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Nordwest-Landebahn: Fünf Jahre Proteste gegen Fluglärm

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Ein Luftbild von der Nordwest-Landebahn.
Ein Luftbild von der Nordwest-Landebahn. © dpa

Vor fünf Jahren landete Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Regierungsmaschine „Konrad Adenauer“ als erster Fluggast auf der neu gebauten Landebahn im Nordwesten des Flughafens. Unter dem Jubel der damaligen schwarz-gelben Landesregierung, Fraports und der Luftverkehrsbranche. Unter lauten Protesten der lärmgeschädigten Anwohner. Was ist seitdem passiert? Eine Bilanz im Zeitraffer.

Selbst wenn den Ausbaugegnern die Puste etwas ausgegangen ist – auch fünf Jahre nach Inbetriebnahme der Nordwest-Landebahn am Frankfurter Flughafen ist der Protest gegen den Fluglärm immer noch in der Region zu hören. Die Montagsdemos im Terminal 1 gibt es nach wie vor. Mit weit weniger Teilnehmern zwar als in den Anfangszeiten nach der Eröffnung am 21. Oktober 2011. Dass aber auch nach fünf Jahren rund 200 Menschen jeden Montag zum Flughafen mit Fahnen und Trillerpfeifen pilgern, ist durchaus eine Leistung. Denn auch nach all den Jahren, all den zwischenzeitlich erfolgten Maßnahmen von Politik und Luftverkehrsbranche ist festzuhalten: Für die meisten Menschen in den hoch und höchst belasteten Gebieten in der Umgebung des Flughafens ist die Lärmentlastung meist kosmetischer Natur. Der von 3,0 auf 3,2 Grad angehobene Anflugwinkel auf die Nordwest-Landebahn beispielsweise bringt zwar rechnerisch eine leichte Entlastung um ein halbes Dezibel im sogenannten Dauerschallpegel, also dem Mittelwert aller Flugbewegungen, die einzelne Maschine, die irgendwo in der Spanne zwischen 60 und 70 Dezibel über das Dach fliegt („Einzelschallereignis“), reißt die Menschen trotzdem um 5 Uhr morgens aus dem Schlaf.

2011

Dann endet nämlich das Nachtflugverbot, das dieser Tage ebenfalls sein fünfjähriges Bestehen verzeichnet: Am 10. Oktober 2011 verhängte der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) ein Verbot der nächtlichen Flüge in der Zeit von 23 bis 5 Uhr, beginnend am 30. Oktober 2011. Der damalige FDP-Verkehrsminister Dieter Posch klagte dagegen vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, die dortigen Richter bestätigten jedoch später das Urteil ihrer Kasseler Kollegen.

Und an einen weiteren Jahrestag sei in diesem Zusammenhang erinnert: Vor 35 Jahren, am 14. November 1981, demonstrierten 100 000 Menschen in Wiesbaden gegen den Bau der Startbahn West und übergaben 220 000 Unterschriften für ein Volksbegehren gegen den Flughafen.

Was friedlich begann, sollte am Folgetag blutig enden: Bei einer „Inspektion des Flughafens“ kam es zu massiven Tumulten zwischen Demonstranten und Polizei mit Hunderten Verletzten. Zu der „Inspektion“ aufgerufen hatte der Frankfurter Magistratsdirektor Alexander Schubart, der am 23. September dieses Jahres verstarb.

Kam es im Zusammenhang mit der Startbahn West immer wieder zu Krawallen, die ihren schrecklichen Höhepunkt 1987 mit zwei erschossenen Polizisten fand, verlief der Protest gegen die Nordwest-Landebahn stets friedlich. Der Widerstand wurde vornehmlich auf der juristischen Bühne ausgefochten: Unzählige Klagen wurden von Kommunen, Bürgerinitiativen und Privatleuten auf allen Gerichtsebenen eingereicht. Noch heute sind einige davon vor dem VGH anhängig. Meist entschieden die Richter pro Flughafen, größter juristischer Erfolg der Gegner sollte das Nachtflugverbot bleiben.

2012

Doch die Menschen auf den Straßen – bereits einen Tag nach der Bahneröffnung zogen 10 000 Teilnehmer in einem Protestzug von Mainz nach Wiesbaden – und die Montagsdemonstrationen am Flughafen zeigten Wirkung: Aufgeschreckt von den vielen und lauten Protesten rotierte die damalige schwarz-gelbe Landesregierung und stampfte im Februar 2012 eine „Allianz gegen Fluglärm“ aus dem Boden. Landesregierung, Flughafenbetreiber Fraport, Hauptkunde Lufthansa, Deutsche Flugsicherung und der Airline-Verband BARIG unterzeichneten eine Vereinbarung, die zahlreiche Maßnahmen sowohl des aktiven wie auch des passiven Schallschutzes vorsahen. Dazu gehörten verbesserte Anflugverfahren und -routen, höhere Lärmentgelte für laute Maschinen am Flughafen und der Einsatz moderner, leiserer Flugzeuge in Frankfurt. Außerdem sollten 335 Millionen Euro fließen für Schallschutzmaßnahmen in den Häusern der Lärmgeschädigten rund um den Flughafen.

