Staatsanwalt ermittelt gegen Hessens LKA-Chefin: Sie soll einen Richter belogen haben

„Gerade in der Polizei ist man dem Bürger gegenüber besonders verpflichtet, dass die Polizeibeamten sich auch intern rechtstreu verhalten.“ O-Ton Sabine Thurau im März 2010, da war sie gerade zur Präsidentin des Landeskriminalamts (LKA) in Wiesbaden aufgestiegen. Hessens ranghöchste Kriminalbeamtin, Mitte fünfzig, verheiratet, Mutter von drei Kinden, Juristin, Polizistin von der Pike auf – die Frau, die so schön reden kann über Recht und Gesetz: Ist sie eine Gesetzesbrecherin? Eine Lügnerin? Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat jetzt ein Ermittlungsverfahren gegen die Frau eingeleitet. Der Vorwurf: Verdacht auf uneidliche Falschaussage vor Gericht. Im Klartext: Sabine Thurau soll einen Richter angelogen haben. Wenn sich dieser Vorwurf bewahrheitet, drohen ihr bis zu fünf Jahre Haft. Schon fordert die Opposition in Wiesbaden, dass sie umgehend vom Dienst zu suspendieren sei. Innenminister Boris Rhein wiegelt ab – noch. „Solange nichts bewiesen ist, gilt für Frau Thurau die Unschuldsvermutung“, sagte er gestern. Und er sagte auch, sie leiste „untadelige Arbeit“.
„Gerade in der Polizei ist man dem Bürger gegenüber besonders verpflichtet, dass die Polizeibeamten sich auch intern rechtstreu verhalten.“ O-Ton Sabine Thurau im März 2010, da war sie gerade zur Präsidentin des Landeskriminalamts (LKA) in Wiesbaden aufgestiegen. Hessens ranghöchste Kriminalbeamtin, Mitte fünfzig, verheiratet, Mutter von drei Kinden, Juristin, Polizistin von der Pike auf – die Frau, die so schön reden kann über Recht und Gesetz: Ist sie eine Gesetzesbrecherin? Eine Lügnerin? Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat jetzt ein Ermittlungsverfahren gegen die Frau eingeleitet. Der Vorwurf: Verdacht auf uneidliche Falschaussage vor Gericht. Im Klartext: Sabine Thurau soll einen Richter angelogen haben. Wenn sich dieser Vorwurf bewahrheitet, drohen ihr bis zu fünf Jahre Haft. Schon fordert die Opposition in Wiesbaden, dass sie umgehend vom Dienst zu suspendieren sei. Innenminister Boris Rhein wiegelt ab – noch. „Solange nichts bewiesen ist, gilt für Frau Thurau die Unschuldsvermutung“, sagte er gestern. Und er sagte auch, sie leiste „untadelige Arbeit“.
Aufruf zum Denunziantentum
Wenn er sich da nur nicht irrt! Die „Polizeiakte Sabine Thurau“ enthält inzwischen jede Menge brisante Dokumente, die größte Explosionsgefahr bedeuten. Unterlagen, die dieser Zeitung vorliegen, lassen nur den Schluss zu: Sabine Thurau ist über ein System bei der Polizei gestolpert, das sie – Ironie der Geschichte – in den letzten Jahren selbst aufgebaut hat. Sie verlasse sich auf Denunzianten und Intriganten, sie baue auf Gerüchte und Flurfunk – das hatten leitende Polizeibeamte wiederholt, auch öffentlich, beklagt. Nichts geschah. Das Innenministerium griff nicht ein. Das war der Nährboden für einen Polizei-Skandal, der einige Jahre zurückliegt, aber bis in die heutige Zeit hinein reicht – und der den wahren Hintergrund bildet für das Ermittlungsverfahren gegen die LKA-Chefin: Jochen Zahn, heute 54 Jahre alt, leitete damals in Frankfurt die Personenfahndung. Ein erfahrener, angesehener Top-Kriminalist. Heute klagt er gegen die Frankfurter Polizei auf Schmerzensgeld, weil er fast drei Jahre lang vom Dienst suspendiert war – völlig zu Unrecht, wie die Ermittlungen inzwischen ergeben haben. Sabine Thurau kam 2005 als Vizepräsidentin nach Frankfurt. Forsch verkündete sie, aufräumen zu wollen: Sie wolle Missstände beseitigen und „den Sumpf austrocknen“. Wer von Dienstvergehen wisse, sagte sie, solle sich jederzeit an sie wenden, gerne auch vertraulich. Viele verstanden das als Aufruf zum Denunziantentum.
