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Reichsbürger in „Tatort“-Villa: Wie gefährlich sind die Indigenen Germaniten?

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Von: Matthias Lohr

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Reichsbürger erhalten immer mehr Zulauf. In Hessen gibt es nun eine Mission der Reichsbürger-Gruppe „Indigenes Volk Germaniten“. Was steckt dahinter?

Kassel – Die Kasseler Villa am Brasselsberg, an der seit einigen Monaten skurrile Schilder hängen, kennen Millionen TV-Zuschauer. 2019 ermittelten hier die „Tatort“-Kommissare Margarita Broich und Wolfram Koch im HR-Krimi „Das Monster von Kassel“. Nun weist ein Schild das Grundstück „Im Rosental 19“ als Mission der Reichsbürger-Gruppe „Indigenes Volk Germaniten“ aus. Der Kasseler Publizist Michael Lacher hat darüber in seinem Blog berichtet.

Der Mann, der in der Villa wohnt, heißt Robert Tom Coester und hält Vorträge, die in einschlägigen Telegram-Gruppen angekündigt werden. Breiten sich die Reichsbürger, die seit der Pandemie in vielen Regionen Zulauf erhalten, nun auch in Nordhessen aus?

Die Gruppe

Die Reichsbürger und Selbstverwalter sind eine sehr heterogene Bewegung. Sie reicht von rechtsradikalen über militante Gruppen, die den Umsturz planen, bis zu anderen Staatsleugnern. Erst diese Woche wurden erneut Reichsbürger festgenommen, die Mitglieder einer terroristischen Vereinigung sein sollen.

Seltsame Botschaften: Schilder weisen in der Villa „Im Rosental“ am Brasselsberg in Kassel auf die Reichsbürger-Gruppierung „Indigenes Volk Germaniten“ hin.
Seltsame Botschaften: Schilder weisen in der Villa „Im Rosental“ am Brasselsberg auf die Reichsbürger-Gruppierung „Indigenes Volk Germaniten“ hin. © Matthias Lohr

Sie alle eint, dass sie die Bundesrepublik und ihr Rechtssystem ablehnen. Laut dem hessischen Verfassungsschutz gibt es in Hessen etwa 1000 Reichsbürger, etwa 150 von ihnen werden als rechtsextremistisch eingestuft. In Teilen beobachtet der Verfassungsschutz eine „fortschreitende Radikalisierung“. Auch deshalb hat die Linke im hessischen Landtag zuletzt eine Kleine Anfrage zum Thema an den Innenminister gestellt.

Germaniten sehen sich als eigenständiges Volk

Die Gruppe der Germaniten, die sich als eigenständiges Volk oder Weltanschauungsgemeinschaft sieht, negiert „die bundesdeutsche Rechtsordnung nicht in Gänze, interpretiert deren Inhalte jedoch ausschließlich nach eigenem Ermessen und im eigenen Interesse“, wie der Verfassungsschutz mitteilt, der die Germaniten beobachtet.

Aufgefallen sei die Gruppe, die ihre Ursprünge in der Nähe von Stuttgart hat, in der Vergangenheit vor allem mit „dem massenhaften Versand umfangreicher Schreiben an Behörden“. Darin würden unter anderem Schadensersatzforderungen gestellt, weil die Rechte der Germaniten, die sich als Ureinwohner sehen, eingeschränkt seien.

Ein Angehöriger der Gruppe aus dem Schwalm-Eder-Kreis habe 2019 einen Fantasieausweis benutzt, um seinen Führerschein wiederzubekommen.

Der Unternehmer

Robert Tom Coester ist ein „echter Selfmade-Mann“, wie es in einer älteren Beschreibung im Netz heißt. Demnach war er einst Fitness-Unternehmer in Aschaffenburg. In Kassel beriet der Familienvater als Geschäftsführer der Firma GeMax Hotels und Restaurants. Im Handelsregister ist das Unternehmen weiter eingetragen, die Webseite ist jedoch nicht erreichbar.

Auch Coester ist nach außen nicht sehr kommunikativ, wenn es um die Germaniten geht. Fragen der HNA wollte er nur schriftlich beantworten. Unter anderem bezeichnet er die Einschätzung des Verfassungsschutzes als falsch: „Sich als Mensch seiner Indigenität bewusst zu sein, ist kein Rechtsextremismus, die Verunglimpfung ist einfach menschenverachtend.“ Das „Indigene Volk Germaniten“ habe absolut nichts mit dem Deutschen Reich zu tun. Man distanziere sich „von solchen Bewegungen“.

Esoterische Inhalte auf Facebook und Instagram

Mit angehängten PDF-Dokumenten in juristischer Fachsprache weist Coester darauf hin, dass der Staat die Pflicht habe, indigene Landeigentumsrechte anzuerkennen. Die rechtlichen Grundlagen der Germaniten würden auf dem Missionsschild stehen: „Was sollte daran nicht verständlich sein?“ Auf dem zweiten Schild am Eingang steht, dass das Betreten laut Wiener Übereinkommen nur über diplomatische Beziehungen oder Unterhändler gestattet sei. Fragen zu seiner Person lässt der Unternehmer unbeantwortet.

Bei Facebook und Instagram teilt Coester allerlei esoterische Inhalte. Es geht aber auch um angebliche Chemtrails am Himmel, einen vermeintlichen Genderwahn und Klaus Schwab. Den Gründer des Weltwirtschaftsforums halten rechte Verschwörungstheoretiker für den Drahtzieher eines großen Umbaus der Weltgesellschaft („The Great Reset“). Bei Coester sieht man Schwab mit Teufelshörnern.

Zuletzt berichteten Medien in Süddeutschland und den Niederlanden über den Mann aus Kassel, weil seine dortigen Vorträge konspirativ in Telegram-Chats angekündigt worden waren.

Die Experten

Der Berliner Fabian Wichmann arbeitet für die Aussteigerorganisation Exit und kennt sich auch deswegen mit Reichsbürgern aus. Nicht nur Neonazis wie Meinolf Schönborn, der ein Hotel in Gieselwerder an der Weser zum Treffpunkt der rechten Szene gemacht hat, zählen zur Bewegung.

Wichmann sagt, dass sich gemäßigtere Reichsbürger seit Langem weigern, Gebühren oder Steuern zu zahlen. Sachbearbeiter in den kommunalen Verwaltungen und auf den Finanzämtern seien oft überfordert, wie man mit massenhaften Schreiben umgehen soll: „Diese Unfähigkeit zu reagieren, hat viele Reichsbürger bestärkt. Manche Gruppen beanspruchen Deutschland dann für sich, wo nur ihre eigene Gewalt als legitim erachtet wird.“

Christopher Vogel vom Mobilen Beratungsteam gegen Rassismus und Rechtsextremismus in Kassel sagt, die Schilder an der Villa am Brasselsberg würden erst einmal skurril wirken, „aber sie beziehen sich auf eine gefährliche Ideologie“.

Die Nachbarn

Den Nachbarn in der Straße „Im Rosental“ sind die Schilder bereits vor Längerem aufgefallen. Zu Coester und seiner Familie habe niemand Kontakt. Er lebe zurückgezogen. Eine Frau, die an einem sonnigen Sonntag mit einem Hund spazieren geht, freut sich indes über die Botschaften der Germaniten in ihrer Straße: „Endlich macht im spießigen Rosental, wo nur versnobte Ärzte und Anwälte leben, mal jemand eine Ansage.“ (Matthias Lohr)

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