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„Wir hätten gerne das Wirtschaftsministerium“

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Von: Christiane Warnecke

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Stefan Naas im Interview. FOTO: Klein
Stefan Naas im Interview. © Peter Klein

FDP-Spitzenkandidat Stefan Naas will wieder stärker auf den Markenkern seiner Partei setzen

Frankfurt -Nach zehn Jahren in der Opposition möchte die hessische FDP nach der Landtagswahl im Herbst wieder Regierungsverantwortung übernehmen. Mit welchen Themen die Partei überzeugen möchte, erklärt ihr Spitzenkandidat, Stafan Naas.

Die hessische FDP hat einen Fraktionschef im Landtag und eine Landesvorsitzende. Warum braucht sie zusätzlich noch einen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl?

Unsere Schwerpunkte sind vor allem wirtschaftliche Themen, weil wir glauben, dass Hessen da aufholen muss. Ich bin der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion. Insofern passt das gut.

Die FDP will also wieder mehr auf ihren Markenkern setzen als mit René Rock und Bettina Stark-Watzinger, die eher für die Bildung stehen...

Ja, die Bildung bleibt aber ein weiterer Schwerpunkt neben Wirtschaft, Finanzen, Freiheit, Verkehr und Infrastruktur.

Ihre Partei möchte nach der Wahl im Oktober wieder mitregieren. Die FDP kratzt aber nach dem jüngsten Hessentrend an der Fünf-Prozent-Hürde. Es geht also erstmal ums Überleben, oder?

In einer aktuellen Umfrage im Bund sind wir gerade auf acht Prozent gestiegen. Ich glaube, dass wir in Hessen auf jeden Fall über fünf Prozent liegen werden. Wir wollen das Ergebnis der letzten Wahl steigern. Die Benchmark liegt also bei 7,5 Prozent.

Wie wollen Sie es schaffen, im anstehenden Dreikampf zwischen CDU, SPD und Grünen als liberale Kraft sichtbar zu sein?

Dazu bin ich da. Wir treten in Hessen mit einem eigenständigen Profil an und mit Themen, die die Bürger interessieren.

Sie haben erfolgreich als Bürgermeister von Steinbach im Taunus Politik gemacht. Wovon profitieren Sie jetzt aus Ihrer Zeit als Kommunalpolitiker?

Diese Erdung zeichnet mich aus. Kommunalpolitik und was daraus erwächst ist die schönste Form von Politik. Ich bin Hesse durch und durch und strebe keine bundespolitische Karriere an. Wenn ich die Wahl habe zwischen chinesischer Außenpolitik und dem Kanaldeckel, wähle ich den Kanaldeckel. (lacht)

Im Taunus sind Sie bekannt, in Mittel- oder Nordhessen weniger. Wie wollen Sie das ändern?

Durch Redaktionsbesuche wie diesen und viele Besuche in ganz Hessen. Das gelingt aber auch durch Landtagsinitiativen mit prominenten und provokanten Themen, zum Beispiel als Gegenpart zu Tarek Al-Wazir im Dannenröder Forst.

Vor fünf Jahren hatten Sie sich auf die CDU als Partner festgelegt und eine Regierungsbeteiligung unter grüner Führung ausgeschlossen. Diesmal halten Sie sich alle Optionen offen. Was hat sich verändert?

Das ist Schnee von gestern. Als eigenständige Partei passen wir weder in ein Mitte-Rechts-Schema, noch in ein Mitte-Links-Schema, sondern wir sind die Mitte der Gesellschaft und regieren in den verschiedensten Konstellationen mit.

Wäre eine Ampelkoalition auch in Hessen denkbar?

Das kann ich noch nicht sagen, ich schließe aber nichts aus. Gerade in Wiesbaden wäre eine Deutschland-Koalition auch denkbar. Wir hätten jedenfalls gerne das Wirtschaftsministerium zurück. Das gehört in liberale Hände. Wir würden auch gerne die CDU von ihrem Koalitionspartner befreien. (schmunzelt)

Was würden Sie als Wirtschaftsminister besser machen als Tarek Al-Wazir?

Er hat seine selbst gesteckten Ziele sogar bei den Radwegen verfehlt. Wir brauchen einen Straßenbau, der über den Abschreibungen und damit bei über 200 Millionen Euro im Jahr liegt. Aber wir sind keine Autofahrerpartei, sondern eine Mobilitätspartei und wollen alle Infrastruktur ausbauen. Wir sind aber schon die einzigen, die noch zum Auto stehen.

Die FDP will den Verbrennermotor retten. Ist das noch zeitgemäß?

Ja. Da fühlen wir uns im Einklang mit der Mehrheit der Bevölkerung. Am Ende kommt es doch darauf an, CO2 einzusparen und nicht darauf, eine bestimmte Art der Antriebsstechnik zu protegieren. Wir sind für Technologieoffenheit. Beispielhaft ist eine Frankfurter Tankstelle, die 100 Prozent synthetischen Diesel-Kraftstoff aus altem Pommesfett und anderen Reststoffen vertreibt. Dieser Diesel kostet 15 Cent mehr pro Liter. In Mannheim kann man solchen Kraftstoff schon tanken. Dazu gibt es einen Initiativantrag der Ampel im Bundestag.

