Welche Rolle spielen denn psychische Krankheiten bei bösen Taten?
Die Gesamtheit der psychisch Kranken ist nicht gestörter als der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Menschen mit einer Depression oder Angststörung werden sogar seltener aggressiv. Ihnen fehlt der Antrieb oder sie haben Angst vor dem Handeln. Aber bei einzelnen Untergruppen, etwa Menschen mit Wahnvorstellungen, gibt es einen höheren Risikofaktor.
Was begünstigt die Entwicklung "böser" Charakterzüge?
Man kommt als Psychiater schnell in Verdacht, dass man alles auf die Eltern schieben will. Aber natürlich ist es ein Risikofaktor, wenn jemand in der Kindheit keine Zärtlichkeit und Zuwendung erlebt. Auch das Umfeld, etwa bei Jugendlichen die Gruppe, spielt eine starke Rolle. Rauschmittel können dann zusätzlich enthemmen.
Kann also jeder zum Mörder werden?
Das glaube ich nicht. Mord ist ja ein juristischer Begriff, dazu gehören ein böser Wille und Planung. Aber ich glaube, dass unter bestimmten Umständen jeder jemanden töten könnte - etwa eine Mutter, wenn sie ihr Kind schützt.
Warum werden Frauen so viel seltener kriminell als Männer?
Ja, man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Männer sind die Bösen. Bei der Kriminalität ist das Verhältnis von Männern zu Frauen 8:2, bei Morden 10:1. Es gibt zwischen den Geschlechtern sowohl Unterschiede in der Genetik als auch im Hirnaufbau. Die Hormone spielen eine Rolle und natürlich die Sozialisation. Frauen sprechen über ihre Probleme und gehen eher zur Psychotherapie. Bei Männern treten zudem manche Krankheiten häufiger auf, die Aggressionen begünstigen, und sie konsumieren häufiger Alkohol und Drogen.
Wie kann eine Gesellschaft bösen Taten vorbeugen?
Ich glaube, das Böse wird es immer geben, aber die Gesellschaft kann schon einiges tun. Vor allem die Aggressionsprävention bei 18- bis 30-jährigen Männern ist notwendig, denn sie sind die gefährlichste Spezies der Welt. Früher konnten sie ihre Aggressionen vielleicht durch Holzhacken oder Schneeschippen abbauen. Heute muss man sehen, wie man ihre Aggressivität etwa in Sport oder Wettkämpfe umwandeln kann - also Kampfeshandlungen, bei denen kein Blut fließt. Und es ist natürlich wichtig, dass die Entwicklung der Empathie gefördert wird.
Wäre eine Welt ohne das Böse denn wünschenswert
Nein. Die Philosophen sehen das Böse als Preis der Freiheit. Es gäbe demnach keine Freiheit, wenn wir uns nicht zwischen Gut und Böse entscheiden könnten. Psychologisch ist das Böse eine Aggression, also eine Vitalkraft. Es ist nur wichtig, dass sie in die richtigen Bahnen gelenkt wird, so dass niemand verletzt wird.
Reinhard Haller, Jahrgang 1951, ist ein österreichischer Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe. Als psychiatrischer Gutachter begegnete er vielen Schwerverbrechern. Der ehemalige ärztliche Leiter der Klinik Maria Ebene ist als Therapeut und Sachverständiger tätig. Als Autor veröffentlichte er im Salzburger Ecowin-Verlag bereits die Bücher "Die Macht der Kränkung" und "Die Narzissmusfalle". Sein neues Buch ist ebenfalls dort erschienen. Es heißt "Das Böse. Die Psychologie der menschlichen Destruktivität", hat 232 Seiten und kostet 24 Euro. red
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