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Markus Lanz: Sein historisch wohl schlechtester Talk

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Von: D.J. Frederiksson

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ZDF-Talk bei Markus Lanz: Wie ein Moderator seine Sendung absaufen sieht. Mit dabei: Heiner Lauterbach. Es ging auch um Lebensmittelpreise.

Eigentlich gibt es eher zu viele als zu wenige politische Talk-Shows in Deutschland, gefüllt mit Journalisten, Wissenschaftlern und Politikern, die mehr oder weniger ernsthafte Argumente austauschen. Und trotzdem versuchen manche Formate, die eindeutig eher im Boulevard zu Hause sind, sich dahin hochzuarbeiten – vielleicht weil sich die Moderatoren für Allround-Talente wie Sandra Maischberger oder Günther Jauch halten, die in beiden Formaten glänzen können.

Markus Lanz im ZDF: Gefährliches Halbwissen

Nur leider ist „Allround-Talent“ beileibe nicht der erste Begriff, der einem zu Markus Lanz einfällt. Und diese wahrlich historisch schlechte Sendung sollte ein Fanal sein für ihn, sich und seine Gäste aus Themen herauszuhalten, zu denen sie nur gefährliches Halbwissen faseln können – während diese Sendung für ernsthafte Gäste (und das Publikum) ein Zeichen sein sollte, diesem Zirkus künftig fernzubleiben.

Der Plan war von Beginn an hirnrissig: Den Schauspieler Heiner Lauterbach, die Unternehmer Dagmar und Marcus Wöhrl sowie den Soziologen Harald Welzer gemeinsam diskutieren zu lassen. Ausgangspunkt war der Lebensmittel-Gipfel im Kanzleramt und Welzers Buch über eine Zukunfts-Vision für unsere Gesellschaft – ein Buch, das Lanz entweder nicht gelesen oder fundamental missverstanden hatte.

Video: Darum trägt Markus Lanz immer die gleichen Anzüge

ZFD: Markus Lanz und Heiner Lauterbach im Talk über Lebensmittelpreise

Aber das kam erst später ans Licht. Erstmal durfte der lautstarke Lauterbach in Sachen Lebensmittel vom Leder ziehen: Die Politik soll gefälligst die Preise billig halten und die Qualität erhöhen. Wow. Während das Publikum sich noch von diesem profunden Vorschlag erholt, legt der rüstige Actionheld nach: „Wir müssen dafür sorgen, dass alle Menschen hier gutes Material haben.“ Äh, wie bitte?

Dagmar Wöhrl versucht, zumindest provisorisch Abhilfe im inhaltlichen Vakuum zu schaffen. Als Unternehmerin kennt sie zumindest die eine Seite der Konsum-Medaille. Welzer erklärt kurzerhand das Gegenteil von Lauterbach: Die Lebensmittelpreise sind zu niedrig, die Bauern können nicht davon leben. Lauterbach nickt, als hätte er das die ganze Zeit gesagt,und haut gleich den nächsten Kracher raus: Die Regierung soll „zwei Düsenflieger weniger bauen und dafür die Bauern fördern“. Man kann förmlich sehen, wie Welzer sich zurückhalten muss, um sich nicht lautstark die Hand an die Stirn zu hauen.

Markus Lanz im ZDF: Sendung kippt in die Katastrophe

Eine Zeitlang hat man die Hoffnung, dass sich Stumpfsinn und Sachkenntnis zumindest die Waage halten könnten. Welzer referiert überraschend flüssig von gestiegenen Kaufkraftsteigerung und wachsenden Luxusausgaben bei gleichzeitig sinkenden Nahrungs-Kosten – und Lauterbach rülpst dazwischen: „Bald kommt eh alles von Amazon.“ Welzer deckt die Absurdität auf, wenn die Politiker nicht auf die 1,4 Millionen protestierenden Jugendlichen hören, sondern Angst vor einem hierzulande überhaupt nicht existenten Gelbwestenprotest haben – und Lauterbach stellt sich als total fortschrittlich hin, weil er seiner Tochter hochgütig erlaubt hat, auf eine Demo zu gehen, obwohl er kein Ahnung hat, was die Kinder da eigentlich so treiben.

Die Sendung kippt erst dann in die komplette Katastrophe, als Markus Lanz Stellung bezieht. Wenn man als Moderator auf gesellschaftliche Analysen reagiert mit: „Heiner, wie ist das denn bei euch zu Hause?“, dann hat man, mit Verlaub, im politischen Diskussionsbetrieb nichts zu suchen.

Markus Lanz im ZDF: Heiner Lauterbach übernimmt

Kein Wunder, dass Lauterbach die Zügel übernimmt – und die ganze Sendung fröhlich in den Abgrund reitet. Es gibt ja diese Klimadiskussion, belehrt der deutsche B-Fernsehschauspieler das Publikum. Und er findet ja, so ein bisschen Umweltschutz kann generell nicht schaden. Die „Müllteppiche in den Ozeanen“ müssen auf jeden Fall weg. Aber da gibt es ja auch Nobelpreisträger und Wissenschaftler, die behaupten, dass das ganze Klimazeugs gar nicht menschengemacht ist, sondern irgendwie so zyklisch. „Ob die Menschen wirklich Schuld sind, das kann ich nicht beurteilen und Sie auch nicht. Auf beiden Seiten stehen eh nur Lobbyisten und das Geld.“

