1. Startseite
  2. Hessen

SPD-Landtagsabgeordneter sammelt sinnlose Ausdrücke und Phrasen von Politikern

Kommentare

Hat nach eigener Ansicht ein loses Mundwerk: der SPD-Abgeordnete Gerhard Merz.
Hat nach eigener Ansicht ein loses Mundwerk: der SPD-Abgeordnete Gerhard Merz. © Christoph Schmidt (dpa)

Wenn „Fäkalien nicht auf die leichte Schulter genommen werden dürfen“, hört der SPD-Landtagsabgeordnete Gerhard Merz genau hin und schreibt mit. Denn er sammelt „politischen Sprachmüll“. Im Gespräch mit Redakteurin Wiebke Rannenberg erzählt er auch, welche verqueren Wendungen er selbst schon benutzt hat.

In Ihrem Buch „Papyrrhussiege II“ nehmen Sie über Parteigrenzen hinweg Phrasen, Worthülsen und schiefe Sprachbilder aufs Korn. Trauen Sie sich noch, selbst im Landtag zu reden?

GERHARD MERZ: Ja, ja. Aber manchmal beobachte ich, wie mir selbst eines dieser schiefen Sprachbilder oder eines dieser Plastikwörter auf die Zunge gerät, und dann schlucke ich es runter und suche nach einer anderen Formulierung. Ich versuche, so wenig wie möglich in meinen eigenen Listen vorzukommen.

Aber ganz gelingt Ihnen das nicht?

MERZ: Nein. Eines meiner schönsten verrutschten Bilder habe ich bei einer Pressekonferenz gebracht: „Wir haben ein paar Flaschenhälse, in denen die Räder nicht ineinander greifen.“ Das ist ganz großartig. Ich habe es in dem Moment gemerkt, in dem ich es gesagt habe.

Aber da konnten Sie es nicht mehr zurückholen.

MERZ: Nein, da war es draußen.

Sie haben es selbst aufgeschrieben?

MERZ: Ja. Da gibt es keinen Rabatt für irgendjemanden, auch für mich nicht.

Vorgestellt wurde Ihr Buch von einem politischen Gegenspieler, dem CDU-Mann und stellvertretenden Landtagspräsidenten Frank Lortz. Er hatte einige Komplimente für Sie: Er hört Sie gern reden. Und er sagte auch, Sie seien ein „begnadeter Zwischenrufer“. Üben Sie das?

MERZ: Nein. Entweder fällt mir was ein oder eben nicht. Ich habe einfach ein loses Mundwerk und ein großes Reservoir an Sprüchen.

Kann man das lernen?

MERZ: Ich mache ja nicht Standardzwischenrufe wie „Hört, hört“ oder „Blödmann“ – naja, Blödmann darf man sowieso nicht. Es gibt Methoden aus der Satire, die man bei Zwischenrufen gut verwenden kann. Zum Beispiel in das Gegenteil verkehren. Oder man muss das, was jemand sagt, auf die Spitze treiben.

Wie funktioniert das?

MERZ: Zum Beispiel die Gegenprobe: Die SPD sagt, sie möchte, dass alle gut leben. Und dann sagen Sie: Und die CDU möchte, dass alle Menschen schlechter leben. Da kann man das Phrasenhafte einer Aussage relativ einfach kenntlich machen.

Es wäre ja aber schade, wenn jetzt manche im Landtag Angst hätten, überhaupt noch frei zu reden. Besteht da die Gefahr?

MERZ: Nein, nein. Ich denke nicht, dass wegen meiner Beobachtungen auf die freie Rede verzichtet wird. Die Kolleginnen und Kollegen reden mit Manuskript, ausschließlich frei oder mit Stichworten. Das bleibt auch so.

Wobei ja auch ein Manuskript nicht vor schiefen Bildern schützt.

MERZ: Nein. Ein paar von meinen Lieblingen sind aus Manuskripten.

Welche sind das?

MERZ: Zum Beispiel: „Was heute Gegenwart ist, darf in der Zukunft nicht Vergangenheit sein.“ Da habe ich lange drüber nachgedacht. Und die SPD-Stadtverordneten in Wiesbaden teilten mit, „dass Fäkalien im Schwimmbecken nicht auf die leichte Schulter genommen werden“. Großartig.

Noch weitere?

MERZ: Da gibt es noch einige in meinem Buch. Aber es geht mir ja auch um Stereotype. Zum Beispiel „breit aufgestellt“. Und dass ununterbrochen „schallende Ohrfeigen“ ausgeteilt werden. Das habe ich über Jahre beobachtet und dann unserer Pressestelle gesagt, das möchten sie doch besser lassen. Seitdem sind schallende Ohrfeigen in Pressemitteilungen der SPD-Landtagsfraktion verboten.

Sie stören sich auch an der „Augenhöhe“. Warum?

MERZ: Es stört mich, dass mittlerweile jeder Depp diese Redewendung verwendet. Und dass sie ununterbrochen in unpassenden Zusammenhängen verwendet wird. Zum Beispiel vom Landtagsabgeordneten der Grünen, Marcus Bocklet: „Wir müssen die Augenhöhe der Quantität und der Qualität in der Kinderbetreuung herstellen.“ Das ist natürlich vollkommener Wortbrei. Das ist der Punkt. Viele dieser Bilder waren ursprünglich kräftig und unverbraucht, aber sie nutzen sich ab. Und werden in Kontexte übertragen, wo sie einfach nur noch schräg, aufgeblasen und blöd sind.

„Querdenker“ mögen Sie auch nicht.

MERZ: Daran verzweifele ich auch. Weil ich mich immer frage, was eigentlich so erstrebenswert daran ist, quer zu denken, wenn es doch nur darauf ankommt, vernünftig geradeaus und logisch zu denken. Und da haben wir noch nichts über Zeitungsüberschriften gesagt.

Möchten Sie etwas zu Zeitungsüberschriften sagen?

MERZ: Da gibt es einiges. Zum Beispiel: „Windräder schwimmen sich frei“. Oder „Bei Akkus ist noch Luft nach oben“ und „Kommunen ertrinken in Schwimmbädern“. Das ist in mehrfacher Hinsicht schräg und komisch. Das muss man auch erst mal hinkriegen. Wenn man viel schreibt und redet, dann ist die Gefahr, dass man mal sprachlichen Unsinn produziert natürlich höher.

Ihr Buch trägt den Untertitel „Vom Rubikon nach Waterloo“. Was läuft falsch mit Städtenamen und geographischen Bezeichnungen?

MERZ: Da ist jede Niederlage gleich ein Waterloo. Aber das schönste war die Befürchtung, dass „Dresden zum Mekka der Islamophoben werden soll“. Darauf muss man erstmal kommen. Und es war völlig unironisch gemeint!

Nach zehn Jahren im Landtag kandidieren Sie in diesem Jahr nicht mehr. Da fällt ja eine wichtige Quelle für weitere Bücher weg. Oder sitzen Sie dann auf der Zuschauertribüne im Landtag und schreiben mit?

MERZ: Mal sehen...Vielleicht gucke ich mir ab und zu mal eine Debatte im Fernsehen an. Aber ich bin relativ zuversichtlich, dass ich bis zum Ende dieser Legislaturperiode im Sommer bei 2000 Einträgen auf meiner Liste gekommen sein werde. Und ich habe ja noch die Liste mit den Plastikwörtern wie „evidenzbasiert“. Das Material für weitere Bücher geht mir nicht aus.

Auch interessant

Kommentare