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Der lange Schatten Erdogans

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Von: Klaus Späne

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Ende Januar muss ein privates Gymnasium in Oberursel schließen. Das Aus für die Schule mit türkischstämmigen Sponsoren ist eine Folge der politischen Umwälzungen in der Türkei. Diese haben auch noch andere Auswirkungen auf die türkische Szene in Rhein-Main.

Eigentlich wäre Talat Askin dieser Tage wohl damit beschäftigt, das zweite Schulhalbjahr vorzubereiten. Eventuell ginge es auch darum, Investitionen in die Wege zu leiten – wie den Bau einer Sporthalle, die das Urselbach-Gymnasium auf einem eigens gekauften Nachbargrundstück errichten wollte. Oder die Renovierungarbeiten, die anstehen. Eine hohe Summe würde das jedenfalls verschlingen, sagt der Geschäftsführer des Trägers der Oberurseler Privatschule. Würde. Denn zu all dem wird es nun nicht kommen, weil am 31. Januar im Urselbach-Gymnasium die Lichter ausgehen. Und das führt dazu, dass Askin derzeit nur mit einem beschäftigt ist: die Lehranstalt abzuwickeln.

Angst bei den Sponsoren

Es ist das traurige Finale einer Entwicklung, die sich seit längerem abgezeichnet hatte und deren Gründe weit außerhalb Oberursels liegen. Konkret geht es darum, dass das Gymnasium bisher hauptsächlich von privaten, meist türkischstämmigen Sponsoren und Spendern unterstützt wurde, auch wenn in der Schule nach hessischem Lehrplan unterrichtet wurde (siehe Text rechts). Dabei handelte es sich um Unternehmer aus dem Rhein-Main-Gebiet. Diese wiederum stehen der Bewegung des in den USA lebenden islamischen Predigers Fethulla Gülen nahe, der seit dem Putschversuch in der Türkei Mitte 2016 als Unperson gilt und dessen Anhänger systematisch verfolgt und verhaftet werden.

Auch bei den Sponsoren der Schule geht seither die Angst um, berichtet Askin. „Ich verstehe das, die Leute haben Familien und Geschäfte in der Türkei.“ Die Schule weiter zu unterstützen, sei daher für sie zu riskant geworden. Zudem sei zweien der Schulgründer in der Türkei der Pass abgenommen worden. Und dies alles, obwohl der konservative Prediger Gülen nach Aussagen von Askin keinen Einfluss auf die Schule gehabt habe.

Besuch vom BKA

Für den 39-Jährigen ist dies ein weiteres Beispiel dafür, wie sich nach dem Putsch die Stimmung in der Türkei gedreht hat und wie dies auch Folgen für die türkischstämmige Szene im Rhein-Main-Gebiet hatte. Nein, auf die Schule sei kein direkter Druck ausgeübt worden. Dafür seien aber eines Tages Beamte des Bundeskriminalamts aufgekreuzt. Grund war, dass die Schule offenbar auf einer Liste der türkischen Sicherheitsbehörden stand, die angeblich Gülen-nahe Personen und Institutionen enthielt (siehe Text links). Den Beamten sei es jedoch nur darum gegangen, die Schule zu warnen, sagt Askin. Auch darüberhinaus spüre man den Einfluss der Türkei.

Wie sich das bemerkbar macht? Bei den Türken in der Region herrsche die Angst, offen zu sprechen. Kritik an Erdogan und der türkischen Regierung gebe es daher so gut wie nicht. „Auch wenn man mit Verwandten zusammenkommt, wird nicht über Erdogan geredet“, sagt Askin. Wenn man einmal etwas Kritisches sage, ernte man nur Schweigen. Er selbst verzichte daher auch im Moment auf den bisher alle zwei Jahre üblichen Urlaub in der alten Heimat.

Ähnliches hört man von einem Vater, dessen Sohn die Oberurseler Schule besucht hat und der nicht namentlich genannt werden möchte. „Ich habe Angst in die Türkei zu reisen“, sagt der Vater, der nach eigenen Aussagen seit 40 Jahren in Deutschland lebt und dessen Kinder hier aufgewachsen sind.

Dass die Umwälzungen in der Türkei zu einer Zäsur bei den Türkischstämmigen in Rhein-Main geführt hat, wird auch deutlich, wenn man sich mit Mürvet Öztürk und Turgut Yüksel, Abgeordnete im hessischen Landtag, unterhält. Die Politiker wurden in der Vergangenheit aus dem Erdogan-Lager heraus als Vaterlandsverräter beschimpft.

Zurzeit sei zwar eher Ruhe, sagt die derzeit fraktionslose Öztürk, die wie Kollege Yüksel von der SPD sowohl Erdogan als auch Gülen gegenüber kritisch eingestellt ist. Generell herrsche aber ein Klima des Misstrauens. „Man ist vorsichtig, mit wem man telefoniert und was man sagt“, meint Öztürk. Sie selbst etwa versuche, „banales Zeug zu reden“, wenn sie mit der Verwandtschaft in Istanbul telefoniere. „Für Menschen, die gegenüber der türkischen Regierung kritisch eingestellt sind, ist es auch in Deutschland nicht einfach, öffentlich ihre Meinung kundzutun.“ Dennoch plädiere sie für einen Dialog.

Eine Atmosphäre des Denunziantentums nimmt SPD-Parlamentarier Turgut Yüksel wahr. Er selbst werde immer mal wieder angefeindet und kritisiert. „Das ist aber nicht so heiß wie es gekocht wird.“ Schlimmeres befürchtet er nicht. Auch nachdem er als Verräter bezeichnet worden ist, sei er nach Istanbul gereist. „Sie wissen, wer ich bin. Ich glaube aber nicht, dass es so weit kommt, dass sie einen Abgeordneten verhaften.“

Als Grund für die starke Sympathie der Türken auch hierzulande für Erdogan und Co. sieht Yüksel eine Opferrolle, die stilisiert werde. Das gelte auch für die Gülen-Bewegung. Viele Türken in Deutschland hätten zudem das Gefühl, sich ständig für die Vorgänge in ihrer Heimat rechtfertigen zu müssen. Und er warnt davor, alle in einen Topf zu werfen. „Es gibt auch andere Türken“, sagt Yüksel.

Für das Urselbach-Gymnasium bringt diese Erkenntnis aber nichts mehr. Dort ist Geschäftsführer Talat Askin gerade dabei, die Ausgabe der letzten Halbjahreszeugnisse vorzubereiten. Ansonsten müsse er noch bestehende Verträge aufzulösen. Eine Abschiedsfeier wird es nicht geben. „Ich bin traurig“, sagt Askin, „aber das Leben geht weiter.“

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