Meine Damen und Herren: Heiner Lauterbach. Was haben die Sende-Anstalten letztes Jahr bis in die höchsten Gremien hinein diskutiert und abgewogen, wie man mit populistischen AfD-Politikern und ihren toxischen Lügen in Talkshows* umgehen soll – aber keiner hatte den verwirrten Action-Opa auf dem Schirm, der mit irgendwo aufgeschnappten und seit Jahrzehnten widerlegten Internet-Dummheiten noch viel mehr Schaden anrichtet. Das Internet-Meme „OK Boomer“, mit dem man die konfusen, konservativen Aussagen alternder Babyboomer einfach abbügeln kann – es wurde scheinbar direkt für Heiner Lauterbach entwickelt. Der Preis für den dümmsten Wortbeitrag in einer deutschen Fernsehsendung 2020 ist auf jeden Fall schon mal vorgemerkt.

Markus Lanz im ZDF: Heiner Lauterbach besticht durch Nichtwissen

Kein Wunder, dass dem hochdekorierten Professor für Sozialpsychologie Harald Welzer da der Kragen platzt. Er ist „persönlich erschüttert, dass da geklatscht wird“, konstatiert er. Dann nimmt er sich doch ein Herz und versucht vergeblich, dem unbelehrbaren Lauterbach zu erklären, dass der Konsens der Klimawissenschaft seit nun 40 Jahren... dass kein einziger Nobelpreisträger jemals... dass es keineswegs finanzielle Motive... aber es ist hoffnungslos. Die anderen springen blind mit in die Diskussion hinein: „Es geht immer nur um Schuldzuweisung, das interessiert mich überhaupt nicht mehr“, beschwert sich Wöhrl, die genau der Generation angehört, die die Schuld zugewiesen bekommt. „Wir sind da doch glaub ich im Kern alle einig und ganz, ganz nah beieinander“, flötet Lanz in kompletter Ignoranz seiner eigenen Diskussion.

Hier sehen Sie die Sendung in der Mediathek des ZDF 

Sein anschließendes Gespräch mit Welzer ist auch von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Genüsslich holt Lanz wieder und wieder die einzigen beiden Zitat-Fetzen hervor, die er aus Welzers Buch weiß: Das „Genöle“ der „Lamentier-Ökos“. Sind wir uns nicht alle einig, wie nervig diese grünen Verbotsfritzen sind? Nur leider sind wir hier an der Stelle, wo deutlich wird, dass Markus Lanz das Buch nie gelesen und sich in Welzer völlig getäuscht hat. Der redet nämlich von fundamentalen Visionen und radikalen gesellschaftlichen Umwälzungen, die nötig sind: von autofreien und selbstversorgenden Städten; von einer Wirtschaft jenseits des Wachstums; von einer Modernisierung, die „natürlich nicht von den alten Menschen dieses Landes ausgehen wird“ - wobei er krampfhaft versucht, dabei nicht Lauterbach und Wöhrl anzuschauen.

Markus Lanz im ZDF: Professor Welzer im falschen Film

Lanz ist völlig vor den Kopf gestoßen. Er hatte so viel von Welzers „Optimismus“ geredet, und nun stellt sich heraus, dass Welzer einen revolutionären Optimismus für die Zukunft hat. Anstatt, wie Lanz, einen gemütlich-konservativen Optimismus, dass die Gegenwart doch toll ist und man eigentlich gar nichts machen muss.

Es sind diese Momente, wo die Vorbereitung versagt hat, wo das Skript längst weggebrochen ist – hier zeigt sich, woraus ein Moderator gestrickt ist. Kann er seine fehlerhafte Vorbereitung ablegen, sich darauf einlassen, zuhören, nachfragen? Kann er hinterfragen, in Frage stellen, eine eigene Meinung formulieren? Was sagt Markus Lanz in diesem Moment? „Weg von dem Thema. Heiner Lauterbach ist bei uns! Wie alt bist du jetzt? Wie bist du nur so fit geblieben? Kann man auch zu viel Sport machen?“ Es ist die inhaltliche Bankrotterklärung eines Fernsehmoderators, der dachte, er könnte am Erwachsenentisch mitreden. Und dem dafür jeglicher Intellekt, jegliche Offenheit oder Spontaneität fehlt.

Drollige Millionärsanekdoten mit Markus Lanz im ZDF

Der Rest der Sendung wird mit Familiengeschichten zugebracht, mit drolligen Millionärsanekdoten („Der Tag, als Papa mir ein Hotel schenkte“), mit tragischen Trauergeschichten („Der Tag, als mein Sohn zu Tode stürzte“) oder mit kuriosen Drogen-Späßen („Der Tag, als ein Meisterregisseur mir sagte, dass ich eine Sucht-Person bin“). Welzer kommt nicht mehr zu Wort. Weg von dem Thema, Heiner Lauterbach ist bei uns. Der Tag, als die Markus-Lanz-Sendung* implodierte.

Das Durcheinander im Thüringer Landtag spiegelte sich auch in Maybrit Illners Talkshow wieder. Nach einer krankheitsbedingten Zwangspause ist „Hart aber fair“-Moderator Frank Plasberg wieder zurück. Thema der illustren Runde: Die Schwere Krise der CDU.

Von D.J. Frederiksson

*fr.de ist Teil der bundesweiten Ippen-Digital-Zentralredaktion.

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