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Tarek Al-Wazir: „Mein Ziel sind nicht Fahrverbote, sondern saubere Luft“

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Die stellvertretende Politik-Chefin Christiane Warnecke, Minister Al-Wazir und Chefredakteur Matthias Thieme im Gespräch.
Die stellvertretende Politik-Chefin Christiane Warnecke, Minister Al-Wazir und Chefredakteur Matthias Thieme im Gespräch. © Salome Roessler

Tarek Al-Wazir gilt als Schlüsselfigur für den Erfolg der hessischen Grünen als Regierungspartei. Doch der Flughafenausbaugegner hat als Wirtschafts- und Verkehrsminister die denkbar schwierigste Aufgabe übernommen. Über die Angst der Grünen vor einem Machtverlust und die Wut, die ihm von der Basis entgegen schlägt, sprachen Chefredakteur Matthias Thieme und die stellvertretende Politikchefin Christiane Warnecke mit ihm.

Sie sind der beliebteste Politiker Hessens – was hat der Ministerpräsident falsch gemacht?

TAREK AL-WAZIR: Ich freue mich natürlich über meine guten Werte in den Umfragen. Ich empfinde sie als Bestätigung für jahrelange Sacharbeit. Die Leute finden es offensichtlich richtig, was ich als Verkehrsminister mache. Über andere möchte ich nicht urteilen. (grinst)

Nicht nur Sie selbst, auch ihre Partei schneidet in Umfragen gut ab, ganz im Gegensatz zur hessischen CDU. Haben Sie die CDU weichgewaschen?

AL-WAZIR: Das sicher nicht. Ein Teil des Problems der CDU ist das Erscheinungsbild der großen Koalition im Bund. Die Groko versagt vollständig bei der Verteidigung unserer Demokratie: Statt den Rechtspopulisten eine in Stil und Inhalt überzeugende Politik gegenüberzustellen, liefern Union und SPD in Berlin eine Politik zum Abgewöhnen. Das schlägt zurück auf die Vertreter von CDU, aber auch SPD in Hessen.

Was könnte die CDU von den Grünen lernen?

AL-WAZIR: Die guten Umfrageergebnisse der hessischen Grünen haben viel mit unserer Arbeit der letzten Jahre zu tun. Wir werden als Stimme der Vernunft wahrgenommen. Als Partei, die klare inhaltliche Ziele hat und im Stil verbindlich ist. Unser Ziel ist schon lange eine bessere politische Kultur; und gerade, wenn unsere freiheitliche Gesellschaft von rechts attackiert wird, müsste man erst recht zeigen, dass die Demokraten zusammenarbeiten können. Das klappt in Berlin leider gar nicht.

Sie haben als Verkehrsminister und Flughafenausbaugegner eine schwierige Rolle. FDP-Chef Christian Lindner meint, Sie hassen Ihren Job. Stimmt das?

AL-WAZIR: Ach, Herr Lindner (schmunzelt). Er hat ja auch den Satz gesagt, er müsse mich von einer Last befreien. Ich fühle mich aber nicht belastet. Verantwortung zu übernehmen ist manchmal anstrengend, aber es ist keine Last. Wenn sich Herr Lindner Regieren nur als Last vorstellen kann, ist das vielleicht der Grund dafür, warum er weggerannt ist am Ende von Jamaika. Ich mag es, etwas zu verändern. Und dazu muss man Verantwortung übernehmen.

Gemeint war damit eine gewisse Entfernung zu Ihrer Basis. Haben Sie viele Anhänger aus dem Lager der Flughafengegner verloren auf Ihrem Weg zum geschätzten Partner der Fraport?