2013

Mit Spannung wurde allenthalben darauf geschaut, wie sich die Fluglärm-Problematik auf die im Jahr 2013 anstehende Landtagswahl auswirken würde. Die Niederlage des CDU-Kandidaten Boris Rhein bei der Oberbürgermeisterwahl in Frankfurt im März 2012 wurde teilweise auch auf dessen Zugehörigkeit zur CDU-geführten Landesregierung zurückgeführt. Die Landtagswahl im September 2013 brachte jedoch ein klares Signal: Der Fluglärm spielte bei der Stimmabgabe keine Rolle. In den Wahlkreisen, in denen die höchst betroffenen Gebiete liegen – Main-Taunus, Sachsenhausen, Groß-Gerau – gewannen samt und sonders die CDU-Kandidaten, eine eigens im Main-Taunus-Kreis gegründete Partei „LUPe“ (Lärmfolter-Umwelt-Politik-ehrlich) holte lediglich 0,1 Prozent der Stimmen.

Die Ende 2013 gestarteten Verhandlungen zwischen CDU und Grünen zur Bildung einer gemeinsamen Regierung ließen allerdings zunächst zwei Welten aufeinandertreffen: Die wirtschaftsnahe Pro-Ausbau-Position der Union und die Flughafen-kritische Haltung der Grünen. Bekanntlich gelang den beiden Parteien jedoch ein Kompromiss: Die Schaffung von Lärmpausen, einer Lärmobergrenze und eine erneute Bedarfsprüfung für das von Fraport geplante Terminal 3.

2014

Im November 2014 zeigte eine umfangreiche wissenschaftliche Erhebung erneut die Notwendigkeit auf, die Menschen vor Fluglärm zu schützen: Im ersten Teil der Gesundheitsstudie „NORAH“ wiesen Wissenschaftler nach, dass hohem Fluglärm ausgesetzte Kinder langsamer lesen lernen. In den nachfolgenden Veröffentlichungen wurde ein erhöhtes Risiko aufgezeigt, an Depressionen und Herz-Kreislauf-Beschwerden zu erkranken.

2015

Im April 2015 präsentierte Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir von den Grünen ein Konzept für die im Koalitionsvertrag verabredeten Lärmpausen am Flughafen. Dabei sollen durch wechselnde Bahnen-Nutzung die Menschen in den Nachtrandstunden entweder von 22 bis 23 Uhr oder von 5 bis 6 Uhr eine zusätzliche Stunde Ruhe gewinnen. Das Verfahren ist hoch umstritten: Während Al-Wazir vorrechnet, dass unterm Strich tatsächlich mehr Menschen ent- als zusätzlich belastet werden, weisen Kritiker darauf hin, dass der Lärm lediglich verschoben werde, da kein Flugzeug weniger in der Luft ist.

Kurz zuvor hatte Al-Wazir eine Niederlage einstecken müssen: Trotz eines Gutachtens aus seinem Haus, das Fraport Möglichkeiten aufzeigte, mit gleicher Infrastruktur mehr Passagiere abzufertigen, beharrte der Flughafenbetreiber darauf, das dritte Terminal zu bauen. Fraport hat Baurecht – dem Minister sind die Hände gebunden.

2016

Im September dieses Jahres schließlich präsentierte Al-Wazir sein Modell für eine Lärmobergrenze – Punkt 3 des Koalitionsvertrags in Sachen Flughafen. Danach soll der Lärm um 1,8 Dezibel geringer ausfallen als er theoretisch im Jahr 2020 bei vorhergesagten 701 000 jährlichen Flugbewegungen sein könnte. Dieser Tage haben die Verhandlungen mit der Luftverkehrsbranche begonnen, die der Maßnahme allerdings sehr ablehnend gegenüber steht. Fraport hat bereits angekündigt, keine weiteren Einschränkungen akzeptieren zu wollen. Ergebnis also offen. Sollte keine freiwillige Vereinbarung zustande kommen, droht Al-Wazir mit einer Änderung der Betriebsgenehmigung für den Flughafen.

Es wird also auch in den kommenden Jahren weitergehen: Die Proteste genauso wie das Ringen um Lärmminderung. Und natürlich der Fluglärm selbst. Fraport würde die Nordwest-Landebahn übrigens rein von der Zahl der Flugbewegungen her gesehen bis heute gar nicht brauchen: Da die Starts und Landungen in Frankfurt seit Jahren anders als damals prognostiziert stagnieren oder sogar sinken, hätte das aktuelle Flugaufkommen auch über das alte Bahnensystem abgewickelt werden können.

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