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Ein Vater läuft 516 Kilometer, um seinen Sohn zu sehen

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Von: Michelle Spillner

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Mario Flaschentraeger ist 15 Tage zu Fuß durch halb Deutschland unterwegs, weil er seinen Sohn seit fünf Jahren nicht gesehen hat, und weil sich das ändern soll.

Mario Flaschentraeger (58 Jahre) vermisst seinen Sohn. Als er ihn zum letzten Mal sah, war der Junge elf Jahre alt. Jetzt hat der Sohn gerade seinen 16. Geburtstag gefeiert, ohne seinen Vater, in Stade. Flaschentraeger vermisst seinen Sohn so sehr, dass er am 8. Mai in seinem Haus in Sinntal-Mottgers seinen Rucksack gepackt und geschultert hat, die beiden Hunde Enzo und Toffee an die Leine nahm und einfach loslief. 516 Kilometer von Osthessen bis ins Niedersächsische Stade. Dort will er am kommenden Dienstag, zwei Tage vor Vatertag, beim Amtsgericht einen Antrag auf Aufhebung der bestehenden Entscheidungen hinsichtlich seines Umgangs- und Sorgerechtes einreichen.

Und nicht nur das: „Ich laufe 516 Kilometer zu meinem Sohn, um ein Zeichen zu setzen, ein Zeichen für alle Väter, denen zu Unrecht der Umgang mit ihren Kindern versagt wird. Ein Zeichen, das aufmerksam machen soll auf die entrechteten Väter und die entrechteten Kinder. Und ein Zeichen für meinen Sohn, der vielleicht irgendwann von irgendjemandem von meinem Protestmarsch zu ihm erfahren wird, und der dann sehen wird, dass es nicht stimmt, dass ich mich nicht gekümmert habe, dass es nicht stimmt, dass ich nicht versucht habe, ihn zu erreichen.“

Kein Umgangsrecht

Dass Mario Flaschentraeger seinen Sohn am Dienstag in Stade sehen wird, ist ziemlich ausgeschlossen. Seitdem seine ehemalige Lebensgefährtin ihn gemeinsam mit dem Sohn verlassen hat, einfach weg war, als er wieder nach Hause kam, einfach über Nacht zu einem anderen gezogen sei, seitdem gibt es keinen Kontakt, keine Briefe, keine Telefonate und schon gar keine Treffen.

Die Mutter hat Flaschentraeger nur vor Gericht gesehen, ein halbes Dutzend Verhandlungen. Mario Flaschentraeger hat den Sorgerechtsstreit verloren und auch kein Umgangsrecht. Wenn der Vater mit dem Kind „umgehe“, dann schade das dem Kindeswohl, hieß es vor Gericht. Die Vorwürfe gegen Flaschentraeger wiegen schwer: „Es heißt, ich lauere Kindern auf, ich hätte meine Frau mit einem Baseballschläger bedroht, ich sei alkoholsüchtig, soll meinen Sohn auf der Straße ausgesetzt haben...“, zählt Flaschentraeger einige Punkte auf. Nichts davon sei wahr. Keine dieser Aussagen sei belegt worden, aber am Ende führten diese Behauptungen der Mutter zu der Entscheidung gegen den Vater. In Sorgerechtsstreitigkeiten könne alles Mögliche behauptet werden. Es gibt keine Vereidigung. Deshalb werde mit Dreck geworfen. Der Beschuldigte könne nur gegenhalten, dass Vorwürfe nicht stimmten. Aber wie solle er das Gegenteil beweisen? Und am Ende bleibe von allen Vorwürfen, von all dem Dreck etwas hängen und wirke sich auf Entscheidungen aus. Meistens zögen die Väter den Kürzeren. So wie ihm gehe es Tausenden von Vätern in Deutschland. Mütter wollten mit dem Ex nichts mehr zu tun haben und zögen alle Register, um das zu erreichen. Auch die Kinder seien die Leidtragenden.

