„Little Women“ im Kino: Greta Gerwig erzählt von Frauen auf der Suche nach ihrem Weg

Die Neuverfilmung Greta Gerwigs verleiht dem Roman „Litte Women“ eine verblüffende Aktualität.
- Greta Gerwig verfilmt „Little Women“ neu
- Regisseurin verändert Romanvorlage an einem Punkt entscheidend
- Gerwig nur für den Drehbuch-Oscar nominiert
Wenn Schauspielerinnen und Schauspieler hinter die Kamera wechseln, dann erweitern sie oft erst einmal den Raum fürs eigene Spiel: Sei es, indem sie weiterhin Hauptrollen spielen, wie es Clint Eastwood oder Woody Allen gerne getan haben. Oder indem sie gleichsam mit fremden Körpern weiterspielen. Brad Pitt zum Beispiel galt noch lange, nachdem er in Robert Redfords „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ gespielt hatte, als dessen legitimer Nachfolger.
Auch die begabte Saoirse Ronan könnte Schwierigkeiten haben, aus dem Schatten der Regisseurin Greta Gerwig zu treten. Nach ihrer Hauptrolle in Gerwigs „Lady Bird“ wirkt sie auch in „Little Women“ wie ein Double dieser so originellen Schauspielerin. Doch je tiefer man eintaucht in diese 13. Verfilmung des amerikanischen Romans, desto interessanter ist die Perspektive einer gewissermaßen übertragenen Autorenschaft. Denn Gerwig hat die Vorlage in einem entscheidenden Punkt inhaltlich verändert: In ihrer Version ist Ronans Filmfigur Jo March, die zweitälteste der vier Schwestern, auch die spätere Autorin von „Little Women“.
„Little Women“ von Greta Gerwig: Dezente, aber punktgenaue Aktualisierung
Diesen Kunstgriff schon an dieser Stelle zu verraten, nimmt dem Film kein Geheimnis, sondern ist entscheidend für Gerwigs dezente, aber punktgenaue Aktualisierung: In einer Zeit, in der mehr denn je um größere Repräsentanz weiblicher Filmemacher in der Industrie und bei Festivals gerungen wird, ist Louisa May Alcotts Romanvorlage eine bedeutende Vorbotin. Bereits 1868 feierte sie, adressiert an ein jugendliches Publikum, die freie Entwicklung unterschiedlicher Persönlichkeiten unter der Obhut einer einfühlsamen Mutterfigur. Die unfehlbare Laura Dern ist die perfekte Besetzung dieser tragenden Nebenfigur in Gerwigs Film.
Besondere Aufmerksamkeit widmet die Regisseurin den künstlerischen Ambitionen, die Alcott den rivalisierenden Töchtern zugeschrieben hat: Während das vom Glück verwöhnte Nesthäkchen Amy (Florence Pugh) in Europa Malerei studieren kann, muss Jo ihr literarisches Talent lange zurückstellen – wie sie ja auch den geliebten Freund Laurie (Timothée Chalamet) an die kleine Schwester verliert.
„Little Women“ von Greta Gerwig: Selbstverwirklichung der Frauen
Gerwigs Drehbuch begegnet Amy mit mehr Empathie als frühere Adaptionen. Ihr Ehrgeiz wirkt weniger egoistisch, ihre früh formulierte Maxime, reich heiraten zu wollen, wirkt nicht ganz sympathisch, aber doch verständlich. Aber die Figur der Jo beschenkt Gerwig dafür mit etwas anderem – der Autorschaft über einen großen Roman, dessen zeitlose Qualitäten ihr Film zugleich vor dem Publikum ablaufen lässt.
Es sind also nur wenige Stellschrauben, die diese grandiose Filmautorin braucht, um mit Alcott für die Gegenwart zu sprechen: Mehr als alle früheren Verfilmungen plädieren ihre „Little Women“ für weibliche Selbstverwirklichung insbesondere in der Kunst – ohne dabei den familiären Zusammenhalt in Frage zu stellen oder in die konservative Ecke zu stellen.
„Little Women“ von Greta Gerwig: Szenen wirken oft unverbunden
Little Women. USA 2019. Regie: Greta Gerwig. 135 Min.
Dass von der Kunst zu leben für Menschen jedweden Geschlechts nicht einfach ist, wird gleichfalls nicht verschwiegen. Wie in der Vorlage erfährt Jo für ihre ersten verkauften Geschichten herbe Kritik vom befreundeten deutschen Philosophen Friedrich Bhaer (hier spielt ihn der Franzose Louis Garrel mit recht unpassendem Akzent). Diesen Einwand nutzt Gerwig für einen Diskurs über Autorschaft und Kommerzialität, indem sie Bhaer präzisieren lässt: „Shakespeare war der größte Dichter, der je lebte, weil er Poesie in populäre Werke schmuggelte.“ Genau für diese Schmuggelei lieben Filmfans das gute alte Hollywood. Und so wie George Cukor in seiner Verfilmung mit Katherine Hepburn („Vier Schwestern“, 1933) seine persönliche Handschrift in die Bilder schrieb, gelingt es nun auch Greta Gerwig*.
Doch es ist verständlich, dass sie bei der kommenden Oscar-Verleihung lediglich für das beste Drehbuch und nicht als Regisseurin nominiert wurde. Visuell fehlt ihrem Film eine besondere Stringenz. Jede Szene inszeniert sie auf größtmögliche Lebendigkeit, doch oft wirken sie unverbunden, und es fehlen ruhige oder nachdenkliche Passagen als Gegengewicht.
„Little Women“ von Greta Gerwig: Eine gewisse Scheu vor der Leere
Als Darstellerin ist Gerwig eine Meisterin der Spontaneität, wie kaum jemand sonst kann sie Gedankensprünge sichtbar machen und Psychologie in Aktion verwandeln. Auch als Regisseurin will sie keinen Augenblick verschenken, und gerade das offenbart eine gewisse Scheu vor der Leere, vor Licht und Luft, die einen Film erst wirklich lebendig machen. Ein Geschenk aber ist dieser liebenswerte, hoch dynamische Film noch immer.
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