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Unter Bäumen Empathie lernen

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Alle reden von der Gratis-Kita, doch was wird in hessischen Kindergärten eigentlich an pädagogischen Inhalten vermittelt? Eine neue Serie stellt fünf verschiedene pädagogische Konzepte vor. Diesmal geht es um den Wiesbadener Waldkindergarten „Zappelphilipp“, in dem Kinder neue Erfahrungen machen, Gegenstände benennen und die Vergänglichkeit der Natur erfahren.

Als wir von der Kita in den Wald einbiegen, stürzt der fünfjährige Bela sich gleich mit einem Stock auf die am Wegesrand liegenden Schneeklumpen. Der zweijährige Iliyas will mitmachen, beide bohren mit Stöcken in den Klumpen herum, bis diese auseinanderfallen. Dann gibt es eine Schneeballschlacht, wobei Erzieherin Heide Schleider (62) an die Kinder appelliert, nicht ins Gesicht zu werfen.

Inzwischen sind wir angekommen an einem der fünf Plätze, die die 13 Kinder vom Zappelphilipp e.V. in ihrem Wald für sich nutzen. Heute sind einige krank zu Hause geblieben, der Kindergarten zählt sonst 17 Kinder zwischen zwei und sechs Jahren.

Eine Hütte aus Ästen

Bei dem Platz handelt es sich um eine Lichtung zwischen den Bäumen und Büschen, auf die einige der Kleinen dann ganz flugs und geräuschlos klettern. Eine Art Hütte haben die Erzieherinnen mit den Kindern dort gebaut, aus dicken und dünneren langen Ästen und Zweigen. Eine ausgehöhlte Baumrinde dient als Kugelbahn für den mitgebrachten Flummi.

Dann liest Erzieherin Ulrike Franken (56) den Kindern eine Geschichte von der „Kleinen Hexe“ vor. Viele nehmen auf einem am Boden liegenden Ast Platz, um sie zu hören.

Die Zeit im Wald vergeht wie im Flug. Die Sonne zeigt sich zwischen den Wolken an diesem Wintertag. „Hier im Wald ist alles vergänglich, da steht die Hütte mal eine Weile, dann wirft der Wind die Äste um, oder das Holz wird morsch. Alles das lernen die Kinder hier“, sagt Franken. Seit 1990 arbeitet sie hier, täglich draußen im Wald, mit Kindern um und aus Wiesbaden. Ab und zu tote Kröten, Vögel und Fledermäuse zu finden und allerlei Getier wie Asseln, Spinnen oder Regenwürmer zu beobachten sei Alltag für die Kinder aus dem Waldkindergarten.

Suche nach Schnecken

„Felix war jeden Tag auf Schneckensuche“, erinnert sich Franken an den Herbst. Den Umgang mit Tieren erlebten die Kinder hier fast jeden Tag und lernten, sich in andere Lebewesen einzufühlen. „Zum Beispiel ist da die Baby-Assel, die zu ihrer Mutter will.“ Auch ein junger Fuchs sei im Sommer mal ganz nah an ihren Rastplatz rangekommen. „Da hatten die Kinder teilweise Angst, waren aber auch fasziniert. Wir haben uns natürlich Sorgen gemacht, er könnte irgendwie krank sein“, erzählt Heide Schleider. Auch Wildschweine habe man schon gesehen, aus der Ferne, meint Franken.

Heute haben wir nicht das Glück, Tiere zu betrachten. Dafür aber ist im Waldkindergarten die Zeit des geheimnisvollen Pucks angebrochen. „So groß wie deine Hand, ich komme aus dem Kobold-Land“, reimt Schleider. Der Wicht lebt versteckt im Wald und wählt jeden Tag ein neues Kind aus, dem er etwas schenkt. Schon bald singen drei Mädchen im Chor „Lotte ist das Sternenkind“. Sie hat einen Stern auf ihrem Anorak - das zeigt, dass Puck heute ihr etwas geschenkt hat. Nämlich einen kleinen Stein, in dem grau-blaue Kristalle glitzern.

Manche Hosen sind schon ganz schön voll Matsch, die Kinder sind aber mit warmen Skihosen und Ganzkörperanzügen für Regen- oder Schneeschauer gerüstet. Schleider liest eine Geschichte vor, erst auf Deutsch, dann auf Englisch für die kleine Hannah, die noch kein Deutsch kann. Und dann gibt es ein Rätsel: „Was landet auf deiner Nas’, zergeht sofort, was ist denn das?“ fragt Erzieherin Heide Schleider. „Eine Schneeflocke“, antworten Lucia und Lotte fast zeitgleich. Dann erklärt Heide das Wort „zergehen“, das so eine ähnliche Bedeutung habe wie „schmelzen“.

„Die Kinder lernen hier sehr ausgeprägt, mit Sprache umzugehen“, erklärt Franken. „Denn ob der Stock für sie jetzt eine Bratwurst oder ein Staubsauger ist – alles, was sie im Wald finden, muss erstmal definiert werden, und dazu müssen sie sehr viel kommunizieren. Viele unserer Kinder fallen später in der Schule auf, weil sie so ausgeprägt mit Sprache umgehen können.“

Die beiden Erzieherinnen rufen ihre Kinder langsam zum Rückmarsch auf. Antons Brille ist schmutzig geworden. Heide putzt sie für ihn. Dann stellt Anton fest, dass ihm ein Handschuh fehlt. „Den suchen wir nachher, wenn wir noch mal rausgehen“, ermutigt ihn Schleider. Denn der Tag draußen ist nur für die Kleinsten nach dem Mittagessen in den Räumlichkeiten im Langendellschlag in Wiesbaden-Dotzheim zu Ende. Die Großen gehen nachmittags noch einmal zwei Stunden raus.

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