Die Spur der Nazi-Polizisten führt in einen kleinen Ort - Nachbarn unter Schock

Eine Kleinstadt im Vogelsbergkreis erlebt ein Déjà-vu: Die Zeiten, in denen Kirtorf als Neonazi-Nest verschrien war, galten als überwunden. Doch nun sind drei Kirtorfer in den Strudel des Rechtsextremismus-Skandals bei der hessischen Polizei geraten.
Frankfurt/Kirdorf - Die deutsche Märchenroute führt durch Kirtorf. Ein malerisches Fachwerkstädtchen mit 3350 Einwohnern. Am Fuße des Vogelsbergs gelegen, umgeben von Feldern und Wiesen. Doch die Idylle ist trügerisch. Der Ort wurde 2004 als Treffpunkt gewaltbereiter Neonazis bekannt. Engagierte Bürger, Behörden und die Polizei setzten dem Treiben ein Ende.
Doch nun sind schon wieder Nachrichten über Rechtsextremisten in Kirtorf zu lesen und zu hören. Diesmal geht es nicht um Skinheads, die in einem umgebauten Schweinestall Hitlers Geburtstag mit judenfeindlichen Hassliedern feiern. Diesmal geht es um drei Beamte der hessischen Polizei.
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Rechtsextreme Polizisten: SS-Uniformen im Zimmer
Am Donnerstagmorgen rückte das Landeskriminalamt in Kirtorf an. Die Einsatzkräfte durchsuchten das Haus eines 44-Jährigen - zum zweiten Mal. Er und sein jüngerer Bruder sollen Anfang sollen Anfang November auf einer Kirmes in Schrecksbach mit rechtsextremistischen Äußerungen aufgefallen sein. Beide sind Polizisten, allerdings in unterschiedlichen Präsidien. Ein Mitarbeiter des Ordnungsamts meldete den Kirmes-Vorfall. Auch Tätowierungen sollen ihm verdächtig vorgekommen sein. Der ältere der beiden Polizistenbrüder soll die Zeichnung eines Soldatenfriedhofs auf der Haut tragen, heißt es aus seinem Umfeld.
Die beiden sind in Kirtorf aufgewachsen, haben dort Familien gegründet, spielen Fußball im Verein. Teil jener Neonazi-Szene, die sich bei einem ehemals kommunistischen Landwirt traf und als „Kameradschaft Berserker Kirtorf“ vom Verfassungsschutz sehr genau beobachtet wurde, sollen sie nie gewesen sein. Vermutlich hätten sie ansonsten auch kaum den Einstieg in den Polizeiberuf geschafft.

Doch als das Anwesen des älteren Bruders im Dezember zum ersten Mal durchsucht wurde, entdeckten die Ermittler dort Gruseliges: „ein museal eingerichtetes Zimmer mit diversen NS-Devotionalien“, so schreibt die Staatsanwaltschaft. „Darunter historische Wehrmachts- und SS-Uniformen, Fahnen, Plakate, Orden und Abzeichen.“ Außerdem Waffen und Munition. Als Polizeibeamter ist der 44-Jährige seitdem nicht mehr im Dienst.

Was bei der zweiten Durchsuchung am Donnerstag gefunden wurde, sagte die Staatsanwaltschaft bisher nicht. Es gibt allerdings noch einen dritten Polizisten in Kirtorf, der unter Rechtsextremismus-Verdacht steht. Doch über ihn ist im Ort wenig zu erfahren. Es soll ein Zugezogener sein, der wenig Kontakte zu Einheimischen hat. Er arbeitete in Frankfurt. Dort soll er sich an jener Nazi-Chatgruppe beteiligt haben, die den hessischen Polizeiskandal ausgelöst hat. Aufgeflogen ist sie wegen eines Drohschreibens an eine türkischstämmig Beamtin, das mit „NSU 2.0“ unterzeichnet war und Daten aus einem Polizeicomputer enthielt.

