Die wichtigsten Fragen zum Strafmaß: Was droht Sanel M.?

Der Angeklagte Sanel M. soll die Studentin Tugce mit einem Schlag niedergestreckt haben. Die 22-Jährige stürzte und fiel ins Koma, aus dem sie nicht mehr erwachte. Für das Urteil ist vor allem wichtig, ob das Gericht Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht anwendet.
Der 18 Jahre alte Sanel M. muss sich seit Ende April wegen Körperverletzung mit Todesfolge vor der Jugendkammer des Landgerichts Darmstadt verantworten. Nach acht Verhandlungstagen neigt sich der Prozess dem Ende zu. Die Beweisaufnahme könnte abgeschlossen werden. Am kommenden Freitag (12. Juni) sind die Plädoyers angesetzt. Ein Urteil wird für Mitte Juni erwartet. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten mit Blick auf das mögliche Strafmaß:
Was ist der wesentliche Unterschied zwischen einem Prozess gegen einen Heranwachsenden und einem Prozess gegen einen Erwachsenen?
Bei einem Heranwachsenden – zur Tatzeit 18 bis 20 Jahre alt – muss das Gericht als wesentliche Weichenstellung zunächst entscheiden, ob es den Angeklagten noch nach Jugendstrafrecht verurteilt. Dieses unterscheidet sich deutlich vom Strafrecht für Erwachsene. Im Mittelpunkt steht die Erziehung und nicht die Bestrafung. Geregelt ist dies im Jugendgerichtsgesetz.
Wann Jugendstrafrecht?
Wann kann das Gericht Jugendstrafrecht anwenden?
Eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht ist möglich, wenn es sich um eine jugendtypische Tat handelt oder wenn die Reife des Angeklagten verzögert ist. Davon geht das Gericht aus, wenn die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit ergibt, dass der Täter zur Tatzeit in seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand. Zu dieser Frage holt das Gericht eine Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe ein, manchmal auch von Gutachtern.
Wie wahrscheinlich ist die Anwendung von Jugendstrafrecht?
„Die Gerichte stellen häufig eine Reifeverzögerung aus, insbesondere bei jungen Heranwachsenden und schweren Straftaten“, sagt die Vorsitzende der Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen (DVJJ), Professorin Theresia Höynck aus Kassel. Rein statistisch wäre bei Sanel M. also eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht zu erwarten.
Welches Strafmaß ist bei einer Verurteilung nach Jugendstrafrecht zu erwarten?
Das Jugendstrafrecht sieht zahlreiche Sanktionen vor wie etwa Arrest, Arbeitsauflagen oder die Teilnahme an einem Anti-Gewalt-Training. Möglich sind auch Jugendstrafen – also Jugendgefängnis – von sechs Monaten bis zehn Jahren. Bei Mord sind auch dann bis zu 15 Jahre Haft möglich, wenn der Täter Heranwachsender ist. Das Gericht muss die Strafe so bemessen, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist. „Kriterium ist primär die individuelle Rückfallprävention und nicht die Schwere der Tat“, sagt Höynck.
Was droht dem Angeklagten, wenn er nach Jugendstrafrecht verurteilt wird?
Frühere Straftaten
Voraussetzung für eine Jugendstrafe – also Haft – wäre die Feststellung sogenannter schädlicher Neigungen. Kriterium dafür sind unter anderem Zahl und Art früherer Straftaten. „Da Auswahl und Bemessung der Sanktion sich weniger nach der Tatschwere, sondern vor allem danach richtet, wie weitere Taten durch den Täter verhindert werden können, ist die Einschätzung der Sanktion ohne genaue Informationen zu der Person des Täters nicht möglich“, sagt Höynck. Eine Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld kommt in der Regel nur bei Totschlag oder Mord in Betracht.
Welches Strafmaß ist in diesem Verfahren nach Erwachsenenstrafrecht wahrscheinlich?
Wenn das Gericht kein Jugendstrafrecht anwendet und weiter vom Anklagevorwurf Körperverletzung mit Todesfolge ausgeht, ist die Mindeststrafe drei Jahre – außer, es wird ein minderschwerer Fall angenommen.