Markus Lanz im ZDF: Wer ist dieser Mann, und was hat er mit Markus Lanz gemacht?

Kluge Vergleiche und stimmige Forderungen: Die erste halbe Stunde erkennt man Markus Lanz fast nicht wieder. Dann aber fällt seine Sendung zurück in alte Muster.
- Markus Lanz schwingt sich in seiner ZDF*-Talkshow zu Beginn zum investigativen Journalisten auf.
- Die Diskussion dreht sich zunächst um den Corona-Ausbruch* in den Tönnies-Werken.
- Nach 35 Minuten schwenkt Markus Lanz* plötzlich um in die Harmlosigkeit.
Um es vorweg zu nehmen: Es gibt Folgen von „Markus Lanz“, die uns Freunde der Debattenkultur zutiefst verärgern. Rüde Unterbrechungen, offensichtliche Schein-Argumente, unkorrigierte falsche Behauptungen, tendenziöse Moderation. Aber dies war keine von diesen Folgen.
Stattdessen schwang sich Markus Lanz zum investigativen Journalisten auf, allerdings flankiert von einem seiner Lieblingsgäste, dem stellvertretende „Welt“-Chefredakteur Robin Alexander, der in dieser Rolle deutlich eher zu Hause ist. Und so verbrachten diese beiden die durchaus informative und unterhaltsame erste halbe Stunde damit, den CDU-Landrat des Kreises Warendorf Olaf Gericke und den CDU-Kanzleramtschef Helge Braun danach auszufragen, wie es zu dem massiven Ausbruch in den Tönnies-Werken in Gütersloh kommen konnte.
Markus Lanz im ZDF: Eine erstaunlich kompetente Aufklärung des Corona-Ausbruchs bei Tönnies
Was durchaus eine konservative Schulterklopf-Runde hätte werden können, geriet stattdessen zu einer erstaunlich kompetenten und schonungslosen Aufklärung, bei der auch die vermeintlichen Buhmänner wie Armin Laschet und Markus Söder aus den C-Parteien kamen. Gericke schildert die katastrophalen Lebens- und Arbeitsumstände der 1500 infizierten Fleisch-Arbeiter: die Firma beschäftigt dubiose Subunternehmer, so dass es keine Liste mit Identität und Wohnort der Arbeiter gibt, von Sozial- oder Krankenversicherung oder gar einem Arbeitsschutz ganz zu schweigen.
„Wussten wir das nicht alles schon?“, fragt Markus Lanz* völlig zu Recht. Alexander stimmt zu: Gerade noch haben alle schützend die Hand über diese amoralischen Arbeitsbedingungen gehalten, um den Wirtschaftsstandort nicht zu gefährden, das rächt sich jetzt: Die Arbeiter sind teils zu verstreut, um Kontakte nachzuvollziehen, teils schon ins Auto gestiegen, um bloß schnell nach Hause zu fahren, zudem ist die Kommunikation auf albanisch und bulgarisch nicht einfach fürs Gesundheitsamt. Aus dem sozialrechtlichen Problem, das gerne ignoriert wurde, wird schlagartig ein Gesundheitsproblem, das man nicht mehr ignorieren kann.
ZDF-Talkshow mit Markus Lanz: Lange Diskussion über Tönnies
Kanzleramts-Chef Braun immerhin hat die perfekte Antwort: Man arbeitet schon dran. Zehn Jahre lang hätte man es in der Fleischindustrie mit Selbstverpflichtungen versucht, jetzt ist endgültig genug. Schon nach den Vorfällen bei Westfleisch wurde ein Gesetzentwurf begonnen, der wird demnächst im Eilverfahren eingebracht, damit diese Branche endlich mal aus dem Sumpf der modernen Sklavenarbeit herauskommt.
Bleibt nur die Frage, ob Tönnies, wie versprochen, wenigstens in dieser Quarantäne-Zeit, den Arbeitern Kost und Logis und Medikamente stellt, oder ob man, wie bisher, selbst diese minimale gesellschaftliche Verantwortung auch weiter verschleppt.
Markus Lanz im ZDF: Uneinigkeit bei Söder und Laschet
Wichtiger scheint die grundsätzliche Frage, was jetzt zu tun ist, da das Kind nun mal im Brunnen liegt. Auch hier ist Alexander die präziseste Stimme. Eigentlich hieß es ja im April: Bei der Überschreitung einer gewissen Infektionszahl gibt es zumindest lokal und zeitlich begrenzt einen Rückfall zu den Maßnahmen vor dem 20. April. Also kompletter Lockdown.