Die Wohnung dieses dritten Kirtorfer Polizisten wurde bereits Ende Oktober durchsucht. Was dabei heraus kam, verrät die Staatsanwaltschaft nicht. „Das sind laufende Ermittlungen“, heißt es stets. Wegen der inzwischen ziemlich unübersichtlichen Zahl laufender Ermittlungen gegen hessische Polizisten ist Landesinnenminister Peter Beuth (CDU) gehörig unter Druck geraten. In einer Sondersitzung des Innenausschusses warnte er am Donnerstag davor, die verschiedenen Fälle miteinander zu vermischen. Es gibt laut Ministerium bisher keinen Anhaltspunkt dafür, dass die beiden Polizisten-Brüder irgendetwas mit dem anderen Beamten aus Kirtorf und dessen Chatgruppe zu tun haben könnten.
Kirtorf: „Das sind keine Rechten“
Die Menschen in Kirtorf und im Umfeld der Brüder sind indes fassungslos, können nicht glauben, was den 35- und 44-jährigen Familienvätern vorgeworfen wird. „Ich kenne die zwei Jungs und ihre Familie. Die waren nie auffällig. Das sind keine Rechten“, sagt eine Kirtorferin. „Ich bin schockiert.“
Egal wohin man hört, überall werden die zwei Brüder als „liebe Menschen“ beschrieben, als „liebe Menschen, die verbal aber auch mal über das Ziel hinausschießen“. Ein Kirtorfer erzählt: „Klar, sagen sie auch mal ,Scheiß Kanaken‘ oder ,Raus mit dem ganzen Pack‘, das sin aber eher unüberlegte Äußerungen.“ Sie seien geprägt von ihrem Job, verzweifelten oftmals am System, wenn sie an einem Tag etwa einen afrikanischen Drogendealer festgenommen hätten, der am nächsten Tag schon wieder auf freiem Fuß sei. Als ausländerfeindlich würde sie niemand beschreiben, so der Tenor. Beim Fußball standen sie mit türkischen Spielern auf dem Platz. Als ein Flüchtling in die Mannschaft des jüngeren Beamten aufgenommen wurde, hätte er kein Problem damit gehabt.
Aufgefallen in dem Umfeld der Brüder ist allerdings, dass sich der ältere von beiden für die Zeit des Nationalsozialismus interessiert. Es heißt, dass er sich gerne und oft mit älteren Herrschaften zusammensetzt, um über den Zweiten Weltkrieg und vergangene Zeiten zu sprechen. „Er hegt eine ausgeprägte Vaterlandsliebe“, sagt eine Bekannte aus dem Umfeld.
Für die Bürger in Kirtorf sind die Ermittlungen gegen die Polizisten ein Rückschlag. „Für uns hier ist das alles ganz schlimm“, sagt eine Frau. „Jetzt werden wir hier wieder als das braune Dorf dargestellt, dabei stimmt das überhaupt nicht.“
Vielleicht kommt der neu gewählte Bürgermeister genau zur richtigen Zeit. Andreas Fey tritt im April sein Amt an. Der Sozialdemokrat ist selbst Polizist, arbeitet als Ausbilder bei der Bundespolizei in Bamberg. Nachdem die Skinhead-Konzerte im Schweinestall bekannt wurden, engagierte er sich im „Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus“. Das Bündnis werde nun wieder gebraucht, sagt Fey. „Wir wollen auf keinen Fall zulassen, dass es wieder so wird wie damals.“
Sorgen bereiten dem künftigen Bürgermeister nicht nur die drei Beamten, sondern vor allem der rechtsradikale Landwirt. Er lädt wieder Gleichgesinnte nach Kirtorf ein. Am 22. Dezember feierten sie bei ihm die Wintersonnenwende.
Anmerkung der Redaktion:
In einer ersten Version dieses Artikels hatten wir berichtet, dass auch die Wohnung des 35 Jahre alten Bruders durchsucht worden sei. Die ist falsch, es handelte sich um die Wohnung eines gleichalten Polizeibeamten in einem benachbartem Ort.