen ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr, die FDP hingegen setzt voll auf Ausbau und will deshalb keine Lärmpausen. Und die Sozialdemokraten versuchen den schwierigen Spagat, den Grünen Dinge vorzuwerfen, die sie grundsätzlich eigentlich selbst wollen – wie zum Beispiel die Lärmpausen.

Auch interessant

Kommentare