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„Die größte Erfahrung ist die Dankbarkeit für die Besuche“

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Von: Romina Kunze

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In einer Illustration halten zwei Hände den Arm einer anderen Person.
In einem Hospiz hält eine Sterbebegleiterin die Hand einer todkranken Bewohnerin. © Lana Fischer

Hans-Jürgen Dallmeyer (81) erzählt PJZ-Autor Ben Dallmeyer im Interview über seine Arbeit als ehrenamtlicher Hospizhelfer.

Ein Hospiz ist eine Herberge für Schwerstkranke und Sterbende. Oft werden diese daher als „Gäste“ bezeichnet. Ein Hospiz ist offen für alle Menschen, die dem Lebensende nahe sind und schwer leiden – unabhängig vom Glauben und von den finanziellen Möglichkeiten. Kein Gast muss für seinen Aufenthalt selbst bezahlen. Finanziert werden die Einrichtungen teilweise von Krankenkassen und von Spenden. Freiwillige, kleine und große, Spenden und ehrenamtliches Engagement sind für ein Hospiz lebenswichtig. Um über dieses Engagement mehr zu erfahren, interviewte Ben Dallmeyer seinen Großvater, den Psychoanalytiker Dr. med. Hans-Jürgen Dallmeyer (81), der ehrenamtlich in einem Göttinger Hospiz tätig ist.

Seit wann arbeitest du ehrenamtlich im Hospiz?

Seit etwa zweieinhalb Jahren.

Wie bist du auf die Idee gekommen, ehrenamtlich im Hospiz zu arbeiten?

Als ich das Martyrium von deiner Ur-Oma über drei Jahre auf einer Pflegestation miterlebte. Sie wurde zuletzt regelmäßig von einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin des Hospizes sehr liebevoll, freundschaftlich begleitet.

Wie wurdest du auf deine Aufgaben vorbereitet?

In einem „Ehrenamtskurs“, der etwa 100 Stunden umfasste. Er bestand aus mehreren Einheiten, zum Beispiel „Wir machen uns auf den Weg“ – Wahrnehmen“ – „Mitgehen“ – „Zuhören“ – „Verstehen“ – “„Weitergehen“ – „Bleiben“ – „Abschied nehmen“.

Welche Voraussetzungen muss man als Sterbebegleiter mitbringen?

Berufliche Voraussetzungen sind mir nicht bekannt. Auch altersmäßig gibt es keine Vorgaben. In meinem Kurs waren Studentinnen, Hausfrauen und sogar ein 79-jähriger Rentner. Gewisse Fähigkeiten mitzufühlen, tolerant zuzuhören, die eigene Ohnmacht auszuhalten, innerlich und äußerlich freundlich abgegrenzt zu bleiben, eigene Tränen unter Umständen nicht zu scheuen, bereit zu sein, sich mit der eigenen Sterblichkeit sowie mit spirituellen wie ethischen Fragen auseinanderzusetzen, sind sicher von Vorteil.

Dr. med. Hans-Jürgen Dallmeyer
Der ehrenamtliche Hospizhelfer Dr. med. Hans-Jürgen Dallmeyer. © Privat

Wann eignet man sich nicht als Sterbebegleiter?

Meiner Meinung nach eignet sich jemand nicht, wenn er in seinem Denken und Fühlen zu sehr selbstbezogen ist und vor allem nicht bereit ist, sich Neuem und Fremdem zu öffnen. Ich denke, mit solchen Schwierigkeiten hat jeder Mensch zeitweise zu kämpfen. Der Kurs und ein Vorgespräch helfen klären.

Wie viele Sterbende hast du inzwischen begleitet?

Zwei. Zuletzt über zehn Monate einen 92 Jahre alten schwerstkranken Senior, der seit etwa sieben Jahren in einem Pflegeheim lebte.

Das Schwierigste sind das Kennenlernen und Vertrautwerden – dann vor allem: das Abschiednehmen!

Dr. med. Hans-Jürgen Dallmeyer

Wie viel Zeit verbringt man im Hospiz?