Eine Art Kronzeugenregelung
Am 10. März 2006 kamen drei Personenfahnder in ihr Büro. Sie legten angebliches „Beweismaterial“ gegen ihren Chef Jochen Zahn vor, das sie heimlich aus seinem Schreibtisch entwendet und fotokopiert hatten. Zahn soll ohne Erlaubnis Dienstwagen benutzt, sich mit dem Dienstausweis Eintritt zur Eintracht verschafft haben . . . Sabine Thurau brauchte keine zwei Wochen, um den Mann aus dem Weg zu räumen. Zahn bekam Hausverbot, Waffe und Dienstmarke wurden ihm abgenommen, und Frau Thurau verkündete öffentlich, sie wolle den Mann nie wieder sehen. Nur wenige Wochen später steckten ihr die Spitzel-Beamten neue Unterlagen zu: Danach sollen sich zwei Kollegen von Zahn auf einer Reise nach Brasilien, wo sie eine Betrügerin abholen mussten, auf Staatskosten vergnügt haben, auch seien sie mit dem Mietwagen herumgefahren . . . Wieder war Sabine Thurau flott bei der Sache: Im Mai 2006 leitete sie ein Verfahren wegen Untreue gegen die Beamten ein. Auf den sofortigen Rausschmiss verzichtete sie diesmal – offenbar mit Kalkül: In Vier-Augen-Gesprächen soll sie den Beamten eine Art „Kronzeugenregelung“ angeboten haben – Bedingung: Sie müssten gegen ihren Chef Zahn aussagen. Die Männer lehnten ab. Die Folge: Sie wurden versetzt, und natürlich liefen die Verfahren gegen sie weiter. Zu dieser Zeit brodelte es heftig bei der Polizei – Auslöser: Thuraus rigoroses Vorgehen gegen altgediente Beamte. Ein Rechtsanwalt schrieb am 16. Juli 2007 an Innenminister Volker Bouffier: „In der hessischen Polizei herrscht ein Klima der Einschüchterung und Angst einhergehend mit sozialer Kälte.“ Als Auslöser nennt er mehrfach den Namen von Frau Thurau. Der Innenminister wies die Vorwürfe umgehend zurück. Zwei Jahre später, wir haben den 15. September 2009: Im Frankfurter Gericht wird gegen einen der Brasilien-Fahnder verhandelt. Sabine Thurau ist als Zeugin geladen. Laut Protokoll sagt sie: „Wegen einer Kronzeugenregelung habe ich nichts gemacht.“ Ihr Problem jetzt: Nicht nur die beiden Beamten behaupten das Gegenteil. Als Zeuge wird auch Generalstaatsanwalt a. D. Dr. Christoph Schaefer genannt, der mit Frau Thurau über das Verfahren gegen die Fahnder gesprochen haben will. Seine Aussage, das ist sicher, hat Gewicht! In dem Prozess soll Sabine Thurau auch gesagt haben, sie wisse von Vorwürfen gegen Jochen Zahn erst seit dem 10. März 2006 – seit jenem Tag also, an dem die Spitzel in ihr Büro kamen. Aber: Aus etlichen Dokumenten, die der Polizeiführung heute vorliegen, geht hervor, dass Frau Thurau schon vorher von den Vorwürfen gewusst haben muss.
Das Ende des Spitzelwesens?
Und schließlich soll Frau Thurau vor Gericht gesagt haben, sie habe als Vizepräsidentin „keinerlei Kontakte“ mit dem Landeskriminalamt gehabt, wo die Vorwürfe gegen Jochen Zahn objektiv untersucht und bewertet werden sollten. Inzwischen aber sind Akten aufgetaucht, die belegen: Sabine Thurau hat wiederholt mit den ermittelnden LKA-Beamten über den Fall Zahn gesprochen. Der Verdacht: Hat sie versucht, auf das Verfahren Einfluss zu nehmen? Immerhin: Man traf sich mehrmals, tauschte sogar nach Dienst im Brauhaus Kastel beim Bier Infos und Unterlagen aus. All das ist dokumentiert, lückenlos. Hat Sabine Thurau wirklich geglaubt, die Wahrheit könne verborgen bleiben? Leitende Polizeiführer sagen heute, die Frau muss sich auf der sicheren Seite gewähnt haben, vor allem, nachdem der bisherige Innenminister Volker Bouffier kurz vor seinem Wechsel in die Staatskanzlei die Karriere der Frau mit dem Präsidentenamt beim LKA krönte. Jetzt ist Bouffier weg – und nichts ist mehr so wie es war. Sein Nachfolger Boris Rhein will – das hat er zumindest versprochen –, dass eine neue Führungskultur bei der Polizei ihren Einzug hält. Das thurausche Spitzel-Unwesen – es dürfte kaum in sein Konzept passen, es gehört wohl auch nicht mehr in diese Zeit. Die Frau hätte gewarnt sein müssen – sagen Beamte, die ihren Werdegang aus der Nähe verfolgen. Ihr langjähriger Protegé, Hessens Polizeipräsident Norbert Nedela, zeigt ihr seit Wochen die kalte Schulter. Dabei waren die beiden früher so dicke! Mit Vergnügen wird in Polizeikreisen die Geschichte erzählt, die Thuraus Tochter mal ganz unbedarft auf einer Veranstaltung ausplauderte: „Der einzige, der bei uns zu Hause rauchen darf, ist Onkel Norbert.“ Vorbei, heißt es heute, ist diese Freundschaft. Und wie auch immer die Lügen-Vorwürfe ausgehen: Sabine Thurau, die ganz oben angekommen schien, ist schon ganz schön tief gefallen.