Nur irgendwie scheint man sich darüber nicht einig zu sein: Markus Söder besteht drauf, Laschet will das so nie versprochen haben. Ein treffender Einspieler aus einer früheren Sendung von Markus Lanz zeigt, wie sehr sich Laschet damals schon gewunden hat, diesen Ernstfall auch nur durchzudenken. Und so geben alle die Verantwortung weiter, bis sie in der Lokalpolitik landet – und Alexander erklärt völlig zu Recht, dass kein Landrat seiner Kreis-Bevölkerung die erste Urlaubswoche streicht, wenn er wiedergewählt werden möchte.
Virologe Alexander Kekulé darf in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz Komplexität ins Thema bringen
Klare Ansagen also: Peking hat bei 150 Fällen die ganze Stadt abgeriegelt, aber in Gütersloh will man nach 600 Fällen erst mal beobachten? Aber auch bleibende Unsicherheiten. Eine eindeutige Lösung ist nicht in Sicht, aber eine wichtige Diskussion angestoßen.
Und dann darf der Virologe Prof. Alexander Kekulé sogar noch Komplexität ins Thema bringen: 50 Einzelfälle sind oft schwerer zu verfolgen als 500 Mitarbeiter, wenn die alle auffindbar sind und einfach zu isolieren sind. So simpel ist das also nicht mit einer eindeutigen Infektionszahl. Und noch eine Warnung, die man an diesem Tag auch von anderen Virologen hört – solche Ausbrüche werden uns spätestens im Herbst noch deutlich häufiger beschäftigen, darauf sollten wir uns also besser vorbereiten.
Kluge Vergleiche, stimmige Forderungen: Ist das noch Markus Lanz?
Moment mal – kluge internationale Vergleiche, stimmige Forderungen, wissenschaftliche Komplexität, und dann auch noch vorsichtiger Pessimismus? Ist das noch Markus Lanz? Nun ja, so sehr man sich freut, die ersten 35 Minuten als gutes Informationsfernsehen loben zu dürfen, umso abrupter schwenkt der Moderator danach leider um. Immerhin nicht in seine manchmal verqueren Abschweifungen oder konservativen Wunschträume, aber doch in die Harmlosigkeit. Er fragt den Kanzleramtsminister, wie das so war, als er das erste Mal von diesem Virus gehört hat, der „Freunde und Vertraute plötzlich zu möglichen Gefährdern“ machte.
Aber Braun ist ein ganz glatter Charakter, der fasst gerne noch einmal in 20 Minuten die gesamte Covid-Geschichte in Deutschland zusammen – für alle, die die letzten fünf Monate unter einem Stein im Koma lagen. Ein paar Mal versucht Markus Lanz nachzubohren, was man im Februar und März alles hätte besser machen können, aber im Prinzip teilt er mit all seinen Gästen die Meinung, dass es angesichts der dürftigen frühen Faktenlage für Deutschland eigentlich überraschend glimpflich verlaufen ist – bisher.
ZDF-Talkshow: Markus Lanz schwenkt um zu Donald Trump
Also noch ein Schwenk, diesmal zu Donald Trump* und seiner Wiederwahlkampagne, die – welch Überraschung – rassistisch, spalterisch und höchst unappetitlich ausfällt. Auch das ist weder neu noch von tagesaktueller Dringlichkeit. Aber die Tatsache, dass die US-Expertin Sandra Navidi beim Thema Trump ganz selbstverständlich Worte wie „faschistoid“ und „Führerkult“ verwendet und der neben ihr sitzende Kanzleramtsminister nicht mal den Anschein erwecken möchte, als wollte er solche Urteile relativieren, zeigt immerhin, wie einhellig katastrophal das Verhältnis sogar des konservativen deutschen Establishments zu Donald Trump inzwischen ist.
Auch das – nicht so neu und dringlich und bedeutungsvoll wie die Fakten um den aktuellen Covid-Ausbruch. Aber immerhin ein brauchbarere Puzzleteil in einer insgesamt überdurchschnittlich informativen Sendung. (D.J. Frederiksson)
Drei Gäste haben sich bei Markus Lanz im ZDF eingefunden. Einer wurde zugeschaltet. Zwischen Friedrich Merz und Luisa Neubauer entsteht ein recht einseitiges Wortgefecht. In der nächsten Sendung blamiert sich Markus Lanz (ZDF) bis auf die Knochen, während sich Virologe Hendrik Streeck um Kopf und Kragen redet.
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