1. Startseite
  2. Film, TV & Serien

Anne Will diskutiert über China: Rhetorische Fragen und „Wohlstand gegen Freiheit“

Kommentare

Das Thema China diskutieren Peter Altmaier, Linda Teuteberg, Dieter Kempf, Margarete Bause, Georg Mascolo und Kristin Shi-Kupfer.
Das Thema China diskutieren Peter Altmaier, Linda Teuteberg, Dieter Kempf, Margarete Bause, Georg Mascolo und Kristin Shi-Kupfer. © ARD / Screenshot

Gute Geschäfte mit China – miese Moral? Darüber ließ Anne Will aus Anlass der Debatte über Huawei diskutieren

„Wirtschaftsmacht und Überwachungsstaat – kann man China vertrauen?“ lautete das Thema bei Anne Will, und selbstverständlich kann man diese Frage nur als rhetorische verstehen. Wie sollte man einem verbrecherischen Regime vertrauen können, das nicht nur Millionen Tibeter, sondern auch andere Minderheiten wie die der Uiguren brutal unterdrückt und einem unabhängigen Staat wie Taiwan seit Jahrzehnten mit der Annexion, also einem Überfall droht?

Anne Will diskutiert über Huawei in China

Die neuesten Informationen über die Lager für die Uiguren im Westen Chinas hätte Anne Will also als Steilvorlage für ihre Sendung nutzen können, aber zunächst behandelte sie den Fall Huawei. Der Konzern will ja bei der Einrichtung des bundesdeutschen 5-G-Netzes mitmischen, doch der CDU-Parteitag hatte soeben beschlossen, dass sichergestellt sein müsse, „dass eine Einflussnahme durch einen fremden Staat auf unsere 5G-Infrastruktur ausgeschlossen ist“.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier muss das Votum seiner Parteifreunde zähneknirschend zur Kenntnis genommen haben und übte sich auch in dieser Runde in einer Mischung aus trotzigem Beharren und Rabulistik. Der Parteitag habe ja beschlossen: „Wir schließen keinen aus.“ Wenn aber chinesische Unternehmen generell als nicht vertrauenswürdig gälten, „dann haben wir ein Problem“. Genau das Problem hat er, jedenfalls in den Augen vieler Leute. Und weil er das ahnt, suchte er Zuflucht in der technologischen Argumentation: Es müsse nachprüfbar sichergestellt sein, dass jedes einzelne Bauteil zertifiziert ist. Nun ist der Glaube, das sei möglich, so naiv wie einst Angela Merkels Wort vom Internet als „Neuland“.

Anne Will: Altmaier und Kempf zu Gast

Auch Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), wollte sich erwartungsgemäß keine Geschäfte verderben lassen und der politischen Diskussion die Erörterung technologischer Sicherheit vorziehen. Kempf verstieg sich in Erzählungen von Schützen der Daten und Verschlüsselungen, als ob er noch nie etwas von Hackern gehört hätte, und um seine Naivität vollends zu belegen, verglich er die Lückenhaftigkeit digitaler Sicherheit mit der grünen Ampel: „Da muss man auch erst nach rechts und links schauen.“

Doch taten die anderen Gäste Altmaier und Kempf nicht den Gefallen, sich auf eine technologische Ebene zu begeben. Der Bundestag müsse sich mit dem Thema befassen, fanden Linda Teuteberg, die Generalsekretärin der FDP, und Margarete Bause, Sprecherin für Menschenrechtspolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Teuteberg schloss sich der Einschätzung von Außenminister Heiko Maas an, dass Huawei vom Staat abhängig sei und ihm Informationen durchleiten müsse; es gehe aber darum „Herr im eigenen Haus zu bleiben“, und deshalb müsse es politische Kriterien geben, dass Einflussnahme eines fremden Staates ausgeschlossen sei.

Peter Altmaier beschwört bei Anne Will „europäische Souveränität“

Natürlich müsse man den Sicherheitsbegriff auch politisch fassen, erklärte Kristin Shi-Kupfer, Politologin am Mercator Institute for China Studies. Sich auf die technologischen Aspekte von Sicherheit zu beschränken, sei nicht ausreichend; es sei von Huawei Transparenz zu verlangen.

Dass es dafür schon recht spät sei, machte Georg Mascolo deutlich, Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung und zuständig für die jüngste Aufklärung über die Gulags für die Uiguren. Mascolo wies darauf hin, dass bereits das 4-G-Netz zu mehr als 50 Prozent mit Huawei-Technik arbeite. Schon vor fünf, sechs Jahren habe man festgestellt, dass der Konzern nicht vertrauenswürdig sei, und die Bundesregierung selbst habe ihr eigenes Netz frei von chinesischen Bauteilen gehalten. Es sei eine Scheindiskussion, so Mascolo gegen Altmaier, zu behaupten, man könne am Ende sicher sein vor Einflussnahme.

Margarete Bause erinnerte anhand der Debatte über den US-Geheimdienst NSA ebenfalls daran, dass die Regierung das Thema jahrelang sträflich vernachlässigt habe. Nun sei es wichtig, eine gemeinsame europäische Strategie zu entwickeln. Dem stimmte auch Kempf zu. Es gehe ja um einen systemischen Wettbewerb, und da könne Deutschland nicht ohne seine europäischen Partner agieren. Das griff Altmeier auf und beschwor „europäische Souveränität“.

ZDF-Talk mit Markus Lanz: Wenn der Moderator sich als Scharfrichter geriert

Bei Anne Will geht es um die Facetten des Gulag-Systems

Doch Mascolo goss Wasser in den Wein der Unverbindlichkeit. Chinas Überwachungssystem werde von einem Konzern maßgeblich entwickelt, mit dem Siemens eine strategische Partnerschaft habe. Dessen Chef Jo Kaeser wurde mit einem verräterisch nichtssagenden Satz zitiert: Man müsse „Positionen und Maßnahmen in allen Facetten abwägen.“ Die Facetten des Gulag-Systems, mit dem die Uiguren geknechtet werden, hat er vermutlich nicht gemeint. Mascolo machte klar: China hat die Diktatur neu erfunden, in dem es sie digitalisiert habe: per totaler Überwachung der Kommunikation. In Peking herrsche immer noch das totalitäre kommunistische System. Die Kehrseite der wirtschaftlichen Liberalisierung sei die Beschneidung der individuellen Freiheit.

Kempf wollte deutschen Unternehmern keine Verhaltens-Ratschläge erteilen, sagte aber, vom Prinzip „Wandel durch Handel“ sei man wohl „ein bisschen“ abgerückt. Man müsse eben sehen, wie sich das einzelne Unternehmen verhalte. Margarete Bause wies darauf hin, dass es im Eigeninteresse der Firmen sei, Image-Schaden von sich abzuwenden. Ausbleiben von Kunden könne auch Arbeitsplätze gefährden. Im Bundestag solle auch ein Lieferketten-Gesetz verhandelt werden. China wolle das Prinzip Wohlstand gegen Freiheit letztlich weltweit durchsetzen. Die Menschenrechte aber seien universelle Werte, hoben Teuteberg und Kristin Shi-Kupfer hervor. Sie wies darauf hin, dass das Bestehen auf diesen Werten auch „Einladungen“ an die oppositionellen Kräfte in China seien. Und die neuesten Wahlergebnisse aus Hongkong schienen diese Sicht zu bestätigen.

Anne Will, ARD, von Sonntag, 24. November, 21.45 Uhr. Infos im Netz.

Auch interessant

Kommentare