„Die meisten Väter geben irgendwann auf. Ich aber nicht“, sagt Flaschentraeger. 2000 Seiten hat er in fünf Jahren vollgeschrieben, hat den Richtern die Gesetze erklärt, 30 Richter beschäftigt, Absurditäten hergeleitet, den „Terror durch Gerichte“ dokumentiert, neun Aktenordner gefüllt. Und jetzt läuft er. Die Gesetze seien ja gar nicht schlecht, aber die Handhabung und Umsetzung, das sei das Problem. So ist es zum Beispiel dem anwesenden Elternteil, in diesem Fall der Mutter, untersagt, beim Kind das abwesende Elternteil, also hier den Vater, zu diskreditieren, also Schlechtes über ihn zu sagen, und das Kind dadurch dem abwesenden Elternteil zu entfremden.

„Wer sich daran nicht hält, dem kann das Sorgerecht entzogen werden, und es kann ein Bußgeld in Höhe von 15 000 Euro ausgesprochen werden. Das ist in Deutschland noch nie umgesetzt worden“, schildert Flaschentraeger ein Beispiel. Wer ihn ein Stück seines Weges begleitet, der erfährt noch mehr: „2015 hat schließlich mein Sohn selbst gesagt, dass er nichts mehr mit mir zu tun haben will“, bedauert Flaschentraeger. Für den Vater ein klarer Fall. Wenn Mütter schlecht über den Vater redeten, was solle das Kind dann denken und sagen?

Grenzenlose Empörung

Methoden und Vorgehensweisen, mit denen Gerichte zu Urteilen in Sorgerechtsverfahren kommen, hält Flaschentraeger für hoch fragwürdig. Kennen Sie ,Familie mit Tieren’?“, fragt er und beschreibt das Verfahren aus den 50er Jahren: Da malt das Kind Tiere, ein Psychologe ordnet die Tiere den Familienmitgliedern zu und zieht daraus Rückschlüsse darauf, wie es dem Kind in der Familie geht. „Welches Tier ich war? Keine Ahnung, ich glaube, ein Wurm“, sagt Flaschentraeger. Das sei doch Unsinn.

Die kindliche Phantasie sei geprägt von Momenten. „Wenn das Kind vorher Daktari gesehen hat, ist der Vater ein schielender Löwe, und wenn es Biene Maja gesehen hat, dann ist er Willi, die dicke Biene, oder Flip, der Grashüpfer, oder Thekla, die Spinne ...“ Auf dieser Basis könne man doch keine Entscheidungen treffen. Mario Flaschentraegers Empörung ist grenzenlos. Er kann gar nicht so viel laufen, wie er gerne schimpfen würde. Gestern kam Mario Flaschentraeger aus Soltau. Heute morgen ist er in Buchholz aufgewacht, und heute Abend will er in Buxtehude sein. 150 Kilometer hat er noch vor sich, 30 bis 50 Kilometer läuft er am Tag mit dem Smartphone in der Hand, geleitet von einem Navigationsprogramm, oft mitten durchs Feld. „Das ist Quälerei, ich hätte nicht gedacht, dass es so hart wird“, sagt er.

Die Übernachtungsmöglichkeiten sucht er sich unterwegs, auch privat ist er schon untergekommen, bei Wildfremden, die ihm eine Unterkunft anboten. Mit vielen ist er ins Gespräch gekommen. Viele hat er gesprochen, die etwas Ähnliches erlebt haben. Die Gemeinde, die ihm auf Facebook folgt, wird täglich größer. Sein Anwalt erwäge inzwischen eine Verfassungsbeschwerde. Vereine entrechteter Väter sähen sich gestärkt. Wenn Flaschentraeger am Dienstag in Stade beim Amtsgericht sein Päckchen abgegeben hat, wird er sich auf den Rückweg machen, aber nicht mehr zu Fuß. Am Donnerstag wird er wieder zu Hause sein. Alleine. Dann ist Vatertag.

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