AL-WAZIR: Wir waren nie Flughafengegner, sondern Flughafenausbaugegner. Wir waren die einzige Partei, die im Landtag gegen den Ausbau gekämpft hat. Als ich das Verkehrsministerium übernommen habe, waren aber alle rechtlichen Weichen für den Ausbau schon gestellt und die Nordwestbahn schon in Betrieb. Ich muss mit den Auswirkungen der von anderen getroffenen Entscheidungen umgehen und drehe nun an jedem kleinen Schräubchen zur Lärmreduzierung. So habe ich auch große Dinge in Bewegung gesetzt wie die Lärmobergrenze und die Lärmpausen.

Ihre Verdienste in Sachen Fluglärm reichen vielen Menschen nicht. Sie werden eher als symbolisch wahrgenommen, denn als echte Verbesserung.

AL-WAZIR: Die Verbesserungen sind ganz praktisch spürbar. Ich wohne ja in Offenbach, deshalb kenne ich mich seit meiner Geburt mit Fluglärm aus. Wenn beispielsweise der Anflugwinkel auf die Nordwestbahn von 3,2 Grad in den Regelbetrieb übernommen wird, nehme ich bei mir zu Hause in Offenbach eine Entlastung wahr. Oder nehmen Sie die Nachrüstung der Wirbelgeneratoren an den Flugzeugen: Ich kann Ihnen sagen, ob das ein umgerüsteter A 320 von Lufthansa ist oder einer von Easyjet, der noch pfeift.

Von der Basis kommen aber Vorwürfe, Sie hätten als Verkehrsminister Ihre grüne Seele verkauft.

AL-WAZIR: Alle, die seit langem an Fluglärmreduktion arbeiten, sagen, dass sich noch nie eine Regierung so sehr um Verbesserungen gekümmert hat. Aber klar, wenn jemand gehofft hat, dass die Nordwestbahn wieder verschwindet, dann ist das nicht möglich. Jetzt geht es darum, die Auswirkungen zu begrenzen. Ich wusste, dass dieses Thema der härteste Brocken für uns wird. Und gerade deswegen wollte ich das Verkehrsministerium selbst übernehmen.

Wie viel Ärger schlägt Ihnen denn von der Basis entgegen?

AL-WAZIR: Die Menschen sehen schon, dass ich einiges bewegt habe. Die vielen Verspätungslandungen in diesem Sommer steigern aber die Wut mancher Menschen, die ich dann abbekomme. Unsere Interventionen gegen die Verursacher wie Ryanair und Laudamotion waren so hart wie noch nie, und sie wirken auch schon. Nach 200 Verspätungslandungen im Juni waren es im August nur noch 120 und Mitte September 35.

Anfangs haben Sie mit einer Änderung der Betriebsgenehmigung gedroht. Ist das vom Tisch?

AL-WAZIR: Nein, der Druck muss hoch bleiben.

Freut es eigentlich einen grünen Minister, wenn das komplette Frankfurter Stadtgebiet für 40 Prozent aller Dieselfahrzeuge gesperrt wird?

AL-WAZIR: Nein, mein politisches Ziel sind ja nicht Fahrverbote, sondern saubere Luft.

Dabei werfen Sie der Stadt Frankfurt Untätigkeit vor ...

AL-WAZIR: Ja, die Verantwortlichen in Frankfurt haben zu lange zu wenig gemacht. Wenn die Stadt Offenbach aus dem Fördertopf des Bundes über acht Millionen beantragt, Frankfurt – das sechs Mal so groß ist – aber noch nicht einmal fünf Millionen, dann sieht man, dass der Elan unterschiedlich ausgeprägt ist. Zur Wahrheit gehört aber auch: Selbst bei größtmöglichem Elan der Stadt Frankfurt wären die Grenzwerte ohne Hardware-Nachrüstungen nicht in der vom Gericht geforderten Frist zu erreichen.

Warum zeigte Frankfurts Verkehrsdezernent Oesterling so wenig Elan?

AL-WAZIR: Tja. Wir helfen bei der Antragstellung und bieten Förderprogramme an. Aber die Anträge stellen müssen die Kommunen schon selbst.

Hätten die Grünen im Römer nicht mehr Druck machen können?