Bei der Ablehnung eines Tempolimits stellt sich die FDP aber gegen die Mehrheit der Bevölkerung und betreibt Klientelpolitik...

Gegen eine sehr knappe Mehrheit von 52 Prozent. Von Klientelpolitik könnte man vielleicht bei 92,5 zu 7,5 Prozent sprechen. Für mich ist das ein Freiheitsthema. Wenn ich in einem Land, das das Auto erfunden hat und von der Automobilbranche immer noch lebt, wo viele Arbeitsplätze dranhängen, sage, wir bauen zwar schnelle Autos, aber ausfahren darf man sie nicht, stimmt doch was nicht. Die meisten Strecken sind außerdem eh schon geregelt. Und den CO2-Ausstoß würde ich eher über den Preis regeln.

Ein weiteres Thema, das Sie ins Zentrum stellen, ist der Fachkräftemangel. Wie sehen Ihre Konzepte aus?

Wir müssen von einem Arbeitskräftemangel sprechen. Das Menschsein beginnt nicht beim Abitur, das müssen wir deutlicher machen. Derzeit kommen auf einen Bäcker zehn Juristen und 45 BWLer. Um das zu ändern, brauchen wir mehr Wertschätzung der dualen Ausbildung und müssen die Ausstattung der Berufsschulen mit den Universitäten gleichstellen. Wir sollten an den Schulen die Fächer Informatik und Wirtschaft einführen und die mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächer stärken. Außerdem sollten wir die Meisterprüfungsgebühren abschaffen. Auch die Aufstiegschancen sind ein großes Thema meiner Partei, das manchmal verloren geht. Ich könnte mir als Landtagsabgeordneter heute im Rhein-Main-Gebiet kein Haus mehr kaufen. Da frage ich mich: Wer soll sich das noch leisten können?

Beim Thema Einwanderung sprechen Sie sich etwa für das kanadische Modell aus, aber da wäre zunächst der Bund am Zug. Wie kann Hessen die Weichen stellen?

Ich finde auch Modelle sehr gut, die illegale Einwanderung unterbinden und gleichzeitig Menschen legal aufnehmen. Wir müssen stärker Herr des Verfahrens sein. Dazu wäre eine zentrale hessische Ausländerbehörde hilfreich.

Das klingt nach dem australischen Modell. Aber halten Sie es für durchsetzbar, illegale Migranten auf einer deutschen Insel zu internieren oder eher in Asylzentren an der Grenze, wie es Seehofer 2015 gefordert hatte?

Das ist Bundespolitik. Natürlich bräuchten wir eher eine Lösung an den Binnengrenzen. Denn irgendwann sind unsere Unterbringungsmöglichkeiten voll. Die Kommunen klagen ja jetzt schon.

Das Aus von Filialen der Kaufhauskette Galeria zeigt nach Ihrer Einschätzung den Handlungsbedarf für eine Zukunft der Innenstädte. Wie soll die Zukunft aussehen?

Die mitteleuropäische Stadt ist eine kulturelle Errungenschaft. Wir brauchen den stationären Einzelhandel als Frequenzbringer - nach dem Wunsch der FDP auch mal an verkaufsoffenen Sonntagen. Dazu gehören aber auch Bäcker, Metzger und Gastronomen. Außerdem müssen wir die Innenstädte kulturell attraktiver machen. Da muss die Bibliothek das Wohnzimmer des Ortes werden, und zwar nicht nur als Rückgabeklappe für Bücher, sondern als Ort sich zu treffen, die Zeitung zu lesen, sich zu informieren und zu diskutieren, eine kleine Ausstellung zu machen, Sachen zu basteln und zu reparieren. Das macht etwa die Bibliothek in Helsinki sehr gut, aber auch die in Hanau. Außerdem ist Deregulierung nötig, etwa die Abschaffung von Marktgebühren. Wir bräuchten auch dringend eine Stärkung der Stadtentwicklung und mehr Landesinitiativen.

Ein weiteres zentrales Thema im Wahlkampf wird sicher auch wieder die Bildung. Ministerin Stark-Watzinger will mehr Kompetenzen für den Bund, Bildung ist aber ureigenste Sache der Länder. Wie viel Veränderung brauchen wir in der föderalen Struktur?

Die strukturellen Probleme sind mittlerweile so groß, dass sie bundesstaatlich angegangen werden müssen. Wir stehen immer stärker im internationalen Wettbewerb. Deshalb ist etwas mehr Zentralstaatlichkeit an der Stelle angebracht.

Sie haben beim Dreikönigstreffen zusammen mit Ihrem Amtskollegen aus Bayern in einem Papier im Hinblick auf die vielen Sonderausgaben darauf hingewiesen, dass alles Geld, das ausgegeben wird, erstmal erwirtschaftet werden muss. Das ist FDP pur, aber wie viele Menschen erreichen Sie damit überhaupt noch?

Die Angst vor dem Klimawandel überlagert bei vielen Menschen die Sorgen um neue Schulden. Aber das Problem der überschuldeten Haushalte wächst mit weiter steigenden Zinsen und wird zu einer wachsenden Belastung für die Gesellschaft. Ich arbeite daran, dass wir mit dem Thema stärker durchdringen. Interview: Christiane Warnecke, Dieter Sattler, Sven Weidlich und Yannik Burkard

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