Ich besuchte ihn gewöhnlich mittwochs für ein bis eineinhalb Stunden. Wir sprachen miteinander, drehten Runden im Garten mit seinem Rollator oder ich fuhr mit ihm in die Göttinger Innenstadt – wohin er mich jeweils leitete… Als er nach einem Sturz operiert werden musste, besuchte ich ihn zunächst täglich im Krankenhaus, danach an jedem zweiten Abend, um ihm zur Entlastung des Personals das Abendessen zu reichen. Und um mit ihm ins Gespräch zu kommen; er wirkte sprachlich oft recht ’entrückt’; sein Gesicht war ausdruckslos und bleich: Aber meine Stimme erkannte er sofort. Am Anfang meiner ehrenamtlichen Tätigkeit übernahm ich gerne im stationären Hospiz eine „Schicht“, die jeweils drei Stunden dauerte. Die Aufgaben sind stationär viel einfacher und sollen vor allem die Pflegefachkräfte entlasten. Also: Mit einem Vormittag oder Nachmittag ist man locker dabei – und lernt Vieles für ein gutes, wohlwollendes Miteinander!

Kann man sich mit anderen Ehrenamtlichen austauschen? Bekommt man Unterstützung?

Ja! Austausch ist sogar unerlässlich und wird von der internationalen „Charta zur Betreuung Sterbender“ (2010) wie von den Krankenkassen gefordert und finanziell gefördert. Im Göttinger Hospiz gibt es mehrere qualifiziert geleitete „Supervisionsgruppen“, damit wir uns austauschen können, unsere Fragen diskutieren können etc. Erstrebt wird eine „reflektierte Haltung“. Nicht zu vergessen ist die Selbstfürsorge. Ebenso können Ehrenamtliche einen der Koordinatoren um ein Einzelgespräch bitten. Die Koordinatoren sind vom Trägerverein des Hospizes fest angestellte, erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie sind zuständig für alles, was gefragt ist, einschließlich der Kursausbildung.

Welche Stimmung ist dort?

In meiner Gruppe ist gewöhnlich eine sehr gute Stimmung: offen, lebendig, hilfsbereit.

Was hilft den Sterbenden am meisten?

Die Bedürfnisse für ein „gutes Sterben“ sind sehr unterschiedlich und sollten daher ein zentrales Gesprächsthema sein. Am meisten wünschen sich Sterbende wohl, begleitet zu werden, um nicht allein den Ängsten vor dem Sterben und all den Nöten ausgeliefert zu sein.

Welche Wünsche haben die Sterbenden?

Auch diese Frage ist in jeder Begleitung zentral wichtig. Eine kleine Anekdote: Als ich mit meinem Senior die erste Rollstuhlfahrt in die Innenstadt machte, lotste er mich zum „Bratwurstglöckle“. Er wünschte sich eine Wurst so lang mit Senf garniert wie es nur möglich war. Als er sie in Höchstgeschwindigkeit verschlungen hatte, seufzte er zufrieden und glücklich auf: „Ich bin restlos zufrieden … für alles entschädigt …!

Welche Situationen sind schwierig?

Das Kennenlernen und Vertrautwerden – dann vor allem: das Abschiednehmen!

Was war die größte Erfahrung?

Seine Dankbarkeit für meine Besuche. Auch seine besorgte Aufmerksamkeit, kaum dass ich sein Zimmer betreten hatte: „Wie geht es dir, Hans-Jürgen?“ Und seine schlichte, aber herzhaft-emotionale Würde, wenn ich zurückfragte, wie es ihm gehe? Meist sprudelten dann seine seelischen Schmerzen und Sorgen aus ihm heraus. Als er sich innerlich bewusst entschlossen hatte, sein Leben und sein Leiden zu beenden, hörte sein Herz – es war eine Woche später – plötzlich auf zu schlagen.

Wie gewinnt man Abstand?

Das ist sicher individuell unterschiedlich und eine wichtige Frage für die Supervisionsgruppe. Nämlich die Frage nach der eigenen Trauer-Arbeit von uns Begleitenden, wenn wir unser Mitgefühl, unsere eigenen Ängste, nicht abgeschottet haben. Bei allem Abstand: Er wird mir unvergessen bleiben.

Wie reagiert das private Umfeld auf die ehrenamtliche Tätigkeit?

Recht unterschiedlich: entweder sehr interessiert und nachfragend – oder stumm.

Gibt es ausreichend ehrenamtliche Helfer?

Leider nicht!

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