AL-WAZIR: Es ist Verwaltungshandeln, zum Beispiel technische Details an der Busflotte in Frankfurt zu verbessern. Das muss schon der Dezernent leisten.

Eigentlich wollen die Grünen ja am liebsten, dass niemand mit dem Auto in die Stadt fährt. Der ÖPNV platzt aber aus allen Nähten. Haben Sie in den letzten fünf Jahren zu wenig in die Infrastruktur investiert?

AL-WAZIR: In diesen fünf Jahren ist so viel passiert wie in den 20 Jahren vorher nicht: Schülerticket, Jobticket für Landesbeschäftigte, Rekordbeträge für die Verkehrsverbünde, die X-Bus-Linien, Förderung für E-Busse, Fahrpreissenkungen in Frankfurt, um nur einige Beispiele zu nennen. Wir wollen den Zugang zu Bussen und Bahnen so einfach wie möglich machen.

Doch die Verspätungen häufen sich.

AL-WAZIR: Wir hoffen, dass die Verspätungen bald zurückgehen, weil das Stellwerk im S-Bahntunnel jetzt fertig ist. Außerdem sind viele wichtige Schienenprojekte endlich konkret in der Planfeststellung oder schon im Bau, über die vorher 20, 30 Jahre lang nur geredet wurde. Ich habe Druck gemacht, dass die Umsetzung schneller geht.

Bremst Ihr Koalitionspartner manchmal bei Schienenprojekten?

AL-WAZIR: Nein. Dagegen ist immer nur die FDP – ob in Bad Homburg, Darmstadt oder Wiesbaden, wo immer es um Schienen geht, die FDP ist immer dagegen.

Vielleicht müssen Sie bald mit den Liberalen zusammen regieren. Könnten Sie überhaupt zusammenfinden?

AL-WAZIR: Das wäre schwierig. An vielen inhaltlichen Punkten trennt uns ziemlich viel. Das ist in den letzten Jahren auch nicht einfacher geworden, weil die Grünen inzwischen der Hauptgegner der FDP zu sein scheinen. Ein Regierungsbündnis mit der FDP würde nicht so einfach funktionieren. Und die ganz große Gefahr am 28. Oktober ist, dass wir eine lähmende große Koalition bekommen, wie sie schon in Berlin Chaos verbreitet. Wir Grüne sind das Gegenmittel zur großen Koalition.

Wie groß ist noch die einstige Grundverbundenheit mit der SPD?

AL-WAZIR: Wir haben kollegiale Kontakte, auch wenn wir natürlich unterschiedliche Rollen haben. Was mich manchmal ärgert ist: Wenn wir mit der CDU regieren, rufen die Sozialdemokraten „Verrat“, wenn sie mit der CDU regieren, nennen sie es staatspolitische Verantwortung. Im Wahlkampf gilt: Jeder kämpft für sich.

Die derzeitige Schwäche der CDU bringt Ihre Regierungsmehrheit ins Wanken. Wie könnte die CDU das Ruder noch herumreißen?

AL-WAZIR: Ich bin weder der Berater der hessischen SPD noch der CDU. (lacht)

Sie haben sehr viele Projekte genannt, die Sie in Ihrer gemeinsamen Regierungszeit durchgesetzt haben. Hat die CDU auch etwas bewegt?

AL-WAZIR: Na ja, (schmunzelt) wir als Grüne hatten den Vorteil, dass alles, was neu war, erst einmal auf unser Haben-Konto ging. Vieles ist aber nur in guter Zusammenarbeit mit der CDU gelungen, wie der Aktionsplan zur Integration der Flüchtlinge. Der trägt eine grüne, eine schwarze und eine gemeinsame Handschrift.

Verliert die CDU so viel rechte Wählerschaft an die AfD, weil Sie mit Ihnen zusammen regiert?

AL-WAZIR: Überhaupt nicht. Die CSU in Bayern gibt das Gegenbild zur Hessen-CDU ab und steht viel schlechter da.

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